28.03.2014 15:11 Uhr

Fußballerproduktion wie auf Orangenplantage

Die Spieler von Nova Iguaçu dürfen sich auch mit ganz Großen messen
Die Spieler von Nova Iguaçu dürfen sich auch mit ganz Großen messen

Brasil Inside: Seit einigen Jahren werden in Brasilien Vereine gegründet, die ausschließlich zur Ausbildung von Profispielern existieren. Nova Iguaçu FC ist einer davon. Traumfabrik, Talentschmiede oder Ausbeuter?

Wenn es in Rio de Janeiro heiß ist, dann ist es in der Baixada Fluminense brühend heiß. Hier in der nördlichen Peripherie sind die klimatischen Bedingungen ideal für riesige Orangenplantagen, die die Millionenstadt mit saftigen Früchten versorgen. Gezüchtet wird hier allerdings auch etwas anderes: Fußballprofis.

Vor 23 Jahren fanden sich zwei Dutzend Geschäftsleute aus der Baixada-Region zusammen und gründeten aus dem Nichts einen neuen Fußballverein. Ziel ist aber nicht primär der Aufstieg in höhere Spielklassen, sondern der gewinnbringende Verkauf von Profis. Im Wappen des NIFC: eine Orange. Es wurde massiv investiert in ein hochmodernes Trainingszentrum mit sechs Plätzen, Kantine, Internat, zwei Fitnessräumen, Physiotherapie, Schwimmbad und sogar einem Zahnarztbehandlungszimmer.

Trainingsteilnahme nur bei Schulbesuch – so die Theorie

Sicherlich nicht aus karitativen Zwecken wurde hier ein Ausbildungszentrum auf Profiniveau geschaffen. Derzeit genießen über 600 Nachwuchskicker in zehn verschiedenen Kategorien die Vorzüge einer Ausbildung bei Nova Iguaçu. "Nur wer in die Schule geht, darf auch trainieren", betont Pressesprecher Bernardo Gleizer. So die Regel, so die Theorie. Martin Curi widerspricht in seinem Buch "Brasilien – Land des Fußballs". "Trotz einer hervorragenden Infrastruktur kann auch der Nova Iguaçu FC keine Schule bieten", so Curi.

Das Thermometer in Nova Iguaçu zeigt bereits am Vormittag deutlich über 30 Grad an. Dennoch rennen Dutzende Jugendliche mit vollem Elan über die Trainingsplätze des lokalen Fußballvereins. "Sie alle glauben an ihren Traum von der großen Karriere und vernachlässigen die Schulausbildung", kritisiert der Ethnologe Curi. Wohl kaum jemand im Verein hält den Jungs vor Augen, dass von den 600 Kickern im Durchschnitt nur etwa zwei Spieler im Jahr bei einem brasilianischen Erstligisten landen. "Hinter der glamourösen Glitzerwelt spielen sich tagtäglich menschliche Katastrophen ab, für diejenigen, die es nicht schaffen", fasst Curi die Situation kritisch zusammen.

Der einzige offiziell anerkannte Ausbildungsverein

Der Rest? Wird hinter den Kulissen an unterklassige Teams abgegeben. Dennoch hat Nova Iguaçu aufgrund seiner professionellen Betreuung der Spieler als einziger Verein im Bundesstaat Rio de Janeiro vom nationalen Fußballverband das Siegel als offizieller Ausbildungsverein erhalten. "Nicht mal die großen Teams Flamengo, Vasco da Gama, Botafogo und Fluminense haben dies", berichtet der Pressesprecher stolz.

Beim Nachwuchs genießt der Klub einen hervorragenden Ruf. Zu den regelmäßigen "peneiras" (Aussiebungen) kommen bis zu 90 Kinder und Jugendliche, die wiederum bereits in den verschiedenen kostenpflichtigen Fußballschulen von Nova Iguaçu vorselektiert werden.

Regionalmeisterschaft als letzte Chance

Auch Geovani Junior Martins Santos hat sich bewusst für den Verein mit der Orange entschieden. Allerdings ist der Mittelfeldspieler kein kleiner Junge mit dem Traum einer Profikarriere. Geovani ist 21 Jahre alt, stammt aus dem entfernten Bundesstaat Mato Grosso, von wo aus er bereits mit 14 Jahren nach Italien zu Hellas Verona wechselte.

"Ich wohnte dort ganz alleine, weit entfernt von meiner Familie. Es war schwierig, aber dennoch möchte ich diese Zeit nicht missen", blickt er auf seine Auslandserfahrung zurück. In Italien gelang ihm nicht der Sprung in die Profimannschaft. Er wurde ausgeliehen und trat schließlich nach dem Tod seiner Mutter den traurigen Rückweg in die Heimat an. Gescheitert. Für ihn ist Nova Iguaçu ein Neustart. Eine weitere Chance. Vermutlich seine letzte.

Im Konzert der Großen

Mit 21 Jahren liegt er noch so gerade im Durchschnitt der sehr jungen ersten Mannschaft. Obwohl Nova Iguaçu landesweit nur in der vierten Liga spielt, spielt man in der traditionellen Regionalmeisterschaft von Rio de Janeiro mittlerweile in der ersten Liga. Das "Campeonato Carioca" wird von Februar bis April ausgetragen und bietet Spielern wie Geovani die Möglichkeit, sich in einem Duell gegen die ganz großen Gegner zu präsentieren.

In dieser Saison lief es recht gut für Nova Iguaçu. Anfänglich führte man die Tabellen an und bis wenige Spieltage vor Ende war noch ein Sprung auf die ersten vier Plätze möglich, mit dem man sich für die Endrunde qualifiziert hätte. Geovani ist erst vor dieser Spielzeit zur Mannschaft gestoßen und auch wenn er selten über die volle Spielzeit auf dem Platz stand, konnte er dennoch zwei Tore beisteuern.

Letztlich reichte es nicht für den Einzug in die Playoffs. Nova Iguaçu musste sich mit Platz acht zufrieden geben. Und das tut man bei dem Ausbildungsverein auch – schließlich geht es nur in zweiter Linie darum, sportliche Erfolge zu erzielen. Im Vordergrund steht der Absatz an Spielern.

Ob Geovani einer davon ist, darf bezweifelt werden. Im letzten Spiel gegen Botafogo konnte der 21-Jährige zwar trotz einer Muskelverhärtung auflaufen, wirkliche Akzente konnte er aber nicht mehr setzen. Mit Anfang 20 scheint der Traum des Angreifers ausgeträumt. Seine Zukunft im Fußball ist fraglich, sein Klub dagegen sorgt fleißig dafür, dass man auch in Zukunft wirtschaftlich gut aufgestellt ist - mit Fußballerproduktion wie auf der Orangenplantage.

Viktor Coco

 

In den Wochen vor der WM in Brasilien berichtet Viktor Coco in der Serie "Brasil Inside" vor Ort über Land, Leute und Wissenswertes rund um die heimliche Heimat des Fußballs.