22.05.2014 13:15 Uhr

WM 1934: Weltmeister gegen alle Regeln

Im Finale der WM 1934 trifft Gastgeber Italien im Nationalstadion von Rom auf die Tschechoslowakei
Im Finale der WM 1934 trifft Gastgeber Italien im Nationalstadion von Rom auf die Tschechoslowakei

1934 ist das Land des "Duce" Gastgeber der WM. Die Squadra Azzurra soll zu Ehren Benito Mussolinis den Pokal holen. Da Italiens Nationalteam gegen die spielerisch überlegenen Gegner kaum eine Chance hat, müssen eine brutale Spielweise und skandalöse Schiedsrichterentscheidungen helfen.

Immer wieder ist der Fußball in seiner Geschichte zum Instrument im politischen Spiel der Mächtigen geworden. Nie wieder war die Einflussnahme aber offensichtlicher als bei der Weltmeisterschaft 1934. Regeln wurden gebrochen und Spieler eingesetzt, die nie hätten auflaufen dürfen. Den Rest erledigten von den faschistischen Machthabern eingeschüchterte Schiedsrichter.

Tatort Rom: Am 10. Juni 1934 stieg im Nationalstadion vor 50.000 Zuschauern das Finale zwischen Italien und der Tschechoslowakei. Die Osteuropäer hatten sich mit ihrem verwirrenden Kombinationsspiel und Siegen gegen Rumänien (2:1), die Schweiz (3:2) und die deutsche Mannschaft (3:1) so überraschend wie verdient bis ins Endspiel vorgearbeitet.

Auch dort waren sie von der ersten Minute an überlegen und konnten von den italienischen Abwehrspielern meist nur durch überhartes, teils brutales Einsteigen gestoppt werden. Unterstützung erhielten sie vom unerfahrenen schwedischen Schiedsrichter Ivan Eklind, der schon beim Halbfinalsieg über Österreich durch skandalöse Fehlentscheidungen aufgefallen war.

Schiri Eklind entscheidet das Finale

Bereits in der 10. Minute pfiff der Unparteiische den frei aufs italienische Tor zulaufenden Oldrich Nejedly aufgrund einer fragwürdigen Abseitsentscheidung zurück. Fünf Minuten später verzichtete er nach einem brutalen Foul von Enrico Guaita gegen Rudolf Krcil auf den zwingenden Platzverweis. Auswechslungen gab es damals noch nicht; der verletzte Mittelfeldakteur blieb daher zwar auf dem Spielfeld, konnte aber kaum noch ins Geschehen eingreifen.

Doch selbst mit einem Mann weniger waren die Tschechoslowaken das bessere Team. Allerdings verweigerte Eklind den "Gästen" in der Folge einen klaren Elfmeter und übersah ein weiteres brutales Foul von Luis Monti, das einen Feldverweis hätte nach sich ziehen müssen. Das verdiente Tor zum 0:1 durch Tonil Puc in der 79. Minute konnten jedoch weder die unterlegenen Italiener noch der Schiedsrichter verhindern.

Nur vier Minuten später aber glich Italien durch Mumo Orsi aus. Das vorangegangene Foul von Giuseppe Meazza an seinem Gegenspieler übersah der schwedische Schiedsrichter geflissentlich. Das Endspiel ging in die Verlängerung, in welcher die Gastgeber den längeren Atem hatten. Durch Angelo Schiavios Treffer in der 95. Minute wurden die Azzurri erstmals Weltmeister. Die internationale Presse schrieb hinterher von einem zweifelhaften Sieg. Beobachter fragten sich nach dem Spiel, welche Rolle der Besuch Eklinds in der Loge Mussolinis vor dem Finale gespielt haben mag.

Drei Verletzte und zwei nicht gegebene Tore

Ihrer Favoritenrolle waren die Italiener im Verlauf des Turniers nur im ersten Spiel gegen überforderte US-Amerikaner (7:1) gerecht geworden. In den folgenden Runden mussten die Schiedsrichter angesichts des überharten Vorgehens, mit dem die Gastgeber die spielerische Überlegenheit ihrer Gegner auszugleichen suchten, immer wieder beide Augen zudrücken.

Im Viertelfinale kam Italien nicht über ein 1:1 gegen Außenseiter Spanien hinaus. Nur einen Tag darauf sollte es ein Wiederholungsspiel geben. Doch bei den Iberern hatte die Gangart der Azzurri Spuren hinterlassen. Gleich sieben Akteure musste Spaniens Trainer Garcia Salazar verletzungsbedingt austauschen. Darunter den am Vortag überragend haltenden Keeper Zamora, der mit einem geschwollenen Auge auf der Tribüne saß.

Italien gewann das Wiederholungsspiel mit 1:0. Die Bilanz der Entscheidungen des Schweizer Unparteiischen René Mercet bezeugt die Dramatik der Partie: Drei spanische Spieler wurden nach harten Fouls des Gegners abtransportiert, zwei reguläre Tore der Spanier aberkannt – das zweite kurz vor Schluss, weil Mercet auf ein vorausgegangenes Foul am Spanier Ventolrá entschied, als der Ball bereits im italienischen Netz zappelte.

Groß war die Empörung über die offensichtliche Bevorzugung der Italiener in der Heimat des Unparteiischen. Die "Basler Nationalzeitung" schrieb: "Mercet hat die Italiener auf schamloseste Weise bevorzugt". Den Gastgebern war es egal, die nächste Runde war erreicht. Mercet pfiff nie wieder ein Spiel.

Schiedsrichter klärt mit dem Kopf

Im Halbfinale ging es gegen den zweiten großen Turnierfavoriten aus Österreich. Die etwas in die Jahre gekommene "Wunderelf" um Matthias Sindelar zog ihr bekanntes Kombinationsspiel auf, ließ es aber vor dem Kasten an Kaltschnäuzigkeit vermissen. Anders die Italiener: Ihre erste Chance nutzten sie mit Hilfe des Schiedsrichters Eklind zur Führung.

Der österreichische Torwart Peter Platzer soll dabei gleich von mehreren Spielern mit dem Ball über die Linie geschoben worden sein. Eklind sah das anders. Die letzte brenzlige Szene vor dem Kasten der Hausherren bereinigte der Schiedsrichter einfach selbst. Da kein italienischer Verteidiger in der Nähe war, köpfte der Schwede eine Flanke auf den völlig freistehenden Karl Zischek höchstpersönlich aus der Gefahrenzone.

Keine Strafe für nicht spielberechtigte Spieler

Schon vor dem Turnier hatte der italienische Verband alles getan, um die Chancen auf den Titelgewinn zu erhöhen. Gleich mehrere südamerikanische Spieler wurden zur Verstärkung der Squadra Azzurra kurzerhand eingebürgert. Nach dem damaligen FIFA-Reglement konnten eingebürgerte Spieler allerdings nur dann eingesetzt werden, wenn sie mindestens drei Jahre in ihrem neuen Heimatland gelebt und ebenso lang kein Länderspiel mehr für ihr Ursprungsland bestritten hatten.

Bei der Endrunde 1934 setzte Italien mit den ehemaligen Argentiniern Luis Monti und Enrico Guaita und dem eingebürgerten Brasilianer Filó gleich drei Akteure ein, bei denen die Regularien nicht eingehalten wurden. Italien hätte wie Argentinien, das ebenfalls einen nicht spielberechtigten Spieler eingesetzt hatte, disqualifiziert werden müssen. Politisch war dies jedoch offensichtlich nicht gewollt.

Ralf Amshove

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