21.06.2014 13:03 Uhr

WM 1974: Als Holland im Finale baden ging

Das Tor zum Titel: Gerd Müller trifft in München zum 2:1 und macht Deutschland zum Weltmeister
Das Tor zum Titel: Gerd Müller trifft in München zum 2:1 und macht Deutschland zum Weltmeister

Was kommt dabei heraus, wenn sich Nationalspieler während einer WM mit leichten Mädchen im Pool vergnügen und der Kapitän sich die Nacht vor dem Endspiel telefonierend um die Ohren schlägt? Richtig: der Vizeweltmeistertitel.

1974 war ein aufregendes Jahr für die Bürger der Bundesrepublik. Horst Tappert eroberte als "Derrick" die deutschen Wohnzimmer, Bundeskanzler Willy Brandt trat im Zuge der Spionageaffäre zurück, die Regierung verabschiedete ein Punktesystem für Verkehrssünder und setzte die Grenze für die Volljährigkeit von 21 auf 18 herab. Und Deutschland war erstmals in seiner Geschichte Ausrichter einer Fußball-Weltmeisterschaft.

Dass man nach dem zweiten Platz 1966 und dem dritten Rang 1970 nichts weniger als den Titel erwarten würde, versteht sich von selbst. Alles andere wäre für den damaligen Europameister eine Enttäuschung gewesen. Und tatsächlich schaffte die DFB-Elf den Sprung in das Endspiel. Doch obwohl Bundestrainer Helmut Schön namhafte Spieler wie Franz Beckenbauer, Paul Breitner oder Uli Hoeneß in seinen Reihen hatte, gingen die Gastgeber als Außenseiter in die Partie.

"Voetbal total" – Fußball der Zukunft

Auf der anderen Seite warteten die Niederländer. Mit einer Generation voller Virtuosen, die den Weltfußball mit ihrer revolutionären Spielphilosophie dominierten. Bondscoach Rinus Michel und sein Team setzten ihre Interpretation des 4-3-3 perfekt um. Alle zehn Spieler waren in ständiger Bewegung und überrollten die Gegner mit ihrem "Voetbal total".

Mit dem schlacksigen Kettenraucher Johan Cruyff als überragendem Spielgestalter spielte Oranje ein eindrucksvolles Turnier. Beinahe mühelos erreichten sie das Endspiel. So fertigte die Elftal in der zweiten Finalrunde Mitfavorit Argentinien mit 4:0 ab und behielt auch gegen den amtierenden Weltmeister Brasilien mit 2:0 die Oberhand.

Skandal im Provinz-Pool

Nach diesen brillanten Auftritten sahen sich die Holländer bereits als sicherer Titelträger. Nichts und niemand schien sie mehr aufhalten zu können. Wenn, ja wenn da nicht die Verlockungen des alltäglichen Lebens gewesen wären. Schenkt man den damaligen Berichten der Bild-Zeitung Glauben, so spielte der Fußball im Mannschaftsquartier der Oranje-Stars nur eine Nebenrolle.

Johan Neeskens, Arie Haan und Co. sollen die Zeit im "Waldhotel Krautkrämer" in Münster-Hiltrup nicht etwa mit Gegner-Analysen oder Taktik-Training totgeschlagen haben, sondern vergnügten sich stattdessen lieber auf Pool-Partys mit spärlich bis gar nicht bekleideten Damen. Hier ein Sprung ins kühle Nass, dort ein Pläuschchen mit einer westfälischen Nixe – eine optimale Spielvorbereitung sieht anders aus.

"Mit wie vielen Toren wollt ihr heute verlieren?"

Zudem bescherten die Schlagzeilen im Boulevard Superstar Johan Cruyff wenige Stunden vor dem Finale eine schlaflose Nacht. Angeblich dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis es ihm gelang, seine aufgebrachte Ehefrau am Telefon zu beschwichtigen. Der völlig übernächtigte Spielmacher soll aus diesem Grund im Münchener Olympiastadion nicht sein ganzes Potenzial abgerufen haben – so zumindest lautet der Mythos jenseits der deutsch-niederländischen Grenze.

Allein mit den Geschehnissen im Provinz-Pool lässt sich die 1:2-Finalniederlage gegen die deutsche Mannschaft allerdings nicht erklären. Bernd Hölzenbein berichtete nach dem Spiel in einem Interview, dass in den Blicken der Niederländer ein Gefühl der Unschlagbarkeit zu erkennen war. "Ihre Haltung uns gegenüber war: Mit wie vielen Toren Unterschied wollt ihr heute verlieren, Jungs?"

Oranje wirft den Titel weg

Auch Oranje-Verteidiger Ruud Krol gab Jahre später zu: "Wir waren zu sehr damit beschäftigt zu zeigen, dass wir die Besten waren." Schlussendlich war es neben den Nachwirkungen der "Pool-Affäre" vor allem diese Einstellung, die unseren Freunden aus dem Nachbarland den Titel kostete.

Die holländischen Offensivkünstler scheiterten in jenem Jahr nicht nur an der deutschen Mannschaft, sondern auch an der eigenen Arroganz gepaart mit einer nicht sonderlich professionellen Spielvorbereitung. So verspielte die Elftal den sicher geglaubten Titel und ging bei dieser Weltmeisterschaft nach der Pool-Affäre im Finale ein weiteres Mal baden.

Mehr dazu:
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Thomas Malzacher