20.08.2014 13:04 Uhr

Als Jürgen Klinsmann den "Diver" erfand

Nach seinem Premierentreffer hob Klinsmann zum
Nach seinem Premierentreffer hob Klinsmann zum "Diver" ab

Bei seiner Ankunft auf der Insel galt der Deutsche dort als der Inbegriff der Unsportlichkeit. Vor 20 Jahren debütierte Jürgen Klinsmann mit einem Paukenschlag für Tottenham und eroberte die Herzen der Briten im Sturm.

Es war die Transfersensation des Sommers 1994 im englischen Fußball: Jürgen Klinsmann wechselte vom französischen Klub AS Monaco nach London zu Tottenham Hotspur. Außergewöhnlich machte diese Verpflichtung, dass Alan Sugar, Eigner der Spurs, ausgerechnet mit dem unbeliebtesten Spieler auf der Insel den Angriff seines Teams auf die Topmannschaften der Premier League einzuläuten beabsichtigte. Denn ganz im Gegensatz zu seiner deutschen Heimat galt der Stürmer mit der markanten blonden Mähne bei den Briten spätestens seit der Weltmeisterschaft 1990 als der Inbegriff des unsportlichen Schauspielers und Schwalbenkönigs.

"Why I Hate Jürgen Klinsmann"

Die britische Presse, die das Halbfinalaus der Engländer gegen die DFB-Elf nicht verwunden hatte, warf Klinsmann unter anderem vor, die Rote Karte gegen den Argentinier Pedro Monzon durch ein Übermaß an Theatralik provoziert zu haben. Den Wechsel des Deutschen in die Premier League kommentierte ein Redakteur der seriösen Tageszeitung „The Guardian“ mit der Überschrift "Why I Hate Jürgen Klinsmann", indem er alle vermeintlichen Verfehlungen des Neu-Londoners aufzählte und ihn als "Diver" zum Gegenpol der britischen Fairness im Sport stilisierte. Entsprechend aufgeheizt war die Stimmung, als Klinsmann am 20. August 1994 sein Debüt für Tottenham im Premier-League-Duell bei Sheffield Wednesday gab.

In einem dramatischen Match zum Saisonstart, das 4:3 zugunsten Tottenhams endete, spielte der Neuzugang bis zur 82. Minute eine Nebenrolle. Sein Flugkopfball zum zwischenzeitlichen 4:2 ist weniger einer Erwähnung wert als der Jubel des damals 30-Jährigen. Die Fans von Sheffield hatten als Willkommensgruß Wertungstafeln mitgebracht, wie sie im Eiskunstlauf oder im Wasserspringen benutzt wurden, um Klinsmanns zu erwartenden Taucheinlagen mit einer 6.0 zu benoten. Klinsmann reagierte auf die Häme, indem er nach seinem Treffer mit weit ausgebreiteten Armen bäuchlings über den Rasen rutschte. Diese parodistische Einlage brach das Eis zwischen den Engländern und dem Deutschen. Der "Klinsmann-Dive" wurde zum Kult auf der Insel.

"Why I Love Jürgen Klinsmann"

Das England-Abenteuer von Jürgen Klinsmann dauerte nur ein Jahr. Im Sommer 1995 heuerte der Schwabe bei Bayern München an. Bis dahin hinterließ Klinsmann Spuren auf der Insel wie kein anderer ausländischer Spieler in so kurzer Zeit vor ihm. Weniger die respektablen 21 Tore in 42 Ligaspielen (Platz 5 in der Torjägerliste 1994/95) als vielmehr seine Selbstironie und seine einnehmende Art außerhalb des Platzes ließen ihn in kürzester Zeit zur Tottenham-Legende werden. Erstaunt nahmen die Engländer zur Kenntnis, dass der gutbezahlte Star im VW-Beetle beim Training vorfuhr. 150.000 Trikots mit seinem Namenszug gingen über die Ladentheke. Der überaus kritische Redakteur des Guardian schrieb nur zwei Monate nach seinem ersten Artikel einen zweiten mit der Überschrift: "Why I Love Jürgen Klinsmann".

Auch mit dem blonden Stürmer in ihren Reihen verfehlten die Spurs die anvisierten Europacupplätze um deutliche zehn Punkte und landeten auf dem siebten Platz. Umso erstaunlicher, dass am Ende der Saison die englischen Journalisten Klinsmann als zweiten Deutschen nach Bert Trautmann (1956) zu Englands Spieler des Jahres wählten. Nach seinem Engagement bei den Bayern und einem kurzen Gastspiel bei Sampdoria Genua kehrte Klinsmann im Winter 1997 noch einmal für eine halbe Saison zurück an die White Hart Lane.

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Ralf Amshove