10.09.2014 11:46 Uhr

Vor 15 Jahren: Das "Skandal"-Spiel

Herbert Fandel (r.) stellt einen weiteren Ulmer vom Platz
Herbert Fandel (r.) stellt einen weiteren Ulmer vom Platz

Am 10. September 1999 stellte Schiedsrichter Herbert Fandel vier Spieler von Aufsteiger Ulm vom Platz – bis heute hält dieser Bundesliga-Rekord. weltfussball erzählt, wie der Neuling gegen Hansa Rostock dennoch fast das Wunder schaffte.

Der Auftritt von Ulms Janusz Gora gehörte in jeden Saisonrückblick: "Erste Liga – solche Schiedsrichter! Skandal!", schrie der Spielmacher nach dem Schlusspfiff mit ungarischem Akzent in die Mikrofone der Journalisten. Wenige Sekunden zuvor hatte Schiedsrichter Herbert Fandel, heute Vorsitzender des DFB-Schiedsrichter-Ausschusses, eine historische Partie abgepfiffen. Vier Ulmer hatte Fandel in den abgelaufenen 90 Minuten vom Platz gestellt und zusätzlich Ulms Trainer Martin Andermatt und den Manager Erich Steer auf die Tribüne verwiesen. Skandalös war allerdings nicht die Leistung des Unparteiischen, sondern die Spielweise der Ulmer.

Alle vier Platzverweise waren berechtigt. Das konstatierte Ulms damaliger Nachwuchsstürmer Sascha Rösler Jahre später in einem Zeitungsinterview. Vielmehr gab er zu, dass es auch ihn hätte treffen können: "Ich hätte auch die Rote Karte sehen müssen. Immerhin habe ich dem Fandel ja fast in die Nase gebissen." Nachdem der Schiedsrichter in der Nachspielzeit Janos Radoki wegen einer Notbremse vom Platz gestellt hatte, war Rösler völlig außer sich auf Fandel zugestürmt.

Sieben Ulmer gegen elf Rostocker

Aber der Reihe nach. Mit einem Unentschieden und zwei Niederlagen war der SSV Ulm in das Bundesliga-Abenteuer gestartet. Sein Schweizer Trainer Martin Andermatt wollte es beim Auswärtsspiel in Rostock am vierten Spieltag mit einer mutigen taktischen Variante versuchen und stellte gleich vier Stürmer auf. Aber die Idee des Trainers ging im wahrsten Sinne nach hinten los. Denn die personell dezimierte Ulmer Defensive sah sich von der ersten Minute einem Rostocker Sturmlauf ausgesetzt. Schon in der vierten Minute erzielte Kai Oswald den Führungstreffer für die Ostseestädter. Auch in der Folgezeit kamen die Ulmer in den Zweikämpfen immer wieder gegen die schnellen Angreifer der Gastgeber zu spät.

In der 45. Minute war es dann so weit: Der bereits verwarnte Stürmer Hans van der Haar mähte seinen Gegenspieler Mohamed Emara um und wurde folgerichtig vom Platz gestellt. Als es dann in der 60. Minute Uwe Grauer mit einer Gelb-Roten und eine Viertelstunde vor Spielende Evans Wise mit einer glatt Roten erwischte, schien der Sieg der Rostocker perfekt. Mit sieben gegen zehn Feldspielern gelang dem SSV jedoch durch Janusz Gora sensationell der Ausgleich. Zehn Minuten lang verteidigten die übrig gebliebenen Ulmer das eigene Tor, bis in der 90. Minute Rostocks Viktor Agali dann doch noch die Lücke fand und zum 2:1-Endstand einschoss.

Sportlicher und finanzieller Abstieg

Die Schwaben ließen nach dem Spiel ihren aufgestauten Frust an Schiedsrichter Herbert Fandel aus. Der wütende Janusz Gora räumte auf dem Weg in die Kabine einen Ordner unsanft aus dem Weg und schrie sein berühmt gewordenes "Skandal!" in die Kameras. Kurzfristig zog der Aufsteiger positive Energie aus dem historischen Spiel an der Ostseeküste. Im folgenden Heimspiel gegen Arminia Bielefeld gelang Ulm der erste Bundesligasieg seiner Geschichte. Am Ende reichte es für den SSV allerdings nicht. Mit drei Punkten Rückstand auf Hansa Rostock auf dem ersten Nichtabstiegsplatz musste Ulm bereits nach einem Jahr die Bundesliga wieder verlassen.

Langfristig erwies sich der Ausflug in die höchste deutsche Spielklasse als Fiasko. Der SSV hatte sich finanziell übernommen. Nur ein Jahr nach dem Bundesliga-Abschied stieg der Verein sportlich auch aus der 2. Bundesliga ab. Da den Schwaben die Lizenz für die Regionalliga verweigert wurde, mussten sie im folgenden Jahr in der Verbandsliga antreten. Nach insgesamt drei Insolvenzen seit dem Jahrtausendwechsel spielt der SSV Ulm inzwischen in der fünftklassigen Oberliga Baden-Württemberg.

Ralf Amshove