22.12.2014 15:33 Uhr

Vor 40 Jahren: Der erste Farbige im DFB-Trikot

Debüt gegen Malta: Erwin Kostedde
Debüt gegen Malta: Erwin Kostedde

Weltmeister Jérôme Boateng, Vizeweltmeister Gerald Asamoah oder Neunationalspieler Antonio Rüdiger – die Liste dunkelhäutiger deutscher Nationalspieler ist lang. Den Anfang machte im Dezember 1974 der Sohn eines US-amerikanischen GI's.

Am 22. Dezember 1974 trat die DFB-Elf zur EM-Qualifikation beim krassen Außenseiter Malta an. Der müde 1:0-Erfolg des Weltmeisters auf der kleinen Mittelmeerinsel durch ein Tor von Berd Cullmann wäre sicher keiner besonderen Erwähnung wert, hätte sich für Erwin Kostedde, den Sohn eines afro-amerikanischen Soldaten und einer Deutschen, nicht ein Lebenstraum erfüllt. Der 28-Jährige lief als erster farbiger Spieler für die deutsche Nationalmannschaft auf.

Sein gesamtes Leben über hatte sich Kostedde als Außenseiter fühlen müssen. Er wuchs im tief katholischen Münster der Nachkriegszeit auf, wo man ihm das Gefühl gab, aufgrund seiner Hautfarbe nicht dazu zu gehören. Durch den Fußball verschaffte Kostedde sich die Anerkennung, die ihm ansonsten allzu häufig verwehrt wurde. Bei seinem Heimatverein Preußen Münster verdiente sich der Nachwuchsstürmer in der zweitklassigen Regionalliga West seine ersten Meriten. Schon damals konnte er den Verlockungen des Alkohols nur selten widerstehen und war selbst vor Spieltagen bis in den späten Abend hinein in seiner Stammkneipe anzutreffen.

Heimliche Flucht über die Grenze

Trotz des wenig professionellen Lebenswandels zog Kostedde die Aufmerksamkeit einiger Bundesligisten auf sich und landete schließlich beim MSV Duisburg. Das Kapitel war schon nach weniger als einem Jahr beendet. Kostedde verpasste mehrfach nach durchzechter Nacht das Training, setzte sich mitten in der Saison ohne Absprache mit dem Verein nach Amsterdam ab und wurde daraufhin entlassen.

Den nächsten Vertrag unterschrieb Kostedde dann bei Alemannia Aachen. In deren gelb-schwarzen Trikots sollte er allerdings nie auflaufen. Denn auf der Straße sprach ihn ein jugoslawischer Spielervermittler an und versprach ihm 80.000 Mark Jahresgehalt, wenn er für den belgischen Klub Standard Lüttich auflaufen würde. Kostedde widerstand den Verlockungen des lukrativen Angebots nicht. In einer Nacht- und Nebelaktion holte sich Kostedde, der in der Villa eines Alemannia-Sponsors untergekommen war, seinen Pass und verschwand mit seinen jugoslawischen Freunden über die Grenze und ließ ahnungslose Aachener zurück. Mehr als eine Woche versteckte sich der Stürmer in einem belgischen Küstenstädtchen, bis sich Lüttich und Aachen auf einen Wechsel geeinigt hatten.

In Belgien nahm die Karriere des Münsteraners Fahrt auf. In drei Jahren wurde Kostedde drei Mal belgischer Meister und wurde 1970/1971 mit 29 Toren Torschützenkönig. Der belgische Verband bemühte sich, den torgefährlichen Angreifer für die belgische Nationalmannschaft zu rekrutieren, aber Kostedde wollte seinen Jugendtraum, einmal für Deutschland zu spielen, nicht aufgeben. Nach drei Jahren in Belgien wechselte der mittlerweile 25-Jährige zurück nach Deutschland.

In Offenbach zum Kult-Kicker

Bei den gerade aus der 1. Liga abgestiegenen Offenbacher Kickers erreichte innerhalb von vier Jahren Kultstatus. Kostedde führte die Hessen gleich im ersten Jahr zurück ins Oberhaus und erzielte dort in jeder der drei folgenden Saisons mindestens 15 Tore. Zum Lohn nominierte ihn Bundestrainer Helmut Schön im Dezember 1974 in den Kader für das EM-Qualifikationsspiel gegen Malta. "Ich war stolz darauf, Nationalspieler zu sein," erklärte Kostedde Jahre später. "Vielleicht zu stolz, denn bei den Spielen war ich zum Teil völlig übermotiviert." Dies und der Umstand, dass mit Gerd Müller, Jupp Heynckes und Klaus Fischer internationale Top-Stürmer mit ihm um den Platz in der Sturmmitte konkurrierten, sorgten dafür, dass die Nationalmannschaftskarriere nach nur drei Spielen ohne Tor beendet war.

In der Liga verschlug es ihn nach seiner Offenbacher Zeit unter anderem nach Berlin zur Hertha und später zu Borussia Dortmund. Dort bekam er immer wieder Probleme mit einigen rassistischen Fans des BVB, so dass er phasenweise vornehmlich bei Auswärtsspielen eingesetzt wurde. Ende der 70er Jahre holte sich Kostedde in der französischen ersten Liga in Diensten von Stade Laval die Torjägerkanone, bevor ihn Rudi Assauer 34-jährig zu Werder Bremen in die Zweite Liga lotste. Mit 29 Toren trug der erfahrende Angreifer maßgeblich zum direkten Wiederaufstieg der Bremer unter Trainer Otto Rehhagel bei.

"Der einstige Erwin Kostedde ist 1990 gestorben"

Nachdem Kostedde seine Karriere 1982/1983 in der zweiten Liga beim VfL Osnabrück hatte ausklingen lassen, wurde es ruhig um den ehemaligen Kult-Kicker. Falsche Freunde und windige Geschäftspartner brachten ihn um sein Vermögen, wenige Jahre nach seinem Karriereende saß das Idol von einst auf einen Schuldenberg.

1990 geriet Kostedde noch einmal in die Schlagzeilen. Im westfälischen Coesfeld hatte eine dunkelhäutige Person mit vorgehaltener Waffe eine Spielhalle überfallen und 190 Mark erbeutet. Bei der Polizei meldete sich ein Zeuge und gab an, Erwin Kostedde als den Täter identifiziert zu haben. Kostedde kam in Untersuchungshaft und erlitt dort einen Nervenzusammenbruch, während sich die Boulevardpresse mit Vergnügen auf den vermeintlichen Fehltritt des ehemaligen Bundesligastars stürzte. Vor Gericht fiel die Anklage in sich zusammen, Kostedde wurde freigesprochen und erhielt 3.000 Mark Entschädigung für ein halbes Jahr Gefängnis.

Bis heute ist Kostedde, der zurückgezogen in der Nähe seiner Heimatstadt Münster lebt, stolz darauf, als erster farbiger Nationalspieler in die Annalen des deutschen Fußballs eingegangen zu sein, aber ebenso enttäuscht, dass eine nach Schlagzeilen gierende Boulevardpresse und unsauber ermittelnde Polizeibeamte seinen Ruf nachhaltig zerstörten. "Der einstige Erwin Kostedde ist 1990 gestorben", sagte der desillusionierte Stürmer im Ruhestand in einem Interview. Aufgrund seiner Hautfarbe hat Kostedde in seiner gesamten Karriere mit Vorbehalten zu kämpfen gehabt, sich aber nie unterkriegen lassen und damit den Weg dafür geebnet, dass heute junge Fußballer nach ihrer Leistung und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden.

Ralf Amshove