20.03.2015 10:00 Uhr

Kiel: Wege, die nicht beklatscht werden

Karsten Neitzel geht seinen Weg kontinuierlich und kompromisslos
Karsten Neitzel geht seinen Weg kontinuierlich und kompromisslos

Der Aufstiegskampf in der dritthöchsten deutschen Spielklasse hat es in sich! Neben der Bielefelder Arminia meldete die halbe Liga im Laufe der letzten Monate Ambitionen nach ganz oben an und stand schon auf einem der ersten beiden Plätze. Hinter dem mittlerweile souveränen Ligaprimus aus Ostwestfalen hat sich seit Februar ein Team in Stellung gebracht, welches noch Mitte der Saison mit dem Aufstiegsrennen überhaupt nichts zu schaffen hatte.

Seit Februar wird bei der Kieler Sportvereinigung Holstein nach über 30 Jahren wieder von der Zweitklassigkeit geträumt. Die Norddeutschen sicherten im Vorjahr als Aufsteiger erst am letzten Spieltag die Klasse und standen auch im vergangenen September nur auf Platz 15, legten seitdem aber eine verrückte Serie mit nur einer Niederlage in 20 Spielen hin. weltfussball sucht nach den Gründen für den Höhenflug der Störche und sprach mit Holstein-Trainer Karsten Neitzel.

Kiels Cheftrainer nimmt die plötzliche Neugier an ihm und seinem Team gelassen: "Dass sich auf einmal Leute für uns interessieren, die sich vorher nicht für uns interessiert haben, ist ja schon immer ein sehr gutes Zeichen." Nur, um gleich nachzuschieben: "Das ist ein Nebeneffekt, der uns nicht weiter tangiert. Wir nehmen den gegenwärtigen Erfolg so wahr, wie er auch wahrzunehmen ist: nämlich als Momentaufnahme!"

Es kommt eben nicht von ungefähr, dass die Holsteiner in diesem Kalenderjahr mit sechs Siegen und einem Remis eine formidable Bilanz aufweisen und den kriselnden Rot-Weiß Erfurt vom zweiten Aufstiegsplatz verdrängt haben. Als wichtigsten Charakterzug des Teams um Mannschaftskapitän Rafael Kazior benannte Coach Karsten Neitzel den Umgang mit dem fast direkten Wiederabstieg 2014 in die Regionalliga, als die KSV erst am letzten Spieltag das Überleben in der 3. Liga klarmachte: "Wenn du eine zusammengeschweißte Truppe hast, die auch schon mal 13 Spiele lang kein Spiel gewonnen hat so wie wir letztes Jahr, dann gehst du mit unserer jetzigen Situation auch anders um. Jetzt laufen viele Dinge gruppendynamisch eh von ganz alleine. Viel beeindruckender war der Umgang hier miteinander in der letzten Saison, als es eben nicht lief. Wenn du so eine Erfahrung gewinnbringend in die tägliche Arbeit einbringst, ist das eine Hilfe."

Der 47-Jährige lobt vor allen Dingen die Laufbereitschaft gegen Ball und Gegenspieler bei seiner Elf. Hier sieht er das große Plus im Team. "Wir sind in jedem Spiel maximal bereit, die Wege zu gehen, die von außen eben nicht beklatscht werden. Dieses Arbeiten der gesamten Mannschaft hat uns dahin gebracht, wo wir derzeit stehen."

Mit Abstand beste Defensive der Liga

Die Störche ringen die Gegner in erster Linie mit einem Vorzeige-Defensivspiel nieder. Stolze 15 Mal stand hinten die Null. Laut Neitzel ein Verdienst der ganzen Mannschaft: "Wenn die vorne nicht mitarbeiten, kann die Abwehrreihe so gut stehen, wie sie will. Dann wird sie es trotzdem nicht gebacken bekommen, ohne Gegentor zu bleiben. Wenn man sieht, wie unsere Offensivabteilung gegen den Ball arbeitet: Da gehören wir schon zu den Besseren in der Liga. Dann muss man noch sagen, dass wir in der ein oder anderen Situation einen ganz guten Torwart hinten drin haben."

Die reinste Untertreibung, meint dazu der Kieler Journalist und große Holstein-Experte Andreas Geidel: "Kenneth Kronholm ist für mich eindeutig der beste Keeper der Liga in dieser Saison. Der hat Kiel bestimmt schon zehn Punkte gebracht."

Letztlich schätzt der Redakteur der "Kieler Nachrichten" die Entwicklung der KSV ähnlich ein wie der Chefcoach: "Es ist nicht so, dass plötzlich ein komplett anderer Fußball gespielt wird. Es hat sich strategisch nicht viel verändert. Nach hinten wird sensationell gearbeitet, vorne fehlt in manchen Situationen noch die Übersicht. Taktgeber ist eindeutig Kapitän Rafael Kazior, der auf dem Platz die Kommandos gibt. Außerdem hat sich bislang die Verpflichtung von Linksverteidiger Patrick Kohlmann als Goldgriff erwiesen."

Knifflige Aufgaben gegen Abstiegskandidaten

Wo geht die Reise in den nächsten Wochen mit noch neun ausstehenden Spielen also hin für die Holsteiner, die seit 1981 keine Zweitligaluft mehr geatmet haben?

In bester Manier eines unverhofften Aufstiegskandidaten nimmt Karsten Neitzel Druck von seinen Mannen. Er spricht über die noch ungewohnte Konstellation, in den nächsten Meisterschaftsspielen gegen Regensburg, Sonnenhof Großaspach und Mainz II stets als Favorit den Rasen zu betreten: "Unsere Aufgabe als Trainer wird sein, den Jungs vor jedem Spiel die richtige Spannung zu vermitteln. Du darfst nicht überdreht sein, darfst aber auch keinen Spannungsverlust haben. Über den Aufstieg zu reden oder nachzudenken, bringt einfach nichts. Man kann sich freuen, wenn man ihn geschafft hat, aber vorher braucht man nicht darüber nachdenken."

Kieler Umfeld vollends zweitligatauglich

Kiel-Insider Andreas Geidel legt sich fest: "Wenn von den nächsten fünf Spielen vier gewonnen werden, ist dieses Jahr alles möglich. Das Schöne ist, dass es im Verein nicht den geringsten Aufstiegsdruck gibt. Da wird die Mannschaft in Ruhe gelassen. Die Rahmenbedingungen sind vergleichsweise überragend." Und damit ist neben dem Umfeld und der Vereinsstruktur vor allem auch das Finanzkonzept des Klubs gemeint.

Einzig beim alterwürdigen Holstein-Stadion sieht Geidel noch Nachholbedarf beim Sprung in die Zweitklassigkeit: "Es müsste schon noch die ein oder andere Funzel reingedreht werden."

Tipp: Auf dem Weg in Liga zwei ist die nächste Hürde für Holstein Kiel das Tabellenschlusslicht Jahn Regensburg (Samstag ab 14:00 Uhr im weltfussball-Liveticker)

Mats-Yannick Roth