22.03.2015 10:52 Uhr

Beşiktaş: Im Kollektiv zum Titel

Auf dem Weg zur Meisterschaft: Demba Ba und Beşiktaş
Auf dem Weg zur Meisterschaft: Demba Ba und Beşiktaş

Das Topspiel in der türkischen SüperLig wirft seine Schatten voraus. Für Beşiktaş könnte das Duell gegen Fenerbahçe ein wegweisendes sein. Der erste Titel seit sechs Jahren wäre die Belohnung für einen neu eingeschlagenen Weg.

Der erste große Traum ist am Donnerstag geplatzt. Auf die harte Tour. Vor knapp 70.000 frenetischen Zuschauern wollte Beşiktaş zum ersten Mal seit 2003 in ein europäisches Viertelfinale einziehen. Und wenige Wochen später womöglich nach dem ersten internationalen Titel der Vereinsgeschichte greifen. Dieser Wunsch wird sich nach dem Aus gegen den Club Brugge nicht erfüllen.

Der großen Ernüchterung folgte jedoch postwendend der Blick in die Zukunft. "Wir hatten einen Traum, an den wir geglaubt haben. Jetzt müssen wir schnell wieder aufstehen", forderte Trainer Slaven Bilić die umgehende Verarbeitung der 1:3-Niederlage. Und zwar aus gutem Grund, denn zehn Spieltage vor dem Saisonende führen die schwarzen Adler die türkische SüperLig an und haben beste Aussichten auf die erste Meisterschaft seit sechs Jahren.

Starkes Kollektiv, eiskalter Torjäger

Zwei Punkte und vier Tore beträgt der aktuelle Vorsprung auf den Tabellenzweiten Galatasaray. "Diese Ausgangsposition sollten wir positiv verwerten", meint nicht nur Bilić, der das Team in seiner zweiten Saison überraschend an die Spitze geführt hat.

Überraschend, weil die stadtinterne Konkurrenz auf dem Papier über das stärkere Personal verfügt. Geht es aber um das Kollektiv, so bringt der kroatische Cheftrainer Woche für Woche eine Elf auf den Rasen, die diesen vermeintlichen Nachteil kompensiert.

Dabei mangelt es auch Beşiktaş nicht an überragenden Einzelkönnern. Einer davon ist Demba Ba (kam für sechs Millionen Euro aus Chelsea). In Istanbul hat der Senegalese seinen Torinstinkt wiedergefunden. 23 Treffer in 32 Pflichtspielen haben den 29-jährigen Ex-Hoffenheimer wieder in den Kreis der Nationalmannschaft und seinen Verein an die Tabellenspitze befördert.

Ex-Bundesligatrio dreht auf

Gefüttert wird der Top-Torjäger der Liga in den meisten Fällen von drei Ex-Bundesligakickern: Gökhan Töre (ehemals HSV), Olcay Şahan (Duisburg, Kaiserslautern) und José Ernesto Sosa (Bayern). Dieses Trio zählt in dieser Saison zum Besten, was die Liga zu bieten hat. 29 von 42 Toren hat das ganze Offensivquartett insgesamt erzielt, 18 Treffer haben die Vier zudem direkt vorbereitet - Traumwerte, die Fans und Verantwortliche ins Schwärmen geraten lässt.

Vor allem der 23-jährige Töre weiß Woche für Woche zu überzeugen. "Alle Spieler sind wichtig. Doch ich gebe zu, Gökhan ist etwas Besonderes", hebt Bilić die Bedeutung des gebürtigen Kölners gesondert hervor. Dass es in dieser Saison so gut laufen würde, hatte aber selbst der Coach, der seit jeher einen offensiven Spielstil bevorzugt, nicht vorhergesehen.

Neuer Kurs, neues Glück

Dass die Trauben im internationalen Vergleich (noch) zu hoch hängen, haben die beiden Spiele gegen den Club Brugge gezeigt. Den richtigen Weg, davon sind die Verantwortlichen überzeugt, haben sie dennoch eingeschlagen. "Schon am Ende der letzten Saison haben wir nur Spieler verpflichtet, die zu unserer Strategie passen", nennt Präsident Fikret Orman (seit Mai 2012 im Amt) ein Geheimnis des Erfolgs.

Das Wettbieten um internationale Altstars, die den Herbst ihrer Karriere am Bosporus verbringen wollen, soll endgültig der Vergangenheit angehören. Zusammenhalt und eine gut durchdachte Personalplanung sind ein wichtiger Teil der neuen Agenda. "Nur wenn alle Beteiligten, vom Sportdirektor bis zu den Scouts, ihre volle Zustimmung geben, verpflichten wir den Spieler", sagt Orman.

Seit fast zwei Jahren geht der Plan auf. Nach den Plätzen vier, fünf, vier und zwei dritten Rängen schauen die Adler derzeit von der Tabellenspitze auf den Rest der Liga herab. Die Chancen auf den Gewinn der Meisterschaft sind so groß wie lange nicht.

Wegweisendes Derby gegen Fenerbahçe

Die nächste Hürde auf dem Weg zum 14. nationalen Titel wartet am Sonntag. Dann trifft der Tabellenführer im Spitzenspiel auf den Tabellendritten Fenerbahçe (19:00 Uhr im weltfussball-Liveticker). Mit einem Sieg würde man das bestehende Zwei-Punkte-Polster auf Verfolger und Rekordmeister Galatasaray (19 Titel) mindestens halten, im Optimalfall gar auf fünf Zähler ausbauen.

Fast noch wichtiger: Der Abstand auf Fenerbahçe selbst würde auf sieben Punkte anwachsen. Der zweite Platz, also die Champions-League-Qualifikation, wäre dem Team nur noch schwer zu nehmen. Es wäre der nächste Schritt in der Entwicklung des Traditionsvereins. Sollte in der kommenden Saison im dann endlich fertiggestellten İnönü Stadı tatsächlich die Hymne der Königsklasse erklingen, würde sich ein neuer Traum erfüllen.

Christian Schenzel