02.06.2015 21:18 Uhr

Kickers-Aufstieg: Das Wunder von Würzburg

Würzburgs Nico Herzig (r.) herzt Coach Bernd Hollerbach
Würzburgs Nico Herzig (r.) herzt Coach Bernd Hollerbach

Die Würzburger Kickers kehren nach einer dramatischen Relegation gegen den 1. FC Saarbrücken zurück in den bezahlten Fußball - 37 Jahre nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga. Dass das passieren könnte, hatte noch vor wenigen Jahren niemand für möglich gehalten.

Ein schönes und vor allem altes Stadion besitzen die Würzburger Kickers. Eines, das so manchem Fußball-Nostalgiker die Freudentränen in die Augen treibt. Am Dallenberg, direkt neben dem Zubringer zur A3, schmiegt sich die 'flyeralarm Arena' – im Volksmund schlicht das Kickers-Stadion genannt – im wahrsten Sinn des Wortes in den Hügel.

Das 1967 eröffnete reine Fußballstadion verfügt über eine überdachte Haupttribüne, deren Sitzschalen am Kaiserslauterer Betzenberg große Zeiten miterlebt haben. Sie sind allerdings auch die einzigen Sitzmöglichkeiten, denn der Rest des Stadions besteht aus unüberdachten Stehplatztribünen. Rund 10.000 Fans passen in die Spielstätte, die bis heute ein Hauch längst vergangener Zeiten umweht.

Ein Fanal für den Niedergang

Jahrzehntelang war die Arena nicht nur für die Kickers, sondern für den gesamten Würzburger Fußball ein Mahnmal, eine Erinnerung an früher, als der Deutschen liebster Sport in der Universitätsstadt noch eine große Rolle gespielt hatte. Denn Fußball in Würzburg war lange Zeit vor allem eines: ziemlich tot.

Der Niedergang begann wie so oft mit dem größten Erfolg: 1976 stieg der FV 04 Würzburg in die 2. Bundesliga auf, hielt sich dort bis 1980 und war ein Jahr später insolvent. Die Kickers folgten dem großen Lokalrivalen nach 25 Jahren ununterbrochener Zugehörigkeit zur damals drittklassigen Bayernliga 1977 in die 2. Liga. Es war auch für sie der Anfang vom Ende. Nach nur einer Saison in der Zweitklassigkeit verabschiedeten sich die Rothosen wieder Richtung Amateurfußball und rauschten rasant in die Niederungen des regionalen Spielbetriebs. Drei Mal packte der Klub bis 2011 zwar noch die Rückkehr in die Bayernliga, jedes Mal stieg er umgehend wieder ab.

Der Verein fristete mitten in der Stadt ein Dasein als Dorfklub. Den großen Parkplatz unterhalb des Stadions, von dem aus man die Arena bestenfalls erahnen kann, kannten die Einheimischen nur noch als willkommene Parkgelegenheit für den Besuch des nebenan gelegenen Freibades oder als Abstellplatz für Wohnwagen. Unzählige Würzburger Fahrschüler lernten auf dem weiten Areal die Grundlagen des Fahrens. Für Fußballfans wurde der Platz ohnehin nicht mehr gebraucht; die wenigen, die kamen, fuhren mit der Straßenbahn.

Sportlich und finanziell ein Scherbenhaufen

Als die Kickers schließlich Anfang der 2000er Jahre bis in die siebtklassige Bezirksliga Unterfranken Mitte durchgereicht wurden, schien ihr Schicksal endgültig besiegelt; der Verein stand 2003 kurz vor der Insolvenz. An höherklassigen Fußball dachten nicht einmal mehr die kühnsten Optimisten. Das sportinteressierte Publikum ging sowieso längst zum Basketball, ein gewisser Dirk Nowitzki hatte Würzburgs Korbjäger zur klaren Nummer eins in der Region gemacht.

Abseits aller überregionalen Aufmerksamkeit aber begann das Pflänzchen Hoffnung wieder zu wachsen. Die Kickers kletterten Liga um Liga nach oben und peilten schließlich zur Liga-Reform 2012 den Aufstieg in die neue fünftklassige Bayernliga Nord an. Und dann kam das Glück zurück.

Denn als Meister der Landesliga nahm der Klub an der Qualifikation zur neu eingeführten Regionalliga Bayern teil und realisierte in zwei K.o.-Spielen gegen den BC Aichach den Doppelaufstieg. Plötzlich war man in der vierten Liga angekommen und etablierte sich auf Anhieb im Mittelfeld. Parallel zur sportlichen Entwicklung fungierte Thorsten Fischer, Gründer und Eigentümer der bundesweit durch Sportsponsoring bekannten Würzburger Druckerei 'flyeralarm', als Mäzen und zahlte Bares für den Stadionnamen. Mit seiner Unterstützung setzten sich die Kickers im Frühjahr 2014 ein hohes Ziel: In drei Jahren wollte man in die 3. Liga aufsteigen.

Warum in die Ferne schweifen?

Das Projekt "3x3 – jetzt oder nie" wurde begleitet von einer großen Marketingoffensive in der Region, die Kickers rückten wieder ins Bewusstsein der Leute. Auf einmal schien der Gedanke, für Profifußball nicht mehr nach Nürnberg, Frankfurt oder München fahren zu müssen, gar nicht mehr so utopisch zu sein.

Zumal es der Verein ernst meinte und auf allen Ebenen werkelte: Durch Aktionen wie etwa den Verkauf von Dreijahres-Dauerkarten und das Gewinnen von Partnern und Sponsoren wurde das für den großen sportlichen und finanziellen Schritt nötige Kapital generiert. Die Stadt sicherte für die Sanierung des Stadions Hilfe zu. Fans und Vereinsmitglieder legten am Dallenberg selbst Hand an, um Auflagen des DFB zu erfüllen. Die Lizenzmannschaft wurde in eine Aktiengesellschaft ausgegliedert, die sich zu 100% in Besitz des Hauptvereins befindet. Dass der Aufstieg schon im ersten Jahr real werden würde, konnte freilich keiner ahnen.

Hollerbach als Glücksgriff

Der entscheidende Faktor dafür war die Verpflichtung von Bernd Hollerbach als Coach. Der langjährige Co-Trainer von Felix Magath stammt aus dem nahe gelegenen Rimpar, er hatte einst selbst vom FWK aus den Sprung in den Profifußball geschafft. Hollerbach wurde nicht einfach nur Trainer, er wurde das Gesicht der Kampagne und des gesamten Vereins. Auf seine Vermittlung hin übernahm die Sylter 'Sansibar' das Hauptsponsoring, durch seine Kontakte fanden viele Spieler mit Profierfahrung den Weg nach Würzburg. 14 Neuzugänge holte der Ex-Profi an den Main, ebenso viele Spieler verließen den Verein.

"Er ist das Aushängeschild, er ist der Star. Er hat die Spieler geholt. Wir haben eigentlich alles ihm zu verdanken", sagte Topstürmer Christoph Bieber nach dem Aufstieg im Bayerischen Fernsehen über seinen Coach. "Er und Thorsten Fischer haben hier das Ruder in der Hand. Und man sieht, was dadurch aus diesem Verein entstehen kann, der eigentlich vor kurzem noch ein Hobbyverein war". Hollerbach selbst gab sich nach dem dramatischen 6:5-Sieg im Elfmeterschießen gegen den 1. FC Saarbrücken demütig: "Ich habe dem Verein zu verdanken, dass ich Bundesliga und Champions League spielen durfte. Es macht mich glücklich, dass ich das heute ein bisschen zurückgeben durfte."

Das große Verdienst von Hollerbach ist es, aus der fast völlig neu zusammengestellten Mannschaft binnen kürzester Zeit eine funktionierende Einheit geformt zu haben, die sich von Anfang an an der Spitze der Regionalliga etablierte. Würzburg stellte in der abgelaufenen Saison mit 67 Treffern den besten Angriff und fing sich nur 15 Gegentore – ebenfalls Topwert. Mit ganzen zwei Niederlagen wurden die Kickers souverän Meister.

In zwölf Jahren von der Hölle in den Himmel

Kein Wunder, dass sich manch einer wie im Märchen fühlt: "Ich bin (Anm. d. Red.: im Sommer 2012) hierher gekommen, da haben wir dreimal die Woche trainiert. Zu der Zeit sind wir nach München gefahren, haben sechs Eier bekommen, sind wieder heimgefahren – aber das war ok. Keiner hat sich einen Kopf drüber gemacht", beschreibt der 19-Tore-Mann Bieber die unglaublich schnelle Professionalisierung, die in der Stadt eine nicht für möglich gehaltene Euphorie entfachte und die Kickers nur zwölf Jahre nach dem sportlichen Offenbarungseid in die Drittklassigkeit katapultierte.

Den eingeschlagenen Weg wollen die ambitionierten Franken weitergehen. Es gilt, das Stadion an moderne Anforderungen anzupassen und sich sportlich in der 3. Liga zu etablieren. Denn Schluss soll in Würzburg noch lange nicht sein. Oder wie es der geborene Unterfranke Bieber formuliert: "Jetzt haben wir etwas, was ich mir niemals vorstellen hätte können: Profifußball in Würzburg. Jetzt kommt Dynamo Dresden. Ich weiß gar nicht, ob die Stadt dafür gewappnet ist, aber wir freuen uns drauf."

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Joachim Rothbauer