04.06.2015 09:00 Uhr

Adler statt Bullen auf der Brust

Martin Rasner: Der Taktgeber im Mittelfeld des ÖFB-U20-Teams
Martin Rasner: Der Taktgeber im Mittelfeld des ÖFB-U20-Teams

Im letzten Gruppenspiel der U20-WM in Neuseeland wartet auf Österreich am Freitag (ab 6:00 Uhr MESZ im weltfussball-Liveticker) der gewaltig unter Zugzwang stehende Rekordchampion Argentinien. Doch beim ÖFB-Nachwuchs herrscht große Vorfreude auf die wichtige Partie, bei der schon ein Punkt sicher zum Aufstieg in das Achtelfinale reicht.

Österreich hat sich nach zwei Spielen mit vier Punkten eine Top-Ausgangsposition geschaffen, U20-Rekordweltmeister Argentinien ist mit nur einem Zähler hingegen in völlig unerwarteter Not. Coach Humberto Grondona sprach vor dem Turnierstart großmundig vom WM-Titel und schwärmte von seiner tollen Truppe. Nun droht das sensationelle Aus bereits in der Gruppenphase. Nur ein Sieg bewahrt die "Albicelestes" vor dem Heimflug.

"Wir mögen es nicht zu verlieren und wir sind es auch nicht gewohnt. Aber wir haben noch Chancen in diesem Turnier, wir sind noch am Leben", zeigte sich Grondona trotz dem 2:2-Auftaktremis gegen Panama und der folgenden 2:3-Pleite gegen Ghana als Kämpfernatur.

Schockt Österreich die Fußballwelt?

Für die ÖFB-Youngsters ist es die Gelegenheit die Fußballwelt erneut zu schocken. Es war mit Bernd Fisa ein Ex-Journalist aus Österreich, der Ex-FIFA-Zampano Sepp Blatter bei dessen Rücktrittsrede symbolisch die Tür zum Abschied öffnete. Als Begleiter, Sprachrohr und Medienberater des vermeintlich ewig regierenden Schweizers. Blatter hatte sich ab dem Semifinale auch für einen Besuch bei der U20-WM angesagt, niemand in Neuseeland rechnet nach dem Geschehen der letzten Tage allerdings noch mit dem Eintreffen der FIFA-Titanic.

Stattdessen können die rot-weiß-roten Hoffnungsträger auch das nächste unsinkbar geltende Aushängeschild des Weltfußballs nach Hause schicken. ÖFB-U20-Teamchef Andreas Heraf gab sich jedoch im Vorfeld des Spiels zurückhaltend: "Für mich ist Argentinien nach wie vor ein Mitfavorit auf den Titel. Die Mannschaft hat speziell in der Offensive eine irrsinnig hohe individuelle Klasse."

Nicht jedoch, ohne ein Aber anzuhängen: "Wenn wir wieder so gut organisiert auftreten wie in unseren ersten beiden Matches, werden wir zu Chancen kommen. Ich erwarte ein sehr intensives Spiel. Argentinien hat erst einen Punkt, es geht für sie um alles. Meine Mannschaft hat bisher einen großen Willen gezeigt, wenn wir das wieder so umsetzten können, ist einiges möglich", meint Heraf.

Verteidiger Philipp Lienhart steht nach überstandener Gehirnerschütterung wieder bereit, dafür laboriert Florian Grillitsch an einer Verhärtung im Oberschenkel.

Die "Bullen" wollen auch gegen die "Gauchos" Spaß haben

Vollständig einsatzfähig ist hingegen Österreichs junge "Bullen"-Herde. Mit Lukas Gugganig, Alexander Joppich, Konrad Laimer, Martin Rasner und Michael Brandner sind gleich fünf Talente vom FC Liefering dabei. Gugganig und Laimer kamen in dieser Saison sogar schon bei der ersten Mannschaft von RB Salzburg zum Zug. Doch bei der Weltmeisterschaft haben sie im U20-Nationalteam den Adler auf der Brust und tragen diesen sichtlich mit Stolz.

"Das ist ein Supererlebnis hier mit Österreich dabei zu sein. Wir haben jetzt vier Punkte und waren in beiden Partien spielerisch klar besser. Das war nicht zu erwarten, dabei hätten wir im ersten Spiel noch viel früher den Sack zumachen müssen", ist Abwehrchef Gugganig mit den bisherigen Leistungen mehr als nur zufrieden und er kennt auch den Grund dafür: "Das Formationspressing beim Team ist ähnlich wie beim Verein. Natürlich kommt uns das entgegen."

Michael Brandner, der bisher zweimal als Joker in die Schlacht geworfen wurde, ist die Freude über das tolle Erlebnis U20-WM ebenso anzumerken. "Wir sind in eine sehr starke Gruppe gelost worden, in der wir nur Außenseiter waren. Aber unsere Taktik dürfte es den anderen Mannschaften nicht einfach machen. Wir laufen die Gegner weit vorne an und verteidigen sehr hoch. Unser Pressing in Liefering ist ganz ähnlich. Da gibt es einige Gemeinsamkeiten."

Videogrüße für das magische Dreieck aus Pottschach

Martin Rasner ist der Spaßvogel im Team. Sein Grinsen ist ansteckend, er verbreitet gute Laune und ist ein Teil einer unglaublichen Geschichte. Die SV Sportfreunde Pottschach, ein kleiner niederösterreichischer Verein, stellen mit Rasner, Daniel Rosenbichler und Florian Grillitsch gleich drei Spieler des U20-Nationalteams, die aus der dortigen Jugend stammen. Mit Lukas Spendlhofer zeugt ein weiterer Bundesligaspieler von der hervorragenden Nachwuchsarbeit, die beim SVSF geleistet wird.

Kein Wunder, dass man in Pottschach den WM-Auftritten des "magischen Dreiecks" begeistert entgegen fiebert und sogar ein eigenes Video produzierte. "Wir haben dort von der U13 bis zur U15 gemeinsam in der Jugend gespielt, erst dann haben sich unsere Wege getrennt", erinnert sich Rasner im weltfussball-Interview. Über die Akademie St. Pölten führte in sein Weg weiter nach Liefering, wo er inzwischen zu einer festen Größe reifte.

"Am Anfang habe ich körperliche Sonderschichten in der Kraftkammer eingelegt. Weil die Erste Liga und die Umstellung von Jugend- auf Profifußball schon extrem war. Aber jetzt bin ich eine Maschine - jedenfalls a bisl", bringt Rasner sich selbst und seinen Gesprächspartner zum Lachen. Bei ihm wird auch die Erzählung zum Running Gag, dass er nach dem Panama-Spiel fast 90 Minuten bei der Doping-Probe brauchte ("weil nicht alles gleich gekommen ist), ehe zwei Sprite die Erlösung brachten.

"Ich möchte auch nicht gegen mich spielen"

"Wir haben gewusst, dass wir hier mithalten können. Unser Teamgeist ist unglaublich. Jeder weiß, was er zu tun hat. Laufbereitschaft, Kampfgeist und Pressing mit schneller Balleroberung sind die Stärken dieser Mannschaft", meint der defensive Mittelfeldspieler, der einst als Stürmer begann. Rasner kann ein Spiel lesen, er antizipiert sehr früh und ist immer da um den Gegner zu stören.

U20-Coach Heraf meinte sogar, er würde heute nicht mehr gegen einen Martin Rasner spielen wollen. Überrascht davon? "Nein, ich kann ihn ja verstehen. Ich würde auch nicht gerne gegen mich spielen", sagt der kickende Entertainer und sorgt für Riesengelächter in der Lobby des Mannschaftshotels in Wellington.

Sein Vertrag in Liefering ("bei einer gut funktionierenden Einheit") läuft zwar noch bis 2016, aber Rasner fühlt sich gewappnet für die nächste Entwicklungsstufe. "Bereit wäre ich", meint er mit Blick Richtung höchste Spielklasse in Österreich. Wenn es in Salzburg durch die große Konkurrenz nicht gelinge, dann "gibt es auch noch andere Bundesligamannschaften. Aber das liegt nicht nur an mir."

Laimer freut sich über die Riesenehre in der "Hammergruppe"

Konrad Laimer ist der Sprung in den Kader von RB Salzburg schon gelungen. Einsätze im Oberhaus sowie in der Europa League stehen für den erst 18-Jährigen zu Buche. "Es ist bei mir so schnell gegangen. Ich hatte nicht viel Zeit zu überlegen", meint die Mittelfeld-Kampfmaschine im Blick zurück. "Glücklicherweise hatte ich bis jetzt keine gröbere Verletzung und habe dazu das Vertrauen bekommen. Eine tolle Herausforderung mit einem Soriano oder früher Kampl und Mané. Da freut man sich über jede Trainingseinheit, weil man sich so viel abschauen kann."

Vorerst aber gilt seine volle Konzentration der U20-WM in Neuseeland. "Wir haben eine Hammergruppe erwischt und ein richtig schweres Los gezogen. Aber wir sind sehr gut vorbereitet und auf die bisherigen Spiele können wir wirklich stolz sein. Offensichtlich ist es für die Gegner ungut gegen uns zu spielen, weil wir immer eng drauf sind und sie früh stören." Das "Gegenpressing" als große Stärke ("in Salzburg spielen wir mehr Dauerpressing überall am Platz") macht es möglich.

Auch die kommende Aufgabe gegen Argentinien sei eine "Riesenehre". "Wir können uns mit den Besten messen. Jeder freut sich auf die Partie, auch wenn es sehr hart wird. Aber sie müssen gewinnen und wir werden uns sicher wieder eine richtig gute Taktik zurecht legen", ist Laimer gegenüber weltfussball zuversichtlich. Und seine persönliche Zukunft nach der Weltmeisterschaft? "Da habe ich überhaupt keinen Stress. Ich fühle mich in Salzburg wohl, habe ein Top-Umfeld, meine Familie und meine guten Freunde in der Nähe. Das ist sehr wichtig für jeden Menschen."

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Christian Tragschitz, weltfussball.at aus Wellington/Neuseeland