28.08.2015 10:57 Uhr

Vor 85 Jahren: Selbstmord auf Schalke

Eine vollbesetzte Glückauf-Kampfbahn in den 60er Jahren
Eine vollbesetzte Glückauf-Kampfbahn in den 60er Jahren

Es war der erste große Finanzskandal der noch jungen Sportart Fußball in Deutschland: Vor 85 Jahren forderte das Kräftemesse von Schalke 04 mit den Verbandsfunktionären sogar ein Todesopfer.

In den späten 20er Jahren hatte sich ein Arbeiterklub aus dem Gelsenkirchener Stadtteil Schalke einen Platz in der ersten Reihe der deutschen Fußballmannschaften erspielt. Im Spätsommer 1930 schien der Aufstieg des Teams um seine kommenden Stars Ernst Kuzorra und Fritz Szepan allerdings ein jähes Ende zu finden. Ende August platzte die Bombe: Der Westdeutsche Fußballverband, für seine strikte Auslegung des Amateurstatuts bekannt, erklärte 14 Schalker Akteure zu Berufsspielern und sperrte acht Vereinsfunktionäre.

Den Spielern wurde zum Vorwurf gemacht, zu hohe Aufwandsentschädigungen vom Verein angenommen zu haben. Erlaubt war ein Handgeld von bis zu fünf Mark, Kuzorra & Co sollen zehn bis zwanzig Mark kassiert haben. Der Tatbestand wurde von den Schalkern nicht bestritten. Es war allerdings ein offenes Geheimnis, dass sich bei allen deutschen Spitzenvereinen unter der Hand Spesenzahlungen oberhalb der 5-Mark-Grenze etabliert hatten. Um den Fußball herum war mittlerweile viel Geld im Umlauf. Die Zuschauerzahlen stiegen kräftig, Sponsoren standen bei den großen Klubs Schlange. Natürlich wollten auch die Spieler an diesem Aufschwung teilhaben. Am aufstrebenden "Polackenklub" aus dem Revier wollte der Verband dagegen ein Exempel statuieren.

Der Schatzmeister ertränkt sich im Rhein-Herne-Kanal

Als Berufsspieler konnten die Schalker Teammitglieder nicht mehr an Meisterschaften und Pokalturnieren in Deutschland teilnehmen. Im Gegensatz zu England oder Österreich, die Anfang der 1930er Jahre bereits über Profiligen verfügten, verfolgte der DFB weiter das Amateurprinzip. Der junge Verein aus Gelsenkirchen stand nach dem Urteilsspruch vor dem Aus. Dem als besonders pflichtbewusst und korrekt geltenden Finanzobmann von Schalke 04, Willi Nier, ging der Ausschluss seines Vereins und seine persönliche Sperre als Vorstandsmitglied besonders nah. Nier ertränkte sich am Tag nach dem Urteilsspruch im Rhein-Herne-Kanal. Seine Beerdigung wurde zur eindrucksvollen Kundgebung der Gelsenkirchener Bevölkerung für den Verein. 6.000 Menschen kamen in die Glückauf-Kampfbahn, um dem im Stadion aufgebahrten Schatzmeister die letzte Ehre zu erweisen. Für den Zweiten Vorsitzenden Wilhelm Münstermann, der am Sarg zu den Trauergästen sprach, war der Schuldige ausgemacht: Nier "zerbrach innerlich an den Auswirkungen engherziger, veralteter Bestimmungen".

Trotz der einsetzenden Proteste besonders in den Medien des Ruhrgebiets blieb der Verband bei seinem Urteil. Schalke 04 musste mit seiner zweiten Mannschaft antreten, die im Kampf um die westdeutsche Fußballmeisterschaft allerdings chancenlos war. Die Stars des Schalker Kreisels, Kuzorra und Szepan, erhielten währenddessen lukrative Angebote aus Wien oder aus Lille mit Monatsgehältern von 1.000 Mark. Als es aus Verbandskreisen Hinweise gibt, dass Schalke auf absehbare Zeit mit einer Begnadigung rechnen kann, sagen beide den interessierten Vereinen ab.

70.000 feiern Schalkes Rückkehr

Denn die Causa "Schalke" hatte unterdessen den DFB in Bedrängnis gebracht. Schalke zeigte nach der Sperre seiner Spieler mehrere andere Spitzenvereine, darunter Bayern München, der Zahlung von überhöhten Handgeldern an. Auf einer Tagung im Frühjahr 1931 wurden die Höchstsätze, die die Vereine den Spielern zahlen durften, erhöht. Daneben wurden nach und nach Spieler und Funktionäre des Ruhrpottklubs begnadigt.

Das erste Spiel nach dem Ende der Verbannung am 1. Juni 1931 sollte zum Zeichen für die Solidarität der Bevölkerung mit ihren Fußballstars werden: Fortuna Düsseldorf kam zum Freundschaftsspiel nach Gelsenkirchen. Die Glückauf-Kampfbahn fasste 35.000 Menschen, doch 70.000 sollten beim Comeback der Schalker dabei sein. Obwohl die Fans bis an den Spielfeldbegrenzungen standen, auf dem Tornetz lagen oder das Tribünendach eingenommen hatten, mussten 20.000 draußen bleiben. Der 1:0-Erfolg über die Düsseldorfer war für die Meisten Nebensache – ihr Schalke 04 hatte das Kräftemessen mit dem Verband gewonnen und war wieder zurück. Der Schalker Kreisel setzte in den folgenden Jahren zum Höhenflug an. Nur drei Jahre nach dem Comeback gewannen die Gelsenkirchener ihren ersten deutschen Meistertitel, bis 1942 folgten fünf weitere. Auf eine landesweite Profiliga musste der deutsche Fußball noch bis 1963 warten.

Ralf Amshove