05.09.2015 10:26 Uhr

Championship: Umweg übers Unterhaus

Uwe Hünemeier (l.) hat sich bei Brighton & Hove Albion sofort akklimatisiert
Uwe Hünemeier (l.) hat sich bei Brighton & Hove Albion sofort akklimatisiert

Abseits des Rummels um die Rekordtransfers der Premier League hat sich die Championship, die zweithöchste Spielklasse Englands, zu einem attraktiven Ziel für deutsche Kicker gemausert. Die Clubs bedienen sich immer häufiger in den hiesigen Profiligen. Neben Top-Gehältern lockt die Insel vor allem mit der Aussicht auf den schnellen Aufstieg. Ein Stahlbad für Träumer.

In Paderborn ist wieder Normalität eingekehrt. Nur ein Jahr nach dem umjubelten Aufstieg in die 1. Bundesliga musste der SC 07 im Mai den bitteren Weg zurück ins Unterhaus antreten. Sandhausen und Heidenheim statt Schalke und Hoffenheim. Für Uwe Hünemeier, zwei Jahre lang unumstrittener Abwehrchef der Ostwestfalen, der richtige Zeitpunkt, um eine Luftveränderung zu riskieren. Der 29-Jährige bestach durch Konstanz und zählte zu den Stützen im Team von André Breitenreiter.

Mit der Wahl seines neuen Arbeitgebers überraschte der Verteidiger viele Beobachter: Brighton & Hove Albion, Traditionsclub aus East Sussex und letztjähriger 20. der zweiten englischen Liga, bekam den Zuschlag und stattete Hünemeier mit einem Dreijahresvertrag aus. Bei den 'Seagulls' begann für ihn das Abenteuer England – mit erstaunlichem Erfolg: Nach fünf Spieltagen führt Brighton das Championship-Tableau sensationell an, der schlaksige Innenverteidiger stand nach seiner Ankunft im Falmer Stadium immer in der Startelf.

Von deutscher und englischer Zweitklassigkeit

Hünemeier ist nicht der einzige Deutsche, der neuerdings in der 24 Teams starken Liga seine Brötchen verdient. Mit Rouwen Hennings (Burnley FC) und Sebastian Polter (Queens Park Rangers) folgten zwei der gefährlichsten Zweitligastürmer der vergangenen Spielzeit den Lockrufen aus dem Mutterland des Fußballs. Beide sind ehemalige U21-Nationalspieler und verfügen über große Erfahrung in den höchsten deutschen Profiligen.

Entsprechend tief mussten ihre neuen Clubs in die Taschen greifen, um die Ablösen zu stemmen. Jeweils 2,5 Millionen Euro Ablöse flossen nach Karlsruhe, Ex-Verein von Hennings, und Mainz, das die Transferrechte an Polter besaß. Dessen Wunsch, auf die Insel zu wechseln, hatten die 05er nur zugestimmt, weil "die Queens Park Rangers ein wirtschaftlich sehr vernünftiges Angebot unterbreitet hatten", erklärte FSV-Manager Christian Heidel später.

Erstaunliche Beträge, die dem Südwestrundfunk zufolge beweisen, dass "die Summen in der Championship völlig aus den Fugen geraten sind". Weitere Beispiele gefällig? Der Brentford FC aus dem Westen Londons legte umgerechnet zwei Millionen Euro für Sturmtank Philipp Hofmann auf den Tisch, der beim 1. FC Kaiserslautern deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Im Zuge seines Wechsels dürfte der 22-Jährige sein jährliches Salär vervielfacht haben. Wohlgemerkt: Rein formell tauscht Hofmann Zweitklassigkeit gegen Zweitklassigkeit. Die Rahmenbedingungen könnten jedoch kaum unterschiedlicher sein.

Kindheitstraum Premier League

Selbst aktuelle Nationalspieler scheuen sich heute nicht mehr, ihrer Karriere ein vorübergehendes Downgrade zu verpassen und freiwillig in die englische Provinz zu wechseln. Kritiker sind geneigt, diesen Trend ganz im Sinne der Floskel "Money talks" als rein finanzielle Entwicklung abzutun. Wenn Vereine wie Middlesbrough und Derby County über 20 Millionen Euro in neue Kräfte investieren, liegt diese Schlussfolgerung nah. Viele Neuankömmlinge treibt jedoch auch die Hoffnung auf die Erfüllung eines Kindheitstraums.

Gebetsmühlenartig betonen Spieler vor der Presse, schon im jüngsten Alter davon geträumt zu haben, eines Tages für einen englischen Club die Fußballschuhe zu schnüren. Freilich werden in den Köpfen der Kicker eher Namen wie Manchester oder Liverpool eine Rolle gespielt haben, doch die Chancen auf ein Engagement in der reichsten Liga der Welt steigen für Polter und Co. erst über den Umweg Unterhaus.

In einer Zeit, in der selbst Premier-League-Aufsteiger dank des TV-Vertrags die europäischen Top-Ligen leerkaufen können, fallen talentierte, aber international unbekannte Akteure aus der 2. Bundesliga durchs Raster der englischen Elite. Ein Fakt, den sich Brentford, Brighton und Co. zunutze machen und verstärkt den deutschen Markt abgrasen. "Bei uns sitzen bei jedem Spiel zehn, zwölf Scouts von englischen Klubs der ersten beiden Ligen auf der Tribüne", ließ 05-Manager Heidel kürzlich wissen. Plötzlich muss ein etablierter deutscher Erstligist auch britische Fußballzwerge fürchten. Schon wieder neue Jäger im Haifischbecken.

Proschwitz als warnendes Beispiel

Wie unterschiedlich das Abenteuer Championship enden kann, zeigen die Personalien Robert Tesche und Nick Proschwitz. Ersterer wagte im Vorsommer den Neustart in Nottingham, nachdem seine unbefriedigende Zeit beim HSV zu Ende gegangen war. Tesche passte sich erstaunlich schnell an das extrem physische, wenig moderne Spiel in Englands zweiter Liga an und mauserte sich fix zum Leistungsträger.

Ein Triumph, der Proschwitz verwehrt blieb. Der kopfallstarke Zentrumsstürmer war 2012 als amtierender Torschützenkönig der 2. Bundesliga vom SC Paderborn zu Hull City gewechselt, dort jedoch nie über die Rolle des Ergänzungsspielers hinausgekommen. Während die Tigers zwischenzeitlich sogar in die Premier League aufstiegen, wurde Proschwitz immer wieder an unterklassige Vereine verliehen. Zwei Einsätze im Oberhaus standen nach drei Spielzeiten zu Buche. Zu wenig für den Angreifer, der im Sommer nach Ostwestfalen zurückkehrte.

Einige Partien haben Proschwitz und Hünemeier in der laufenden Saison noch gemeinsam im SCP-Dress absolviert. Zeit genug für den Abwehrboss, sich eine Expertenmeinung zum Stahlbad Championship einzuholen. Am Ende überwog der Reiz von Geld und Glanz in Großbritannien. Er wird nicht der Letzte sein, der den Umweg zum Erfolg sucht.

Heiko Lütkehus