18.10.2015 20:40 Uhr

Guy Roux: Mehr als nur ein Trainer

Guy Roux saß 44 Jahre bei der AJ Auxerre auf der Bank
Guy Roux saß 44 Jahre bei der AJ Auxerre auf der Bank

Guy Roux gehört zu den legendärsten Trainern aller Zeiten und führte einen Provinzklub von der Bedeutungslosigkeit an die Spitze des französischen Fußballs. Dabei war er stets mehr als nur Trainer.

Ungewöhnlicher hätte sein letzter Abgang kaum sein können. Nach nur fünf Spielen zog der Mann, der als Legende gekommen und Heilsbringer gefeiert worden war, die Reißleine. Der RC Lens stand im November 2007 von jetzt auf gleich ohne Trainer da. Dabei hatte der emotionale Arbeiterklub seine Hoffnungen in eine echte Ikone gesetzt.

Niemand geringerer als Guy Roux sollte Lens in jenem Jahr zurück zu altem Glanz führen. Der Mann, der "seinen" Verein in 44 Jahren aus der Provinz in die große, weite Fußballwelt geführt hatte. Mit dem Aus in Lens endete eine Trainerkarriere, die in den Geschichtsbüchern ihresgleichen sucht und in der Historie der AJ Auxerre für immer die Hauptrolle spielen wird.

"Werde keinen Penny verschwenden"

1961 war die AJ Auxerre nicht mehr als ein typischer Amateurklub, dessen Spieler sich Woche für Woche auf den Plätzen der burgundischen Provinz aufrieben. Profifußball kannten die Einwohner der 40.000-Einwohner-Stadt nur aus Gesprächen in Bars, Restaurants und den Medien. Und dennoch griffen die Mechanismen des Geschäfts auch in dieser fußballerisch unbedeutenden Idylle.

So stand der Klub nach der erfolglosen Saison 1960/61 ohne Trainer da. Der damals 22-jährige Guy Roux, der bereits als Teenager für den Verein spielte und in der Gegend aufgewachsen war, bewarb sich um den Job. Seine einzige Referenz: eine einmonatige Hospitanz beim englischen Klub Crystal Palace.

Die einzig logische Wahl

Er versprach dem damaligen Präsidenten Jean-Claude Hamel, er werde alles für den Verein tun, was nötig sei und "niemals auch nur einen Penny verschwenden." Treffer. Es waren genau die Worte, die die Verantwortlichen des Vereins hören wollten.

Ein weiterer Pluspunkt: Roux' Gehaltsvorstellungen glichen eher einer Aufwandsentschädigung. 600 Francs (ca. 100 Euro) pro Monat forderte er für seine Dienste – von allen Bewerbern der mit Abstand geringste Betrag.

Lange überlegen musste der Verein nicht. An großen sportlichen Erfolg glaubte man bei der AJ ohnehin nicht. Vielmehr ging es darum, den Laden ohne finanzielles Risiko am Laufen zu halten. Guy Roux war schließlich die einzig logische Wahl.

Selbst ist der Mann

In den Jahren nach seiner Einstellung arbeitete der neue Trainer daran, das Vertrauen des Vereins zurückzuzahlen. Er hielt sein Versprechen und opferte sich für die Association de la Jeunesse auf – ohne auch nur einen Penny zu viel auszugeben.

Von den lokalen Bauern organisierte er Dünger, um aus dem schwer bespielbaren Acker einen salonfähigen Rasenplatz zu machen. Die Spielerfrauen überredete er, die Trainingsleibchen selbst zu stricken, um Reparaturarbeiten auf dem Vereinsgelände kümmerte sich Roux höchstpersönlich.

Während sich das Rundherum mit etwas Spucke, Fleiß, Engagement und Zeit in die richtigen Bahnen lenken ließ, zeigte Roux, dass er auch über den nötigen Fußballsachverstand verfügte.

Die Nummer eins Frankreichs

Er beharrte darauf, dass der Klub ein Nachwuchszentrum bekommt. Eine große, aber einmalige Investition, die sich rentieren und ganz nebenbei die Chancen auf eine sportlich erfolgreiche Zukunft erhöhen würde. Gesagt, getan.

Der Verein investierte in die Jugend und erntete im Laufe der Jahre die Früchte. 13 Jahre nach seinem Amtsantritt waren Guy Roux und Co. in der 2. Liga angekommen. Sechs Jahre später zählte der Klub erstmals zur Beletage des französischen Fußballs. Wiederum 14 Jahre später reckten Guy Roux und Co. die erste große Trophäe in die Höhe. 1996 war man die Nummer eins des nationalen Vereinsfußballs und holte das Double – mit zwölf Spielern aus der eigenen Jugend im Kader.

Eiserne Disziplin als Grundlage

Zu den Spielern, die Roux im Laufe der Jahre ausbildete, gehörten spätere Weltstars wie Eric Cantona und Laurent Blanc. "Mit 15 Jahren habe ich meine Familie verlassen und bin nach Auxerre gegangen. Dort war Guy Roux wie ein Vater für mich. Er hat dafür gesorgt, dass Auxerre wie eine große Familie war", erinnert sich Cantona an seine Zeit bei der AJ.

"Als Trainer benötigt man zwei Dinge: Vorbildcharakter und Hingabe", sagt Roux, der sich selbst als Vaterfigur bezeichnet. "Wenn du deine Spieler nicht magst, fühlen sie das. Und man selbst fühlt es ebenso."

Doch Liebe zum Spiel und Hingabe für die Mannschaft waren nur das eine. Eiserne Disziplin war die andere wichtige Grundlage für Roux' Erfolg. "Wenn das Training um 9 Uhr beginnt, solltest du als Trainer um 8:30 Uhr da sein – und zwar nüchtern", stellt er klar. Wenn sich jemand nicht an die Regeln hielt, konnte Roux ungemütlich werden. Beispiele dafür gibt es zuhauf.

"Befreit Basiles Moped"

Als der gebürtige Ivorer Basile Boli eines Abends aus dem Nachwuchszentrum ausbüchste und mit seinem Moped in den nächsten Nachtclub fuhr, bekam Roux Wind davon. Wenige Tage später suchte Boli erneut das Weite und kletterte über den Zaun der Jugendakademie. Nur fand er sein Moped diesmal angekettet an einem Laternenpfahl vor.

Mit dem Schlüssel in der Hand erwartete ihn Guy Roux schon. Später zog er ihm die Kosten für die Kette und das Schloss von seinem Gehalt ab. "Danach habe ich mehr als 600 Briefe aus Afrika bekommen. Sie haben sogar eine Kampagne mit dem Titel 'Befreit Basiles Moped' gegründet", berichtet Guy Roux Jahre später über den Vorfall.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Abende, an denen er einige seiner Spieler eigenhändig um 7 Uhr morgens aus diversen Nachtclubs gezogen hat, soll es unzählige gegeben haben. Zudem kontrollierte er vor und nach dem Training die Kilometerstände in den Autos seiner Jungs. Standen bei einem Spieler von einem Tag auf den nächsten ca. 400 km mehr auf dem Tacho, sprach viel für einen nicht genehmigten Ausflug in das knapp 200 km entfernte Paris. Eine Fahrt, die für den Übeltäter selbstverständlich nicht ohne Folgen blieb.

Doch so hart sein Umgang mit den eigenen Spielern manchmal war, so sehr setzte er sich auch für sie ein. Ein Gerücht besagt, Roux habe Eric Cantona vor einer Gefängnisstrafe bewahrt, als dieser in seiner Zeit auf der Insel über die Stränge schlug. Roux nutzte seine Kontakte in der Politik und regelte die Sache auf seine Art. Cantona entging dem Gefängnis und leistete stattdessen Sozialstunden. Geschichten wie diese gibt es unzählige. Stets im Mittelpunkt: Guy Roux.

"Eine Frau, die nur schwer zu bekommen ist"

Auf dem Platz boten Rouxs Mannschaften dagegen nur wenig Stoff für Fußballromantiker. Sein bevorzugtes 4-4-2 war nicht immer schön anzusehen, brachte Auxerre aber den nötigen Erfolg. "Ein Spiel mit vielen Toren ist wie eine leicht zu habende Frau und kann über die Qualität hinwegtäuschen. Ich bevorzuge ein 0:0. Es ähnelt einer Frau mit viel Charme, die nur schwer zu bekommen ist", sagt der seit Sonntag 77-Jährige.

Sein Lebensziel, versichert der in den Medien immer noch als TV-Experte präsente Roux, hat er längst erreicht. "Als ich sieben Jahre alt war, sagte ich, dass ich jeden Tag meines Lebens Fußball spielen will. Und das habe ich geschafft."

Christian Schenzel