28.11.2015 12:00 Uhr

Leicester City: Das Phänomen Ranieri

Leicester-Trainer Claudio Ranieri ist bekannt dafür, den Fokus auf die Offensive zu legen
Leicester-Trainer Claudio Ranieri ist bekannt dafür, den Fokus auf die Offensive zu legen

Claudio Ranieri hat ein kleines Wunder vollbracht und schwimmt mit Leicester City auf einer Erfolgswelle. Der Klub, der nach der Saison 2013/2014 in die erste englische Liga aufgestiegen ist, lässt alle Topklubs hinter sich und führt die Tabelle überraschend an.

"Unser Boss kam, hat ein paar Dinge verbessert, und dann lief es wie geschmiert“, sagte Danny Drinkwater mal über den alten Leicester-Trainer Nigel Pearson. Für den neuen Chef an der Seitenlinie Claudio Ranieri trifft das in der aktuellen Saison wohl auch zu - und zwar in konzentrierter Form. Er ist nämlich dafür verantwortlich, dass nicht Chelsea, Manchester United, Liverpool, Manchester City oder gar Arsenal an der Spitze der englischen Premier League steht, sondern Leicester City. Der Klub, der in der vergangenen Saison noch um den Abstieg gespielt hat und sich am Ende auf den 14. Platz rettete.

Kleine Revolution

In der neuen Saison findet bei den Foxes ein Umdenken statt. In der Taktik aber auch in der Art und Weise, wie die Spieler auflaufen. Es scheint so, als würden sie ein großes Ziel verfolgen und dafür das Optimum aus sich herausholen. Das Gefühl von einer Art fußballerischen Revolution macht sich breit. Angeführt werden diese Veränderungen von jenem Coach, der in der Vergangenheit nicht den größten Status genossen hatte.

In den Medien gilt der in Rom geborene Trainer als sehr sprunghaft. Er wird als Person bezeichnet, die viele Aufgaben annimmt aber keine davon richtig vollendet. In seinem bisherigen Trainer-Werdegang sind schon 15 Stationen verzeichnet. Insgesamt gewann er aber "nur" zwei Meisterschaften. Am häufigsten trainierte er Vereine in Italien, wie den SSC Napoli oder Juventus, aber auch in Spanien (FC Valencia) und England (FC Chelsea) war er schon vor seinem Amtsantritt bei Leicester City aktiv. Bei einem Team blieb er meist nicht länger als zwei Jahre. Eine beachtliche Liste, die auf den ein oder anderen verständlicherweise abschreckend wirkt. Auch die Leicester-Fans hatten anfangs ihre Zweifel. Sie waren zufrieden mit dem alten Trainer Nigel Pearson und zeigten sich nicht unbedingt begeistert von der neuen Personalie.  

Der Plan geht auf

Das hat sich nach den ersten Erfolgen aber schnell geändert. Ranieri muss mit seinen Aktionen genau den richtigen Nerv in der Mannschaft getroffen haben. Sie spielen einen Fußball, der die Zuschauer ansteckt, hochgradig interessant und dabei noch erfolgreich ist. Den Fokus legt der Italiener auf die Offensive und das mit einer taktischen Ausrichtung gespickt mit Einsatz, Leidenschaft, Kampf und blitzschnellem Spiel nach vorne. Diese Punkte verinnerlicht er in einem 4-4-2-System, welches perfekt auf seine Akteure ausgerichtet ist, wie es die Torquote zeigt. Ranieri ist vor allem von der Moral seines Teams begeistert: "Bei Leicester weiß ich, wir hören nie auf zu spielen, wir hören erst auf, wenn der Schiedsrichter abpfeift."

Von dem System profitieren besonders drei Spieler, die in der aktuellen Spielzeit auf einem nie dagewesenen Niveau spielen: Jamie Vardy, Riyad Mahrez und Marc Albrighton. Vardy erlebt mit 28 Jahren gerade seinen zweiten Frühling in der Welt des Fußballs. Der gefeierte Stürmer, der sich aus der fünften englischen Liga hochkämpfte, schoss in 10 Spielen 10 Tore und stellte damit kürzlich den von Ruud van Nistelrooy aufgestellten Premier-League Rekord ein. Aber der Erfolg ist nicht das einzige was er genießt. Wie er in einem Interview mal scherzhaft sagte, findet der ehemalige Arbeiter aus der Kohlefaserfabrik vor allem einen Vorteil des Sportlerdaseins sehr angenehm: "Man muss nicht mehr morgens um sieben Uhr aufstehen."

Kleines Fußballmärchen

Sportlich liefert er gerade konstant überragende Leistungen ab, die ihm vor ein paar Monaten wohl keiner zugetraut hätte. Die Nebenrollen in dem kleinen Fußballmärchen spielen neben dem Hauptdarsteller zwei Flügelflitzer, die für den Dauerknipser, wenn man so will, die zwei wichtigsten Zutaten zum "Tor-Rezept" sind. Der Linksfuß Mahrez kam aus der französischen Liga und sorgte mit acht Toren und sechs Vorlagen ebenfalls für Ausgelassenheit bei den Anhängern. Sein Pendant auf der anderen Seite ist Marc Albrighton mit vier Vorlagen und einem Treffer.

Das Gebilde ist gut durchdacht und schlüssig - mit den drei ehemaligen Bundesligaprofis Robert Huth, Shinji Okazaki und Christian Fuchs auch in der Tiefe gut bestückt. Es funktioniert und so produziert das Team Tore am Fließband. Mit 28 Buden stellt man die beste Offensive der Liga. Doch auch in diesem taktischen Kunststück gibt es Schwächen. Die Defensive des Ranieri-Teams gehört mit 20 Gegentreffern zu den Schlechtesten. Am Ende sind es aber die Punkte, die zählen - und die sprechen eine klare Sprache.

Größte Aufgabe steht noch bevor

Nach allem Lob kommt aber jetzt wieder die Realität auf das Überraschungsteam zu. Die größte Aufgabe steht dem erfahrenen Trainer noch bevor. Er muss dieses Konstrukt aufrechterhalten und die Leistungen auf dem hohen Niveau halten. Bei den kommenden Gegnern wird das eine Mammutaufgabe. Die wirklich großen Klubs gilt es noch zu bezwingen, um zu zeigen, dass diese Phase kein kurzfristiges Phänomen ist. Ein Konzept wird sicherlich schon im Kopf des 64-jährigen Ranieri rumschwirren. Wie der Verein die zukünftigen Aufgaben meistert, wird sich zeigen – den jetzigen Erfolg nimmt den Spielern aber keiner mehr.

Mehr dazu:
>> Leicester City - Manchester United am Samstag ab 18:30 Uhr im weltfussball-Liveticker

Marvin Wennhold