31.03.2016 17:41 Uhr

Vitesse-Engländer: Raus aus der Komfortzone

Dominic Solanke (l.) und Lewis Baker sammeln fernab der Heimat Erfahrung
Dominic Solanke (l.) und Lewis Baker sammeln fernab der Heimat Erfahrung

Der FC Chelsea und Vitesse Arnheim - zwei Klubs, eine Kooperation, viele Profiteure: Seit sechs Jahren leihen die Blues pro Saison ein halbes Dutzend Nachwuchsspieler an ihr inoffizielles Farmteam aus den Niederlanden aus. Eine Win-Win-Win Situation für alle Beteiligten. Neu ist allerdings, dass nun auch vermehrt englische Talente den Zwischenschritt ins Ausland wagen.

Nach der 2:3-Pleite der deutschen Nationalmannschaft gegen junge, hungrige Three Lions dürfte auch dem letzten Zweifler klar geworden sein, was sich seit einiger Zeit abzeichnet: Der englische Fußball befindet sich im Aufwind. Langsam, aber sicher tragen die Maßnahmen des Verbandes Früchte. Aus dem frustrierenden Vorrunden-Aus in Brasilien wurden die richtigen Lehren gezogen und dem Kader eine Frischzellenkur verpasst. Plötzlich boomt der Markt mit einheimischen Jung-Stars, die von sämtlichen Spitzenteams gejagt werden. Die Krux dabei: Im knallharten Premier-League-Business wird den Teenagern kaum Eingewöhnungszeit auf höchstem Level eingeräumt. Am Ende landen viele in den ungeliebten Reserve Teams.

Abhilfe schaffen internationale Kooperationen wie die zwischen dem FC Chelsea und Vitesse Arnheim, dem derzeitigen Siebten der niederländischen Eredivisie. Seit Geschäftsmänner wie der Georgier Merab Jordania und Abramowitsch-Kumpel Alexander Tschigirinski den damals hoch verschuldeten Verein 2010 übernommen hat, haben 19 Blues-Kicker leihweise Spielpraxis im schwarz-gelben Vitesse-Trikot gesammelt, darunter prominente Namen wie Nemanja Matić und Patrick van Aanholt. Jüngstes Beispiel der lohnenswerten Zusammenarbeit ist Angreifer Bertrand Traoré, der nach überzeugenden Leistungen während seines Holland-Gastspiels nun zum Profikader der Londoner zählt.

Fortschritt fernab der Insel

Mittlerweile zeichnet sich ein neuer Trend ab: Während in der Vergangenheit fast ausschließlich Nicht-Engländer nach Arnheim gingen, wagen sich neuerdings auch britische Talente aus der heimischen Komfortzone und starten ins Abenteuer Ausland. Aktuell gehören mit Dominic Solanke (18), Lewis Baker (20) und Isaiah Brown (19) gleich drei englische U-Nationalspieler aus der Chelsea-Schmiede zum Stammpersonal bei Vitesse, ein Vierter, Rechtsverteidiger Todd Kane, kickt zudem im benachbarten Nijmegen. Das Quartett widerlegt ein ungeschriebenes Fußballgesetz, denn lange Zeit galt es als unumstößlich, dass sich Briten nur auf der heimischen Insel wohlfühlen. Ein Beleg: Michael Mancienne (von 2011 bis 2014 beim HSV) ist der einzige Spieler aus dem Vereinigten Königreich, der in den letzten neun Spielzeiten in der Bundesliga zum Einsatz kam.

Im englischen System mit vier Profiligen fallen Nachwuchshoffnungen, denen es (noch) an Erstligareife mangelt, traditionell weich. Umso erstaunlicher, dass Youngster wie Stürmer Solanke, dem José Mourinho einst prophezeite, der nächste Superstar der Three Lions zu werden, nun in der Eredivisie auflaufen. Für die Chelsea-Macher macht der Deal gleichwohl Sinn, wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Die meisten Leihspieler kehrten deutlich gereift und voller Selbstvertrauen an die Themse zurück.

"Ich habe viel über meine Position gelernt"

Auch wenn Vitesse die Phalanx der Traditionsklubs aus Eindhoven, Amsterdam und Rotterdam noch nicht brechen konnte, hat sich die frühere graue Maus seit 2010 sukzessive verbessert und regelmäßig die Europa-League-Qualifikation geschafft - unter tatkräftiger Mithilfe der Blues-Fraktion. Die niederländische Liga gilt als stürmerfreundlich, was die aktuellen Zahlen belegen: Solanke (7 Tore), Baker (4) und Brown (1) haben allesamt bereits für Arnheim getroffen und wertvolle Erfahrung gesammelt, die ihre Chancen auf eine sportliche Zukunft an der Stamford Bridge steigen lassen.

Mittelfeldmann Baker schwärmt vom Wagnis Eredivisie: "Die Trainer in Holland haben mir sehr geholfen. Ich habe viel über meine Position gelernt und zeige das nun auch in den Spielen", so der 20-Jährige im Interview mit dem englischen Verband. "Umso mehr man spielt, desto mehr lernt man auch, denn verschiedene Partien bringen unterschiedliche Szenarien mit sich. Meine Herangehensweise hat sich deutlich verbessert. Das nehme ich gerne mit nach Hause."

Ein derart positives Fazit lässt vermuten, dass auch andere Premier-League-Riesen bald auf den Leih-Zug in die Niederlande aufspringen. Im Sommer dürften viele Erstligisten mit den Rekordeinnahmen aus dem neuen TV-Vertrag auf Einkaufstour gehen und so wichtige Kaderplätze blockieren. Manch ein Fan fürchtet deshalb bereits ein mögliches Ende des Aufschwungs der Three Lions, wenn nationale Hoffnungsträger auf den kühlen Ersatzbänken des Königreichs versauern. Glaubt man Baker, ist der Zwischenschritt ins Ausland ein Modell mit Zukunft: "Ich kann es meinen Kollegen aus den Juniorenteams nur empfehlen. Für mich hat sich das Risiko gelohnt."

Heiko Lütkehus