25.08.2016 11:42 Uhr

Stan Libuda – das gefallene Genie

Kam an jedem Gegenspieler vorbei: Stan Libuda (r.)
Kam an jedem Gegenspieler vorbei: Stan Libuda (r.)

Diejenigen, die ihn haben spielen sehen, schwärmen noch heute vom vielleicht besten Rechtsaußen, den Deutschland je gesehen hat. Heute vor 20 Jahren starb die Schalker und Dortmunder Legende Stan Libuda mit nur 52 Jahren.

Eigentlich hieß er Reinhard, aber von allen wurde er nur Stan gerufen – nach dem legendären englischen Dribbelkünstler Stan Matthews. Wie Matthews schlug Libuda auf dem Platz einen Haken nach dem anderen, täuschte rechts an und ging links vorbei – oder umgekehrt. Dass einer wie er nur auf 264 Bundesliga- und 26 Länderspiele kam, hat sehr viel mit seiner Persönlichkeitsstruktur zu tun. Denn während der Ballzauberer auf dem Platz die gegnerische Verteidigung mit einer an Arroganz grenzenden Selbstsicherheit demütigte, war er außerhalb äußerst schüchtern und sensibel. Ein Mensch, der den Trubel im Fußballbusiness verachtete und vor allem seine Ruhe haben wollte.

Libuda wurde am 10 Oktober 1943 als Sohn eines Bergarbeiters geboren. Mit neun Jahren meldete ihn sein Vater bei Schalke 04 an, wo er mit 18 Jahren sein Debüt in der ersten Mannschaft gab. Noch vor seinem 20. Geburtstag spielte Libuda erstmals in der deutschen Nationalmannschaft. Auf Schalke wurde er von den Fans verehrt, das stakkatohafte "Li-Bu-Da" hallte von den Rängen der Gelsenkirchener Glückauf-Kampfbahn. Seine Gegenspieler merkten bald, dass dem Genie am Ball mit fairen Mitteln kaum beizukommen war. So versuchten sie, ihn an seinem wunden Punkt zu treffen – seiner Psyche. Mit einem harten Foul in den Anfangsminuten konnten sie Libuda schon mal für den Rest der Partie aus dem Spiel nehmen. Er selbst erzählte einmal: "In der Bundesliga ging unter den Verteidigern das Gerücht um, ich sei mit einem einzigen Satz zu stoppen: 'Du, Stan, weißt du eigentlich, wo deine Frau gerade ist?'" Den Rest erledigten bei Auswärtsspielen häufig die Schmähungen der gegnerischen Fans.

"An Gott kommt keiner vorbei..."
An guten Tagen aber war Libuda nicht zu stoppen. Eine Anekdote verdeutlicht den Heldenstatus, den Libuda in den 1970er Jahren am Schalker Markt genoss. Als ein Prediger auf Plakaten mit dem Slogan "An Jesus kommt keiner vorbei!" für eine Veranstaltung warb, kritzelten Schalke Fans darunter "...außer Stan Libuda". Im Laufe der Jahre wurde in dieser Anekdote 'Jesus' durch 'Gott' ersetzt.

Trotz eines überragenden Libuda tat sich Schalke 04 in den ersten Jahren der Bundesliga schwer und landete am Ende der Saison 1964/65 auf dem letzten Platz. Der Abstieg wurde nur durch die Aufstockung der Liga auf 18 Teams verhindert. Zu diesem Zeitpunkt stand Libuda schon beim Revier-Rivalen Borussia Dortmund im Wort, um weiter in der höchsten deutschen Klasse spielen zu können. Drei Jahre schlug er seine Haken im schwarz-gelben Dress. Glücklich wurde der heimatverbundene Gelsenkirchener dort allerdings nicht. "Dem Reinhard waren doch schon die 35 Kilometer zwischen Gelsenkirchen und Dortmund zu viel", erklärte sein Mitspieler und späterer Schalker Präsident Günter Siebert. Dennoch sollte ihm für den BVB sein wichtigstes Tor gelingen: Im Finale um den Europapokal der Pokalsieger 1966 überlistete er mit einem Schuss von der rechten Außenbahn gegen den Innenpfosten den Liverpooler Keeper und sicherte damit erstmals einer deutschen Mannschaft einen Europapokal.

Ein unrühmliches Ende

1968 kehrte Libuda zum FC Schalke zurück und übernahm das Kapitänsamt in einer jungen, vielversprechenden Mannschaft mit den Kremers-Zwillingen, Klaus Fischer oder Klaus Fichtel. Es schien nur eine Frage der Zeit, bis dieses Team den Meistertitel an den Schalker Markt holen würde. Dass daraus nichts wurde, lag vor allem am Bundesliga-Skandal, an dem das Schalker Team maßgeblich beteiligt war. Für eine selbst für damalige Verhältnisse geringe Summe verschoben die Schalker Akteure ihr Heimspiel gegen Bielefeld, wurden erwischt und lebenslang gesperrt. Libuda, der immer beteuerte, nur widerwillig an dem Spielbetrug teilgenommen zu haben, zerbrach an dieser Sache.

Da er in der Bundesliga nicht spielen durfte, wechselte er 1972 zum FC Straßburg nach Frankreich. Die Begnadigung zwei Jahre später ermöglichte dem Heimatverbundenen die Rückkehr zum FC Schalke. Aber er war nicht mehr der Alte: "Fast alles hatte seine Ursache in meiner Verwicklung in den Skandal. Und das ausgerechnet bei mir, der sich nachweislich von allen Schalkern am längsten gewehrt hat, das Spiel zu verschieben. Ich hatte die Lust am Fußball verloren", erklärte Libuda im Rückblick.

1976 beendete der begnadete Fußballer seine Karriere. Beruflich wie privat kam Libuda danach nicht wieder auf die Beine. Ohne abgeschlossene Berufsausbildung fand er anfangs keine Arbeit, übernahm später ohne großen Erfolg den Tabakladen in Gelsenkirchen, den einst Ernst Kuzorra geführt hatte. Seine Ehe ging in die Brüche und wenige Jahre nach dem Ende seiner Fußball-Karriere saß Libuda auf einem Haufen Schulden. Die letzten Jahre lebte Stan Libuda zurückgezogen in Gelsenkirchen. Am 25. August 1996 starb der Mann, der sich nur auf dem Platz wirklich wohlzufühlen schien, mit nur 52 Jahren an einem Schlaganfall.

 

Ralf Amshove