20.09.2016 12:44 Uhr

Arkadiusz Milik, der neue Higuaín?

Zugehört: Arkadiusz Milik ist in Neapel angekommen
Zugehört: Arkadiusz Milik ist in Neapel angekommen

Neapolitaner gelten für gewöhnlich als besonders temperamentvoll. Wenn sie etwas lieben, lieben sie es mit voller Inbrunst. Wenn sie etwas hassen, hassen sie für immer und ewig. Als die Partenopeo im vergangenen Transfer-Sommer ein regelrechtes Gefühlschaos durchlebten, bekamen das im Süden Italiens vor allem zwei Menschen mit.

Der eine heißt Gonzalo Higuaín. Der Argentinier war in den letzten Jahren der Sieggarant vom Dienst beim SSC Napoli und hätte sich nach seinen unglaublichen 36 Toren in der letzten Saison ein Denkmal in Kampanien setzen können. Doch "Pipita" ging für 90 Millionen Euro ausgerechnet zur verhassten Konkurrenz nach Turin. Anstatt der neue Maradona zu werden, ist Higuaín nur noch der "Verräter", wie Fans wutentbrannt skandierten.

Der andere heißt Arkadiusz Milik. Die Fußstapfen im Sturm des Tabellenzweiten der vergangenen Saison hätten also nicht größer sein können. Hinzu kommt das Extra-Gepäck von 32 Millionen Euro Ablöse, die sein neuer Klub – Higuaín sei Dank – an Ajax zahlte. Doch der Spieler mit der Rückennummer 99 zahlte das Vertrauen mit Toren schlagartig zurück: Vier Ligaspiele, vier Tore. Ein Auftritt in der Champions League, Doppelpack. Kein Wunder, dass der ehemalige Bundesliga-Stürmer die Herzen der Tifosi im Handumdrehen erobert hat. "Danke für eure Unterstützung und euren Beifall. Danke, dass ihr so stark seid", schrieb der Pole nach seinem letzten Erfolg über Facebook auf italienisch.

Denn der Neue in Neapel fühlt sich bei den heißblütigen Süd-Italienern wohl. "Ich fühle mich jeden Tag besser. Alles geht sehr schnell, ich verbessere mich täglich und lerne die Mentalität im Team", so der Neuzugang über die Vereinsseite der Azzurri vor dem ersten Auftritt in der Champions League gegen Dinamo Kiev. Auch dieses Spiel gewann SSC Napoli dank der Tore des Neuzugangs.

Milik und Higuaín: Anders, gleich, ähnlich?

Es liegt nahe, Vergleiche zwischen den beiden zu ziehen. Doch ist Milik wirklich der neue Higuaín? Der Argentinier, der nicht erst in der letzten Spielzeit seinen – weltweit – unnachahmlichen Torriecher unter Beweis stellte, ist ein klassischer Strafraumstürmer. Er liebt das direkte Duell mit dem Gegner, dreht sich blitzschnell und schießt aus allen Lagen. Oder er steht einfach goldrichtig.

Milik hingegen ist schnell, weicht gerne auf die rechte Außenbahn aus, um dann mit seinem starken linken Fuß abzuschließen oder zu flanken. Damit schafft der Pole Räume für seine Mitspieler, wie beispielsweise für José Callejón, der sich bisher in ähnlich bestechender Frühform zeigt. Außerdem ist der 22-Jährige deutlich kopfballstärker als sein Vorgänger Higuaín.

Gerne, wie in Polens Nationalmannschaft zu sehen ist, harmoniert Milik auch an der Seite eines weiteren, etwas zentraleren Stürmers. Die Azzurri haben also nicht einfach Stürmer gegen Stürmer getauscht: Sie verändern gezielt ihr Angriffsspiel und versuchen nach Higuaíns Abgang variabler zu werden.

Von "Polen-Flop" zum EM-Fahrer

Dreht man die Uhr ein wenig zurück, kommt man über die Entwicklung von Milik hierzulande schon ein wenig ins Staunen. Zwar galt Milik 2013 für Bayer Leverkusens Rudi Völler noch als "Polens größtes Talent". Mit Stolz verkündete der Sportdirektor nämlich damals: "Er hatte viele Anfragen. Aber uns ist es gelungen, ihn davon zu überzeugen, dass er bei uns genau richtig aufgehoben ist", so der Weltmeister von 1990.

Ein halbes Jahr später wurde Milik jedoch zum FC Augsburg ausgeliehen. 2014 verlieh ihn der Werksklub zu Ajax, die den Stürmer später für schlappe 2,8 Millionen Euro fest verpflichteten – und die "Bild" titelte prompt: "Polen-Flop nach Amsterdam". Doch dort konnte die Nummer 99 sein Können endlich unter Beweis stellen und schoss Ajax mit 21 Treffern und neun Assists in der letzten Saison zur Vizemeisterschaft.

Im Sommer stand der junge Stürmer schließlich mit der polnischen Auswahl bei der Europameisterschaft in Frankreich im Fokus. Dass Milik nicht länger in den Niederlanden bliebe, war da schon abzusehen. Wohin, lautete eher die Frage. Von Interesse aus Barcelona und München war die Rede, ein Angebot vom Europa-League-Sieger Sevilla soll es gegeben haben. Am Ende entschied sich Milik, nach einer persönlich eher enttäuschenden EM, bei der er wenige Akzente setzen konnte und glücklos im Torabschluss war, für den Klub aus Kampanien.

In Italien beginnt nun also ein nächstes Kapitel in der noch jungen Karriere des Polen. Gut für den Neuzugang, dass er gleich in seinen ersten Spielen wichtige Tore erzielen konnte. Am vergangenen Spieltag gegen Bologna war es dann wieder so weit: In Minute 62 eingewechselt, ein Heber zum 2:1 fünf Minuten später, ein Distanzschuss zum 3:1 neun Minuten danach. Gut möglich, dass der Stürmer auch am Mittwoch (20:45 Uhr) gegen Genua weitere Tore nachlegt. Milik ist jedenfalls angekommen, wie auch der zweite Teil seiner Botschaft an die Fans zeigt: "Ich bin froh, ein echter Partenopeo zu sein."

Gerrit Kleiböhmer