02.04.2017 13:00 Uhr

Rapid demontiert sich selbst

Joelinton, Giorgi Kvilitaia und Thomas Schrammel: Ein Bild sagt alles aus
Joelinton, Giorgi Kvilitaia und Thomas Schrammel: Ein Bild sagt alles aus

Beim SK Rapid weiß niemand, wie es weitergehen soll. Das 1:1-Remis am Samstag zum Auftakt der 27. Bundesliga-Runde beim SKN St. Pölten ließ ratlose Gesichter bei den Grün-Weißen zurück.

Durch die Ergebnisse der Abendspiele blieb nur ein schwacher Trost für den auf Platz sieben abgerutschten österreichischen Rekordmeister: Der Vorsprung auf Schlusslicht SV Ried wuchs auf acht Punkte an. Alleine schon dies zeigt, wie tief die Ansprüche bei den Hütteldorfern in dieser Saison gesunken sind.

Acht Punkte vor dem Letzten. Acht Spiele sieglos. Acht geben muss vor Rapid schon längst niemand mehr. Dennoch verkündete Sportchef Fredy Bickel unmittelbar nach der Partie, dass Damir Canadi auch am Mittwochabend (ab 20:30 Uhr im weltfussball-Liveticker) beim Viertelfinale des ÖFB-Cups in St. Pölten nach wie vor als Rapid-Trainer agieren wird. Beim Spiel der letzten Chance auf eine Europacup-Teilnahme in der nächsten Saison.
>> Rapid-Sportchef: Canadi bleibt!

Die Qualität fehlt auf allen Ebenen

Nicht nur der merkbar angeschlagene Sportdirektor oder der schwer angezählte Chefcoach haben momentan nichts zu lachen. In der niederösterreichischen Landeshauptstadt offenbarte sich am 1. April in der NV Arena in vielen Szenen eine Darbietung, die bedenkenlos als geschmackloser Aprilscherz durchgehen hätte können.

Als Erwin Pröll vor der Partie in "seinem" Wohnzimmer aufmarschierte, wurde der mittlerweile als Landeshauptmann abgedankte Politiker alter Schule wie gewohnt von seiner Gefolgschaft hofiert und umschwärmt. In der Halbzeitpause ließ der Ex-ÖVP-Zampano dann sogar Entertainer-Qualitäten aufkommen. Als auf den TV-Schirmen nochmals jene Szene abgespielt wurde, bei der ein Foul von SKN-Torhüter Christoph Riegler am durchbrechenden Rapid-Stürmer Joelinton nur mit Gelb geahndet wurde, meinte der Hausherr: "Das ist Rot, obwohl dies in Niederösterreich nur sehr selten gilt."

So wie die Millionen getreuer Sponsoren des früheren Landeshäuptlings den Bundesliga-Aufstieg des SKN St. Pölten möglich gemacht haben, so hatte Rapid-Präsident Michael Krammer vor der Saison aufgeputscht durch das neue Stadion und die Rekord-Transfers vom Angriff auf die Meisterschaft gesprochen. Mittlerweile fragt man sich, ob der Vereinsboss bei der angestrebten "Mission 33" die erzielten Punkte in einer Saison gemeint hat. Zwei Zähler fehlen darauf noch.

In 27 Runden nur sieben Siege, aber je zehn Remis und zehn Niederlagen. Das historische Rapid-Fiasko in Zahlen zeigt die Fehlentwicklung deutlich auf. Es mangelt bei den Grün-Weißen an Qualität. Leider in allen Bereichen.

"Wer uns noch zujubelt, dem muss man gratulieren"

Der Hütteldorfer "Fußballgott" Steffen Hofmann ist auf dem Spielfeld eine letzte - inzwischen zu alte - Erinnerung an bessere Zeiten. Wer auch immer beim größten Sportverein des Landes der Meinung ist, dass Spieler wie Tobias Knoflach, Thomas Schrammel, Mario Sonnleitner, Maximillian Hofmann oder Mario Pavelic genug Klasse für Rapid haben, der irrt folgenschwer.

Es gibt eben einen Grund, warum man seit 2008 ohne Titel ist. Den Trainer kann man wechseln, wie bei Zoran Barišić, Mike Büskens oder vielleicht schon bald Damir Canadi. Aber auch sein Nachfolger - egal wie er heißt - wird die Mängel dieser Spieler nicht kaschieren können. Von lebenden Kader-"Leichen" wie Ján Novota, Richard Strebinger, Millionen-Irrtum Ivan Močinić oder Tomi (letzte Erinnerung an den dreifachen Grödig-Transferflop von Ex-Sportchef Andreas Müller) gar nicht erst zu sprechen.

Nachzulesen in der Statistik: Letzter Bundesliga-Sieg am 11. Dezember 2016. Wer Rapid gewinnen sehen will, der muss einen Blick in die Geschichtsbücher werfen. "Rapid ist Siebenter. Wer uns da noch zujubelt, dem müssen wir gratulieren", sprach Stefan Schwab nach der Partie in den Katakomben Klartext.

Nicht einmal der Geist von Bimbo Binder hilft

"Wenn man nur sechs Tore in sieben Spielen erzielt, dann weiß man was los ist", so Schwab und hatte sich dabei noch verrechnet. Es sind gar nur fünf Treffer.

Dabei war der Großteil der 7.627 Zuschauern im Lager der Gäste gewesen. "Mit Bimbo Binders Geist zurück zu alter Stärke", forderte der Rapid-Anhang mit seiner Choreographie vor dem Anpfiff an der Bimbo Binder-Promenade. Es blieb ein frommer Wunsch. Nach Schlusspfiff hingen einige erzürnte Fans dann am Zaun und zeigten der Mannschaft, was man von ihrer geplanten Verabschiedung hält: Nichts! So wie von der Leistung in den zweiten 45 Minuten.

Dies musste auch Rapid-Coach Canadi bei der Pressekonferenz nach dem Spiel gegenüber weltfussball zugeben: "Großen Respekt für unsere Fans, die uns wirklich toll unterstützt haben. Natürlich hätten sie lieber einen Sieg gesehen. Ich kann die Reaktion am Ende verstehen, denn die zweite Halbzeit war nicht in Ordnung. Da hat man auch von der Körpersprache gesehen, dass meine Mannschaft nicht bereit ist."

Wer spricht bei Rapid (noch) mit wem?

Zudem gestand der schwer in die Kritik geratene Betreuer: "Wenn man so viele Spiele nicht gewinnt, dann ist es in ganz Europa normal, dass der Trainer in Frage gestellt wird. Das ist bei Rapid nicht anders."

Canadi hatte in der Länderspielpause eine mediale Breitseite abbekommen, die ihresgleichen sucht. "Krone", "Kurier", "Standard" oder "Presse". Die Wiener Zeitungen zählten den Rapid-Trainer im besten Fall an oder schrieben im schlechtesten Fall bereits vorzeitig seinen Abgang herbei. Je nachdem welche persönliche Rechnung sich in den vorangegangenen Wochen aufgestaut hatte, erfolgte der Grad der Abrechnung. Ein unglaubliches Kommunikations-Debakel für die Hütteldorfer, die noch dazu großen Wert auf eine umfangreiche Presse-Abteilung legen.

Misstrauen zieht sich längst durch den ganzen Verein. Canadi, der trotz der Pleiten-Serie ein exzellentes "Standing" bei den führenden Fangruppen genießt, gibt den Spielern die Schuld. Die Spieler hingegen lassen kein gutes Haar am Trainer und seinem Umgang in der täglichen Zusammenarbeit. Geschäftsführer Christoph Peschek, der speziell zu den Ultras beste Kontakte pflegt, sitzt zwischen den Stühlen.

Sportchef Fredy Bickel, der dem Chefcoach das Vertrauen aussprach (im Fußball oft gleichbedeutend mit einer bevorstehenden Beurlaubung), brachte es auf den Punkt: "Es kommt die Angst dazu." Vor Rapid zittert ohnehin schon längst niemand mehr. Jetzt hat man auch noch Angst vor sich selbst. Ein Verein demontiert sich selbst: Rapid im April 2017.

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Christian Tragschitz, weltfussball.at aus St. Pölten