22.07.2018 09:15 Uhr

Vogel: "Der nächste Schritt ist der zurück"

Sieht Verbesserungspotenzial vor allem in der Offensive
Sieht Verbesserungspotenzial vor allem in der Offensive

Heiko Vogel holte in seinem ersten Halbjahr als Trainer von Sturm Graz den Titel im ÖFB-Cup, dann kam ihm seine halbe Startelf abhanden.

Vor dem Champions-League-Qualifikationsspiel bei Ajax Amsterdam sprach der 42-jährige Deutsche über den Kaderumbruch, den Spirit der Cupsieger-Mannschaft und Fußball als Abbild der Menschheitsgeschichte.

Ihr erstes Halbjahr als Trainer von Sturm Graz war mit dem Titelgewinn im Cup und der Vizemeisterschaft ein sehr erfolgreiches. Welche Schlüsse haben Sie in einer ruhigen Minute im Urlaub für sich gezogen?

"Ich glaube, dass es wichtig ist, bei allem Erfolg, den wir hatten, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Meine Bilanz lautet: Jetzt erst recht. Jetzt gilt es voran zu schreiten und mit aller Macht zu zeigen, dass noch mehr geht. Nicht an Erfolgen oder Titeln gemessen, das ist sehr schwer, die Konkurrenz ist um einiges gewachsen. Ich fange da bei mir selbst an, ich möchte ein noch besserer Trainer werden. Wenn ich das schaffe, dann werden, denke ich, auch meine Spieler ein bisschen besser."

Sie haben Bezug nehmend auf viele Spielerabgänge gesagt: "Vielleicht waren wir zu erfolgreich." Wie viel Erfolg verträgt ein Verein der Größenordnung von Sturm Graz?

"Erfolg ist nie schädlich. Erfolg ist vielleicht der größte Gegner von Kontinuität bei einem Verein unserer Größenordnung. Aber es ist schön, wenn man bei einem Verein arbeitet, der Ambitionen hat, der um Titel mitspielen will. Ich glaube, dass es normal war, dass sich Spieler durch so eine Saison bei anderen Vereinen in den Fokus gespielt haben. Ich sehe in so einem Umbruch auch immer eine Riesenchance, Dinge neu und anders zu machen. Für mich ist die Situation superspannend."

Was haben die zahlreichen Abgänge mit der Mannschaft gemacht?

"Wir waren eine verschworene Gemeinschaft. Die Jungs haben sich auf und abseits des Platzes perfekt ergänzt. Natürlich war es von vielen der Traum, auf ewig so weiterzumachen. Aber leider Gottes ist Fußball ein Abbild der Menschheitsgeschichte. Alles entwickelt sich, ist in Veränderung und so ist es auch bei der Entwicklung einer Fußballmannschaft. Ich finde das sehr reizvoll, weil es einen dazu zwingt, immer in Bewegung zu bleiben. So ist der Lauf der Evolution. Im Fußball ist es unromantisch, aber einfach systemimmanent."

Wird es die größte Herausforderung sein, den Spirit aus der Cupsieger-Mannschaft mitzunehmen?

"Kreieren wäre das bessere Wort. Wir haben Abgänge, wir haben neue Gesichter. Das ist ein Prozess, der ein bisschen dauert. Eine perfekt harmonierende Mannschaft basiert vor allem auf Vertrauen. Dieses Vertrauen müssen sich die Spieler selbst erarbeiten im Umgang miteinander."

Bekommen Sie und die Spieler diese Zeit?

"Ich weiß natürlich, wie die Mechanismen funktionieren. Wir sind aber geduldig, Günter (Kreissl, Anm.) und ich stehen im gegenseitigen Austausch und machen uns Gedanken, wie wir für Kontinuität sorgen können. Insofern nehmen wir uns die Zeit."

Am Mittwoch schon startet bei Ajax Amsterdam das Abenteuer Champions-League-Qualifikation.

"Über Ajax muss man nicht viel sagen, das ist einer der ganz großen Vereine in Europa. Wir haben uns den Traum von der Champions-League-Gruppenphase selbst erarbeitet, wollen den auch leben. Wir wollen in eine internationale Gruppenphase. Sollte es die Europa League werden, ist es herausragend für einen Verein wie Sturm Graz."

Sie haben in der Vorbereitung auf eine Dreier- respektive Fünferkette gesetzt. Ist das die Formation der Stunde für den SK Sturm?

"Das kann ich mit Ja beantworten. Wir haben drei starke Innenverteidiger, die auch sehr schnell zueinander gefunden haben, insofern werde ich einen Teufel tun, uns unserer defensiven Stabilität zu berauben. Ich bin sowieso ein Fan der Dreierkette, vor allem was den Spielaufbau angeht."

Dabei wäre die Viererkette grundsätzlich schon mehr das Ihre. In den ersten Spielen als Sie nach Graz gekommen sind ...

"... aber Dogmen und Borniertheit sind Fehl am Platz! Die Mannschaft hat mir klar signalisiert, dass sie es so lieber hat. Es geht darum, dass die Mannschaft mit einem guten Gefühl auf den Platz geht, nicht mit dem guten Gefühl des Trainers. Das ist ein Geben und Nehmen. Ich nehme mir aber mit Sicherheit die Freiheit, das auch nach Belieben zu wechseln."

Ihre Mannschaft ist speziell am Ende der abgelaufenen Saison sehr variabel aufgetreten. Welche nächsten Schritte haben Sie geplant?

"Der nächste Schritt ist der zurück. Als ich Sturm-Trainer wurde, bin ich am Anfang mit 'brachialer Gewalt' rein - 100 Prozent so, wie ich es wollte, ohne Rücksicht auf Verluste. Jetzt glaube ich gelernt zu haben, dass es kontinuierlich, einfach etwas ruhiger gehen muss. Erst wenn die Mannschaft mit einer Sache vertraut ist, kommt die Flexibilität."

Wo sehen Sie derzeit am meisten Verbesserungspotenzial?

"Ganz klar im Offensivbereich. Wir sind in der ersten Phase der Spieleröffnung schon ganz gut, aber uns fehlt die Zielstrebigkeit, der Zug zum Tor im letzten Drittel. Da wird manchmal noch zu viel nachgedacht. Ich würde mir wünschen, dass die Spieler hier mehr ihre Intuition walten lassen würden."

Für Edomonyi und Alar kamen Pink und Hosiner. Wie sieht die Rollenverteilung der neuen Stürmer aus?

"Man darf nicht den Fehler machen und anfangen die Spieler zu vergleichen. Wir haben nicht gesagt: 'Edomwonyi ist weg, jetzt brauchen wir einen Edomwonyi 2.0.' Wir haben jetzt mit Hosiner, Pink und Eze Spieler, die sich gut ergänzen. Und die Möglichkeit, neue Formationen auszutesten, vielleicht sogar auch mal drei von ihnen zu bringen."

Alle drei auf einmal?

"Wäre logisch. Den Mutigen gehört die Welt."

Das Interview führte die apa