25.07.2018 18:05 Uhr

Kommerz statt Kult? Klopps Kehrtwende beim FC Liverpool

Jürgen Klopp will mit dem FC Liverpool endlich einen Titel gewinnen
Jürgen Klopp will mit dem FC Liverpool endlich einen Titel gewinnen

Zwei Jahre nach seiner Kritik am Transferwahnsinn fliegen Jürgen Klopp seine Aussagen um die Ohren. In der laufenden Wechselperiode hat der deutsche Trainer mit dem englischen Fußball-Traditionsverein FC Liverpool bereits 182 Millionen Euro in frisches Personal investiert - nur Juventus Turin war europaweit spendabler. Was hat Klopp zum Umdenken bewegt?

Rückblick: August 2016. Als Manchester United nach zähen Verhandlungen den bis dahin gültigen Ablöserekord brach und 105 Millionen Euro für den Franzosen Paul Pogba ausgab, entstand auf der britischen Insel eine hitzige Debatte über die Verhältnismäßigkeit derartiger Deals. Während Red-Devils-Coach José Mourinho frohlockte, konnten viele Mitstreiter ihr Missfallen nicht verbergen.

Einer dieser Kritiker war Jürgen Klopp, der deutlich Stellung bezog. "Muss ich das anders machen? Tatsächlich will ich das anders machen. Das würde ich sogar tun, wenn ich mehr Geld ausgeben könnte", hatte der ehemalige BVB-Trainer damals gesagt: "An dem Tag, an dem das Fußball ist, werde ich meinen Job nicht mehr machen." Markige Worte, die den mittlerweile 51-Jährigen nun einholen.

Als die Reds in der Vorwoche den teuersten Torwart-Transfer aller Zeiten unter Dach und Fach brachten - der Brasilianer Alisson wurde für 62,5 Millionen Euro an die Mersey gelockt - kramten Reporter die Klopp-Statements wieder hervor.

Der gebürtige Schwabe reagierte cool. "Das ist das Problem heutzutage: Was auch immer man für einen 'Bullshit' ablässt - niemand wird es je vergessen", klagte "Kloppo" augenzwinkernd: "Andererseits ist es immer noch wahr. Ich konnte mir vor zwei Jahren nicht vorstellen, dass sich die Welt derart verändern würde. 100 Millionen Pfund waren damals eine surreale Summe. Seitdem hat sich die Welt aber komplett verändert."

261 Millionen Euro für fünf Neuzugänge

Was Klopp meint: Seit Scheich-Klubs wie Manchester City oder Paris Saint-Germain den Transfermarkt auf links gedreht haben, ist die Konkurrenz gezwungen, neue Wege zu gehen. Kaum einer leistet Widerstand. Warum auch? Dank des irrwitzigen TV-Deals der Premier League können in England selbst Aufsteiger und Provinzvereine auf Champions-League-Niveau einkaufen.

Zum Vergleich: Der AFC Bournemouth, eine Art Insel-Pendant zum SC Freiburg, gab als Ablöse-Schlusslicht im vorigen Jahr rund 34 Millionen Euro für neue Spieler aus. Im Bundesliga-Ranking hätte dieser Wert zu Rang neun gereicht.

Beim FC Liverpool, seit 2010 im Besitz der US-amerikanischen Investmentgruppe "New England Sports Ventures", hat ob der jüngsten Entwicklungen ein Umdenken stattgefunden.

Seit Januar hat der Königsklassen-Finalist 261 Millionen Euro in die Hand genommen, um Virgil van Dijk (78,8 Mio.), Alisson Becker (62,5 Mio.), Fabinho (45 Mio.), Xherdan Shaqiri (14,7 Mio.) und Naby Keita (60 Mio., Wechsel stand bereits länger fest) zu verpflichten.

Böse Zungen behaupten, dass nun auch an der Anfield Road, jahrzehntelang eine der letzten Bastionen des "wahren Fußballs", der Kommerz gesiegt habe. Zu Recht?

"Es ist besser, seine Meinung zu ändern, als gar nicht erst eine zu haben"

Jürgen Klopp tritt den Kritikern entschieden entgegen. "Es ist uns egal, was die Welt um uns herum darüber denkt, genau wie es Manchester United 2016 nicht interessiert hat, was ich gesagt habe", so der Teammanager, der einen Sinneswandel offen eingesteht: "Habe ich meine Meinung geändert? Ja, das ist wahr. Aber es ist besser, seine Meinung zu ändern, als gar nicht erst eine zu haben."

Der 51-Jährige lebt pure Überzeugung vor: "Es liegt in meiner Verantwortung, mit diesem Klub so erfolgreich wie möglich zu sein. Es geht nicht darum, meine Gedanken durchzusetzen und zu sagen, wir wollen keine teuren Spieler kaufen oder große Summen bezahlen, und am Ende ist Liverpool nicht erfolgreich. So funktioniert das nicht." Wohl wissend, dass er die Reds in nur zweieinhalb Jahren aus dem Niemandsland zurück in die Weltspitze geführt hat.

Jürgen Klopp herzt Trent Alexander-Arnold
Jürgen Klopp herzt Trent Alexander-Arnold

Ein Blick auf Klopps Top-Transfers bestätigt, dass er mit seinen Einschätzungen nahezu immer richtig lag. Sadio Mané (41 Mio. Euro) und Mohamed Salah (42 Mio. Euro) waren zwar keine Schnäppchen, sind heute aber ein Vielfaches wert. Hinter den "Big Deals" steckte stets ein größerer Plan.

Lobenswert: Trotz üppiger Investitionen in externe Neuzugänge wurde der eigene Nachwuchs nie vernachlässigt. Zuletzt gelang Trent Alexander-Arnold der Durchbruch, der 19 Jahre alte Rechtsverteidiger schaffte nach einer überragenden Saison gar den Sprung in den WM-Kader Englands.

Acht Spieler auf der Abschussliste

Eitel Sonnenschein also? Nicht ganz. Um Probleme mit dem Financial Fairplay zu vermeiden, muss der LFC noch den einen oder anderen Profi abgeben.

Laut "Liverpool Echo" stehen Daniel Sturridge (28), Divock Origi (23), Danny Ings (26), Marko Grujic (22), Simon Mignolet (30), Sheyi Ojo (21), Lazar Markovic (24) und Pedro Chirivella (21) auf der Abschussliste. Auch die Zukunft des deutschen Keepers Loris Karius (25) scheint nach der Ankunft von Alisson, dem Klopp eine Stammplatzgarantie ausgestellt hat, durchaus fraglich.

Sollten alle Wackelkandidaten verkauft werden, winken Einnahmen von mehr als 100 Millionen Euro, die das aktuelle Transferminus (-168 Mio. Euro) massiv verringern würden. Nebenbei wäre der Kader dann immer noch stark genug besetzt, um den Champions-League-Titel erneut in Angriff zu nehmen.

Beste Aussichten für den FC Liverpool, auch wenn manch ein Kommerzgegner noch die Nase rümpft. Am Ende des Tages spricht alles für den Erfolg von Klopps Kehrtwende. Getreu dem Motto des deutschen Lyrikers Friedrich Hebbel (1813-1863): "Es gehört oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu zu bleiben."

Heiko Lütkehus