17.07.2019 12:38 Uhr

Unruhiger Umbruch: Die Baustellen des VfB Stuttgart

Der VfB Stuttgart startet die Mission Wiederaufstieg nicht sorgenfrei
Der VfB Stuttgart startet die Mission Wiederaufstieg nicht sorgenfrei

Nach dem frustrierenden Abstieg aus der Fußball-Bundesliga muss der VfB Stuttgart den zweiten großen Umbruch binnen drei Jahren bewältigen. Gelingt der Neustart im Unterhaus? sport.de macht den Baustellen-Check.

Frei nach der schwäbischen Lebensweisheit "s' Läba isch koi Schlotzer" quälten sich die Profis des VfB Stuttgart zuletzt im Trainingslager in St. Gallen für den Saisonauftakt gegen Hannover 96. Unter Coach Tim Walter, der vom künftigen Ligakonkurrenten Holstein Kiel ins Ländle wechselte, soll alles besser werden.

Zugegeben - viel schlechter ging's auch nicht mehr. Mit mickrigen 28 Punkten hatten sich die Stuttgarter in die Relegation geduselt, dort gegen Union Berlin aber den Kürzeren gezogen. Seither ist beim VfB eine Menge passiert.

Zehn Spieler kamen, zehn gingen, zudem hat Sven Mislintat seinen Job als Sportdirektor angetreten und erste Maßnahmen in die Wege geleitet. Dennoch ist in einigen Bereichen weiter Luft nach oben. 

  • Das fehlende Tempo

Im Abstiegsjahr waren Anastasios Donis und Leihspieler Alexander Esswein die einzigen Akteure, die hin und wieder Tempo in die Angriffe brachten. Ansonsten präsentierte sich das Team überwiegend träge und teilnahmslos.

Allzu viel hat sich daran bislang nicht geändert. Von den Neuen gilt nur der 18 Jahre alte Tanguy Coulibaly (kam von PSG) als antrittsschnell. Größeren Wert legten die Kaderplaner auf Wucht und Präsenz, wie die Transfers der hünenhaften Mittelstürmer Hamadi Al Ghaddioui (Jahn Regensburg) und Sasa Kalajdzic (Admira Wacker) beweisen.

Ohne Frage ist Durchschlagskraft im Zentrum für einen Aufstiegsanwärter wie den VfB von immenser Bedeutung, schließlich igeln sich individuell unterlegene Gegner - und die gibt es für Stuttgart in Liga zwei zuhauf - gerne am eigenen Sechzehner ein.

Perspektivisch muss Trainer Walter jedoch einen Stil entwickeln, der auch eine Etage höher funktionieren könnte. Und dort ist Geschwindigkeit im Umschaltspiel ein absolutes Muss. Die Verantwortlichen wissen das und fahnden aktuell nach flinken Soforthilfen. Bis dato ohne Erfolg.

  • Die vielen Wechselkandidaten

Obwohl bereits ein knappes Dutzend gestandener Profis gegangen ist, darunter die Routiniers Ron-Robert Zieler, Christian Gentner, Andreas Beck und Dennis Aogo, liebäugeln weitere Spieler mit einem Abschied.

Kaum vorstellbar, dass begehrte Akteure wie Santiago Ascacíbar und Anastasios Donis am Ende wirklich mit in die zweite Liga gehen. Auch hinter der Zukunft von Eigengewächs Timo Baumgartl steht ein dickes Fragezeichen. Und dann wäre da noch ein gewisser Holger Badstuber, der beim VfB seit längerem ein Schattendasein fristet.

Die Krux: Solange die Situation der Wechselkandidaten nicht geklärt ist, werden Kaderplätze blockiert und Top-Gehälter fällig. Zwar haben die Transfers von Benjamin Pavard (FC Bayern München) und Ozan Kabak (FC Schalke 04) rund 50 Millionen Euro eingebracht, frei von finanziellen Zwängen sind die Stuttgarter deshalb aber nicht.

Auch wenn schon fleißig eingekauft wurde, sind zusätzliche Verstärkungen dringend notwendig. Mit jedem Tag steigt die Wahrscheinlichkeit eines Last-Minute-Stühlerückens beim VfB. Alles andere als ideal für die Integration möglicher Neuzugänge.

  • Der enorme Erwartungsdruck

Ein leichtes Pflaster war der VfB noch nie. Der Traditionsklub aus Bad Cannstatt bewegt sich in einem schwierigen Umfeld, Fans und Medien sind nicht für ihre Geduld bekannt. Am schwäbischen Erwartungsdruck sind in den vergangenen Jahren zahllose Spieler, Trainer und Funktionäre gescheitert.

Nun soll das neue Führungstrio, bestehend aus Coach Walter, Sportdirektor Mislintat und Sportvorstand Thomas Hitzlsperger, endlich Ruhe und Kontinuität in den Verein bringen. Kein einfaches Unterfangen.

"Das A und O ist, dass der Austausch zwischen uns nahtlos funktioniert und wir alles gemeinsam entscheiden", stellte Walter kürzlich klar. Den Kulturschock nach seinem Wechsel vom beschaulichen Kiel ins launische Ländle hat der 43-Jährige offensichtlich verdaut. 

In den ersten Wochen stehen Partien gegen Hannover, Heidenheim und St. Pauli auf dem Programm, zudem wartet Angstgegner Hansa Rostock im DFB-Pokal. Zur Erinnerung: Die peinliche 0:2-Pleite an der Ostsee war im Vorjahr der erste Nagel im Stuttgarter Sarg. Ein Déjà-vu sollte tunlichst vermieden werden.

  • Das Dietrich-Desaster

Abseits des Rasens sorgte die Dauer-Debatte um (Ex-)Präsident Wolfgang Dietrich für Unruhe. Mittlerweile ist der in Fankreisen verhasste 70-Jährige beim VfB Geschichte, doch die Umstände seines Rücktritts geben zu bedenken.

Wegen eines Zusammenbruchs des für Abstimmungen eingerichteten WLAN-Netzes im Stuttgarter Stadion hatte eine mit Spannung erwartete Mitgliederversammlung am Sonntag kurz vor der beantragten Abwahl Dietrichs abgebrochen werden müssen. Ein PR-Desaster!

"Ich lasse mir meine Würde und Ehre nicht von denjenigen nehmen, die ihre Macht lautstark und mit verbaler Gewalt demonstrieren. Ebenso wenig wie von denen, die sich schon seit Langem an den gut gefüllten Töpfen unseres Vereins bedienen wollen", schrieb der seit 2016 amtierende Dietrich im Anschluss bei Facebook und verkündete seinen Rückzug.

Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen. Den entstandenen Imageschaden werden auch die Spieler ausbaden müssen, denn: Selten schlug dem VfB so viel Häme entgegen wie in den Tagen nach der Mitgliederversammlung. Jeder sportliche Ausrutscher könnte neue Wellen schlagen - eine Hypothek für die neuformierte Mannschaft.

Heiko Lütkehus