16.08.2019 11:59 Uhr

"Boss" Rahn: Genie, WM-Held und Spaßvogel

Helmut Rahn wäre am Freitag 90 Jahre alt geworden
Helmut Rahn wäre am Freitag 90 Jahre alt geworden

"Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen. Rahn schießt - Tooor, Tooor, Tooor, Tooor." Die Worte des legendären Radioreporters Herbert Zimmermann beim Wunder von Bern 1954 sorgen auch heute noch für Gänsehaut. Derjenige, der sie mit seinem 3:2-Siegtor für Deutschland im WM-Endspiel im Wankdorf-Stadion gegen die als unschlagbar geltenden Ungarn verursachte, wäre am Freitag 90 Jahre alt geworden.

Helmut Rahn, Mitglied der "Ersten Elf" der Hall of Fame im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, war auf seine Art ein Genie. Einer, der als dritter Sohn eines Bergmanns aus kleinen Verhältnissen stammte, aber ein Talent in die Wiege gelegt bekommen hatte, das heute sicherlich viele Millionen wert wäre. Aber Geld war dem "Boss" im Leben stets nicht das Wichtigste.

Seine fulminanten Schussqualitäten mit seinem linken Fuß haben die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes und den damaligen Bundestrainer Sepp Herberger zum Weltmeister gemacht. Zweimal traf Rahn gegen die Magyaren - darunter jenes Siegtor im strömenden Regen von Bern, das Zimmermann auf seine unglaublich faszinierende Art und Weise in Worte kleidete.

"Plötzlich war Deutschland wieder wer"

Rahn war sich wahrscheinlich 1954 gar nicht bewusst, was sein Schuss ins Glück in der 84. Minute bewirkt hat. Viele Historiker betrachteten rückblickend das Fußball-Großereignis im Nachbarland als größten Push für die noch junge Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg und den Jahren des Wiederaufbaus. Der Jubel, der Herberger, Rahn, Fritz Walter und Co. auf der Bahnfahrt in die Heimat an den unterschiedlichsten Bahnhöfen entgegenschlug, war auch Ausdruck eines wiedergewonnenen Stolzes, den elf deutsche Fußballer in Bern mit ihrem Triumph ausgelöst hatten.

"Fußball damals war eigentlich die Achse Sepp Herberger, Fritz Walter und Helmut Rahn. Der Boss hat zum wichtigsten Erfolg der deutschen Fußball-Geschichte beigetragen. Plötzlich war Deutschland wieder wer. Wir haben durch diesen Erfolg für ein ganzes Land wieder Selbstwertgefühl bekommen", sagte Franz Beckenbauer, als Rahn 2003 zwei Tage vor seinem 74. Geburtstag nach langer, schwerer Krankheit verstarb.

Privatmann Rahn eher scheu und zurückhaltend

Rahn galt stets als bodenständiger Pragmatiker und Spaßvogel, einer, der nicht gerade ein Ausbund an Disziplin war, aber ein begnadeter Kicker, der wusste, wo das Runde hin musste: nämlich ins Eckige! Die "Kiiirsche" konnte er mit solcher Vehemenz in Richtung Tor bringen, dass dem Gegner Hören und Sehen verging.

Der Privatmann Rahn war ein ganzer anderer Typ, eher scheu, zurückgezogen, der in einem Mehrfamilienhaus in Essen lebte und am liebsten mit Kumpels an der Theke klönte und sein "Pilsken" zischte. Der gelernte Elektriker hatte nach Ende seiner aktiven Karriere zusammen mit seinem Bruder einen Autohandel betrieben.

RW Essen schneller als der FC Schalke

Essen, seine Heimatstadt, war auch so etwas wie seine Schutzzone. Seine Frau Gerti und die beiden Söhne schirmten ihn weitgehend ab. In die Schlagzeilen geriet der "Boss" (40 Länderspiele, 21 Tore) erstmals 1951 durch seinen Wechsel von den Sportfreunden Katernberg zum Nachbarn Rot-Weiß Essen. Für die Ablösesumme von 7000 Mark kauften sich die Katernberger eine Sichtblende, die prompt den Namen Helmut-Rahn-Zaun erhielt.

Schalkes Fritz Szepan war zu spät gekommen, um sich die Dienste des Torjägers zu sichern. Schneller war ein gewisser Georg Melches, der Rahn an die Essener Hafenstraße lockte. 1953 wurde Helmut Rahn mit Rot-Weiss Essen durch einen 2:1-Erfolg gegen Alemannia Aachen deutscher Pokalsieger.

Danach ging sein Stern erst richtig auf. Herberger machte den lebenslustigen Essener, der auf dem Fußballplatz und außerhalb für einige Kapriolen sorgte, zu seinem Ziehsohn. Dabei übersah der ansonsten strenge "Chef" auch so manche Eskapade seines Torjägers.

Im WM-Finale zahlte Rahn das Vertrauen zurück. Herbergers Maßnahme, Rahn mit seinem Kapitän und verlängerten Arm, Fritz Walter, zusammen aufs Zimmer 303 im Seehotel "Belvedere" im malerischen Spiez an Thunersee zu legen, war eine weitere Meisterleistung des "Chefs".