25.02.2020 10:27 Uhr

Antonio Rüdiger: "Die Bayern haben auch ihre Probleme"

Antonio Rüdiger trifft mit dem FC Chelsea auf den FC Bayern
Antonio Rüdiger trifft mit dem FC Chelsea auf den FC Bayern

In der Champions League trifft Nationalspieler Antonio Rüdiger im Achtelfinale mit dem FC Chelsea auf den FC Bayern. Vor dem Duell gegen den Rekordmeister spricht der Abwehrspieler über Robert Lewandowski, die Durststrecke der Blues und die DFB-Auswahl.

Antonio Rüdiger, was haben Sie am 19. Mai 2012 gemacht?

Antonio Rüdiger (26): 19. Mai 2012. (Überlegt lange) Wow, was habe ich da gemacht?

Das war der Tag des 'Finales dahoam', von dem die Bayern heute noch Albträume haben. Jetzt wollen sie Revanche.

Ah, okay. Ich freue mich darauf. Ich bin geboren und aufgewachsen in Deutschland, Bayern München ist der größte Verein in Deutschland. Schöne Sache.

Warum wird es dieses Mal ähnlich laufen?

Bayern ist im Moment besser drauf, hat etwas mehr Selbstvertrauen als wir, steht in der Liga wieder auf Platz eins. Bei uns ist ein bisschen, was heißt Krise, aber ein kleines Tief. Damals hat auch jeder gesagt: Bayern München gewinnt. Am Ende hat Chelsea gewonnen. Diese Underdog-Rolle tut manchmal gut. Ich kann damit leben.

Auf Sie wird gegen Robert Lewandowski und Co. Schwerstarbeit zukommen. Schlafen Sie schlecht?

Ich schlafe generell gut. Aber natürlich brenne ich darauf, er ist einer der besten Stürmer der Welt, das hat er mehrfach bewiesen. Ich hoffe auf einen schlechten Tag für ihn. Wir müssen in dieses Spiel reingehen ohne Angst, Fehler zu machen. Die Bayern haben auch ihre Probleme.

Welche?

In den letzten Jahren waren sie meistens hinten solider. Das hat sich geändert, auch verletzungsbedingt. Natürlich haben die Bayern mehr Stärken als Schwächen. Aber auch sie sind verwundbar - wie jede Mannschaft.

Bei Chelsea läuft es in der Liga nicht nach Wunsch. Wie geht Ihr junger Trainer Frank Lampard damit um?

Ich erlebe ihn sehr ruhig, er lässt sich nicht von diesem Medien-Tamtam beunruhigen. Er war ein fantastischer Spieler, er ist eine Legende hier. Die Mannschaft glaubt an ihn, wir alle stehen hinter ihm. In solchen Spielen kann so ein Trainer ein sehr, sehr großer Faktor sein.

Was fehlt Chelsea aktuell?

Wir vermissen manchmal den Killerinstinkt, wie ihn zum Beispiel Lewandowski hat. Einfach die Gier nach mehr, diese Gier vor dem Tor. Lewandowski ist 31 Jahre alt und hat noch immer diesen Hunger auf Tore. Auch bei gegnerischen Standards und Kontern haben wir zuletzt geschwächelt, daran müssen wir arbeiten.

Sie spielen seit 2017 in London. Sind Sie angekommen?

Ich fühle mich sehr wohl hier, bin hier anerkannt von meinen Trainern, meinen Mitspielern, den Zuschauern. Ich genieße das und hoffe auf mehr, auf weitere Titel. Dieser Verein hat mich gelehrt, wie man gewinnt.

Spüren Sie, dass der Druck hier größer ist als bei ihren Ex-Vereinen?

Na klar. Die Stimmung schlägt sehr, sehr schnell um, wenn es mal nicht läuft. Das ist ein großer Verein, der auf Titel aus ist, das ist ein anderer Druck als in Stuttgart oder Rom. Aber es muss mir von den Leuten keiner sagen, wie ich meinen Job zu machen habe.

Sie galten einst als Rüpel auf dem Platz, als Junge von der Straße oder Rocky Rüdiger. Wie ist es Ihnen gelungen, dieses Image abzulegen?

Wenn die Leute Berlin-Neukölln hören, werden alle über einen Kamm geschert. Ja, es ist eine harte Gegend, aber für mich die schönste auf dieser Welt, ich mag's dort. Klar, man wollte immer irgendwo zeigen: Man ist unverwundbar, man ist hart und alles. Das war, als ich jünger war, da habe ich die Dinge mit anderen Augen gesehen.

Und jetzt?

Jetzt bin ich entspannter. Aber Fußball ist Emotion - und die wird und kann mir keiner nehmen. Wenn du diese Emotion raus nimmst, macht es dann überhaupt noch Sinn, ins Stadion zu kommen? Den Leuten gefällt's doch. Aber es muss alles im Rahmen bleiben, fair.

Auch, weil Sie derart gereift sind, werden Sie für die EM als deutscher Abwehrchef gehandelt. Bereit?

Ich bin hier, ja. Also, ich kriege das immer nur durch die Medien mit: Abwehrchef, puh. Ich bin da ganz entspannt, ich kenne meine Rolle, ich muss da nicht viel reden. Ich weiß, was zu tun ist.

Haben Sie nicht das Gefühl, im DFB-Dress bisher unter Wert gespielt zu haben?

Na klar! Wenn man meine Leistungen bei Chelsea und für den DFB vergleicht - da ist der Abstand ein bisschen groß. Deswegen freue ich mich auf die kommenden Spiele und die EM, dass ich da ein anderes Gesicht zeige.

2014 haben Sie es knapp nicht in den Kader geschafft, 2016 fielen Sie verletzt aus, 2018 durften Sie nur einmal ran. Da scheint eine Rechnung offen zu sein.

Auf jeden Fall. Ich habe was zu beweisen, das ist so, wie ich fühle. Aber ich setze mich nicht großartig unter Druck. Ja, ich muss Leistung bringen, aber so wie jeder andere.

Die Vorrundengegner Frankreich und Portugal werden auf Konter setzen, sagte Joachim Löw. Gefährlich?

Die Gruppe an sich ist gefährlich. Diese EM kann ein Top oder ein Flop werden, das ist eine Wundertüte. Wir sollten nicht so viel darüber nachdenken, einfach mal machen, keine Angst haben vor dem Versagen.

DFB-Direktor Oliver Bierhoff sieht die Generation der Confed-Cup-Sieger noch nicht so weit wie jene 2010. Hat er recht?

Er hat im Grunde recht, die Jungs damals waren noch erfahrener, aber wir wollen ihm trotzdem beweisen, dass wir mindestens auch so weit sind. Wir haben beim Confed Cup gezeigt, zu was wir fähig sind. Warum sollten wir das nicht noch mal machen?

Dennoch gibt es Stimmen, die eine Rückholaktion des ein oder anderen Rio-Weltmeisters fordern. Würden Sie das begrüßen?

Wenn der Trainer denkt, dass uns diese Jungs weiterbringen können, werde ich nicht derjenige sein, der sich dagegen stellt. Wir kennen uns doch alle, es ist ja nicht so, dass wir zum ersten Mal zusammenspielen würden. Ich nehme mich da nicht zu wichtig oder bin gekränkt in meiner Ehre.

Ist der Zusammenhalt unter den Jüngeren nicht größer?

Ja, aber wer sagt, dass wir außerhalb des Platzes die besten Freunde sein müssen? Man sollte Respekt voreinander haben, eine Gemeinschaft sein, das reicht. Und das sind wir. Jeder muss bereit sein, auf dem Platz für den anderen alles zu geben. Außerhalb kann sich jeder selbst helfen.