05.11.2020 17:48 Uhr

United in der Krise: Ausgeträumt am "Theatre of Dreams"

Ole Gunnar Solskjaer bangt bei Manchester United um seinen Trainerposten
Ole Gunnar Solskjaer bangt bei Manchester United um seinen Trainerposten

Angeführt von Klub-Legenden wie Paul Scholes, David Beckham, Phil Neville, Wayne Rooney oder Ryan Giggs und mit Trainer-Ikone Sir Alex Ferguson an der Seitenlinie gehörte Manchester United ab Mitte der 1990er-Jahre zu den Klubs, die den europäischen Fußball maßgeblich prägten. Mit dem Ende der Ära Ferguson im Sommer 2013 endete jedoch auch die Zeit der ganz großen Erfolge. Außer einer enormen Erwartungshaltung ist vom alten Glanz nicht mehr viel geblieben.

13 englische Meisterschaften, fünf Siege im FA Cup sowie die Champions-League-Triumphe 1999 und 2008: Zwischen 1993 und 2013 sorgte Manchester United dafür, dass die Trophäenschranke im altehrwürdigen Old Trafford aus allen nähten platzten. Nach zuvor zweieinhalb überschaubar erfolgreichen Dekaden träumten sich die Fans in der liebevoll "Theatre of Dreams" genannten Heimstätte der Red Devils wieder von Erfolg zu Erfolg. 

Als Ferguson den Anhängern in seiner letzten Amtszeit 2013 noch einmal die Meisterschaft schenkte, deutete zudem nicht wenig auf eine goldene Zukunft hin - die blieb aus. Trotz großer Namen, unter anderem versuchten sich Louis van Gaal und José Mourinho, gelang es bislang keinem Ferguson-Nachfolger, die riesengroßen Fußstapfen des Schotten auszufüllen.

Unter Ferguson beinahe immer Mit-Favorit in der Königsklasse, verpasste ManUnited viermal die Teilnahme an der Champions League. Der Sieg im FA Cup 2016, im League Cup 2017 oder der Europa League 2017 blieben ob der enormen Erwartungshaltung nur Achtungserfolge. 

Manchester United investiert irre Summen

Die Gründe für den Wandel sind vielfältig: Angetrieben von finanzstarken Investoren haben Klubs wie Manchester City und FC Chelsea den Red Devils auf nationaler Ebene den Rang abgelaufen, unter Jürgen Klopp ist der FC Liverpool zudem zum Platzhirsch der Premier League aufgestiegen. Das Old Trafford ist zudem längst nicht mehr der verlockendste Anlaufpunkt für die begehrtesten Stars der Szene.

Dass man seit 2013 dennoch die irre Summe von 1,2 Milliarden Euro in neues Spielermaterial investierte (nur ManCity, der FC Barcelona und der FC Chelsea gaben noch mehr aus), verdeutlicht die enorme Sehnsucht nach den alten Erfolgen und erhöht den Druck auf die Verantwortlichen.

Umstände, an denen aktuell auch der jüngste Ferguson-Erbe zu scheitern droht. Nachdem David Moyes, van Gaal und Mourinho den alten Glanz nicht wirklich zurück bringen konnten, darf sich seit Dezember 2018 Ole Gunnar Solskjaer am "Theatre of Dreams" abarbeiten. Wirklich fest im Sattel sitzt der Norweger allerdings längst nicht mehr. Dass sich United an den letzten beiden Spieltagen der vergangenen Saison noch auf Rang drei verbesserte und damit in die Champions League einzog, rettete den ehemaligen Finaltorschützen beim Champions-League-Sieg 1999 zwar noch den Job. Keine vier Monate später hängt dieser aber nur noch am seidenen Faden.

Defensive "Horror-Show" verschärft die Krise

In der Liga zieren nach sechs Spielen gerade mal sieben Pünktchen das Konto des Klubs. Pleiten wie das 1:6 bei Tottenham Hotspur oder das 1:3 im Old Trafford gegen Crystal Palace glichen dabei einem fußballerischen Offenbarungseid des auf dem Papier so hochbegabten Teams. Dafür, dass sich auf der Trainerbank in Kürze allerdings ein neues Gesicht die Ehre geben könnte, hat am Mittwochabend wohl der amtierende türkische Meister Istanbul Basaksehir gesorgt.

Beim auf europäischer Ebene recht unerfahrenen Underdog kassierte ManUnited eine 1:2-Niederlage. Vor allem für die Art und Weise setzte es anschließend Spott und Häme. Der einstige United-Leitwolf Scholes sprach gegenüber "BT Sports" von einer "Horror-Show" der Defensive, nannte die Leistung "peinlich" und verglich das Team mit einer "U10-Mannschaft".

Ex-Abwehrboss Ferdinand wetterte im selben Rahmen: "Wo ist die Organisation in diesem Team? So etwas siehst du nicht einmal auf den Hackney Marshes".

 

Was war geschehen? Bei einem Eckball nach 13 Minuten rückte United kollektiv weit in die gegnerische Hälfte auf und ließ Basaksehir-Stürmer Demba Ba dabei mutterseelenallein vor der Mittellinie lauern. Dann kam, was kommen musste: United führt den Eckstoß kurz aus, vertändelt das Leder beim Versuch einer halbherzigen Hereingabe an Edin Visca, der den Ball kurzerhand in den Lauf von Ba schickt. Mit gut 15 Metern Vorsprung macht sich der Ex-Bundesliga-Angreifer auf die Reise und vollendet eiskalt. Dass keiner der hochbezahlten United-Stars den groben Stellungsfehler bemerkte, sorgt für Fassungslosigkeit.

"Bitte sagt mir, dass jemand in der Kabine durchgedreht ist, die Spieler aufgerüttelt hat und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen hat. [...] Es ist einfach lächerlich. Ernsthaft, was ist da passiert?", wütete Ferdinand.

Solskjaer selbst bezeichnete die Abwehrleistung nach der Partie als "unverzeihlich" und gestand ein: "Wir haben unseren Job nicht erledigt und das liegt in meiner Verantwortung." Die letzten Ergebnisse seien "natürlich ein Schlag in die Magengrube".

Ist Manchester United gedanklich schon in der Europa League?

Nachfragen, ob er nun um seinen Job zittere, wollte Solskjaer zwar nicht kommentieren, dass seine Chancen schwinden, dürfte dem 47-Jährigen aber klar sein. "Es ist natürlich nicht leicht, jetzt etwas Positives zu sehen, wenn du auf diese Weise verloren hast, aber diese Spieler sind gute Spieler und wir haben die Chance, am Samstag wieder in die Spur zu finden." Dann reist man übrigens zum FC Everton, der 2020/21 noch kein Heimspiel verlor und zuletzt dem FC Liverpool vor eigener Kulisse ein 2:2 abrang. 

Blamiert hat sich am Mittwochabend übrigens nicht nur die Defensivabteilung von Manchester United, auch die Social-Media-Abteilung des Klubs erntete für einen Fehltritt Gelächter. Einen Tweet zur Partie versahen die Red Devils mit dem Hashtag #UEL, dem offiziellen Kürzel der Europa League. Für viele Fans ein Fehler, der sehr tief blicken lässt.

Marc Affeldt