23.11.2020 19:28 Uhr

Weigl bei Benfica: Ein Albtraum im Urlaubsparadies

Julian Weigl wechselte vor knapp einem Jahr vom BVB zu Benfica
Julian Weigl wechselte vor knapp einem Jahr vom BVB zu Benfica

Vor elf Monaten verließ Julian Weigl den BVB nach zweieinhalb Jahren und wechselte zu Benfica. Nach einem vielversprechenden ersten Halbjahr in Lissabon läuft es für den Mittelfeldspieler mittlerweile auf (fast) allen Ebenen schlecht. Weigls Traum vom Ausland hat sich in einen Albtraum verwandelt.

Wer wissen will, wie gut es Julian Weigl in Lissabon vorgeblich geht, muss nur einen kurzen Blick auf den offiziellen Instagram-Kanal des ehemaligen BVB-Profis werfen.

Dort präsentiert sich der 25-Jährige wie so viele seiner Berufskollegen: als Sonnyboy im Urlaub, als glücklicher und liebender Ehemann und als Botschafter einer aufstrebenden, feschen Mode-Marke. Und natürlich darf auch das Hochglanzfoto nicht fehlen, auf dem er und seine Frau Sarah Richmond medienwirksam Nachwuchs ankündigen.

"Manchmal fühlt es sich wie Urlaub an", bestätigte Weigl im "Sport Bild"-Interview jüngst den Eindruck, der beim Blick auf die Social-Media-Plattform entsteht. Und überhaupt: In der "traumhaften Stadt" Lissabon genieße er eine ganz "neue Lebensqualität". Das "Abenteuer Ausland", so versicherte der Ex-Dortmunder, war die weite Reise in die portugiesische Hauptstadt wert.

Doch wie so oft zeichnet auch das Instagram-Bild, das Weigl seinen 627.000 Followern präsentiert, wenn überhaupt nur die halbe Wahrheit. Denn so gut es für ihn und seine Familie im Privatleben läuft, so sehr ist die sportliche Karriere des Mittelfeldspielers in den letzten Monaten ins Stocken geraten.

Julian Weigl und der fehlende Kredit

Nach einem vielversprechenden ersten Halbjahr ist der ehemalige Nationalspieler bei Benfica längst verzichtbar und nicht mehr als ein Edel-Reservist. Zwar stand Weigl in zehn von zwölf Pflichtspielen der laufenden Saison auf dem Platz, allerdings wurde er in sieben Partien lediglich eingewechselt. Seinen Stammplatz aus der Vorsaison hat er verloren. Seine Kritiker waren in den vergangenen Wochen deutlich lauter als seine Befürworter.

"Ich weiß, dass ich einen Rucksack trage", sagt Weigl mit Blick auf die hohen Erwartungen, die nach seinem 20-Millionen-Wechsel aus Dortmund auf ihm lasten. "Ich bin kein Spieler, der viele Tricks macht und das Stadion dann aufschreit", weiß der 25-Jährige, dass sein Spiel nicht das verkörpert, was die meisten Fans des portugiesischen Rekordmeisters sehen wollen. Eine ziemlich treffende Einschätzung.

Die Anhänger des 37-fachen Titelträgers fordern von "ihren" Spielern spektakuläre Tore, technisch anspruchsvolle Dribblings und Traumpässe. Handwerklich solide Fußballkunst, wie sie ein Spieler wie Weigl bietet, wird nur dann bejubelt, wenn sie von den zahlreichen Eigengewächsen kommt, die bei Benfica ausgebildet und später für viele Millionen Euro weiterverkauft werden.

Bei Weigl ist der Maßstab ein anderer. Der Deutsche ist der drittteuerste Neuzugang der Vereinsgeschichte. Kredit, den er hätte verbrauchen können, hatte der 25-Jährige nie.

Denkt Benfica über einen Verkauf nach?

Schon in der letzten Saison tat sich Benfica mit Weigl schwerer, als es der Blick auf seine Einsatzzeiten vermuten lässt. Von den 18 Ligaspielen, in denen der Deutsche auflief, gewann das Team nur neun.

Die Fans gingen zwischenzeitlich sogar auf die Barrikaden und attackierten den Mannschaftsbus. Weigl wurde bei dem Angriff leicht verletzt und musste ins Krankenhaus. Er selbst steckte den Vorfall gut weg. "Ehrlich gesagt hätte ich gedacht, dass mich das noch mehr beschäftigt", sagte der gebürtige Bayer, der im Frühjahr 2017 auch in die Attacke auf den Mannschaftbus des BVB verwickelt war.

An Benficas Mannschaft ging die hinterhältige Übergriff nicht spurlos vorbei. In den Wochen nach dem Angriff verspielte das Team den im Winter noch sicher geglaubten Titel. 20-Millionen-Mann Weigl wurde als einer der Verantwortlichen für die Misere ausgemacht. 

Mittlerweile wird sogar schon über einen Abschied des Mittelfeldspielers aus Lissabon spekuliert. Erste Schritte wurden von den Benfica-Bossen angeblich schon eingeleitet.

So berichtet die Sportzeitung "Record", dass sich intern eine Ablösesumme in Höhe von 25 Millionen Euro für Weigl festgelegt worden sei. Interessenten soll es in der italienischen Serie A geben. Juventus Turin und die beiden Mailänder Klubs AC und Inter werden als Abnehmer gehandelt.

Aufgeben will Weigl allerdings noch nicht. Es sieht in Lissabon die "besten Voraussetzung", um sich weiterzuentwickeln. Eine Chance dazu hat er schon seit Wochen nicht bekommen. Auch die Perspektive ist alles andere als vielversprechend.

Eine Corona-Infektion setzt den Deutschen aktuell außer Gefecht. Nach seiner Genesung geht der mühsame und im schlimmsten Fall gar aussichtslose Kampf um den Platz in der Mannschaft von vorne los.

Christian Schenzel