18.01.2021 16:29 Uhr

Mesut Özil und das Hoffen auf den Neuanfang

Özil setzt seine Karriere in der Türkei fort
Özil setzt seine Karriere in der Türkei fort

Nach seiner Flucht zu Fenerbahce Istanbul will sich der so polarisierende Mesut Özil im Land von Recep Tayyip Erdogan aus seiner Karrieresackgasse befreien.

Der einst begnadete ehemalige deutsche Fußball-Nationalspieler hofft zweieinhalb Jahre nach der Affäre um Fotos mit dem türkischen Präsidenten im Vorfeld des WM-Desasters auf einen Neuanfang am Bosporus. Fenerbahce könnte für den mittlerweile 32-Jährigen aus dem Ruhrpott mit türkischen Wurzeln nicht nur eine sportliche Aussöhnung bedeuten.

Die sensible Fußball-Künstlerseele Özil wurde am Sonntagabend auf dem dem Atatürk-Flughafen begeistert empfangen. Mit einem Schal seines neuen Klubs Fenerbahce ließ sich der mit Frau Amine und Töchterchen Eda im Privatflugzeug von Vereinspräsident Ali Koc angereiste Mittelfeldspieler fotografieren, so berichtete es der türkische Sender "NTV".

Liebesbeziehung mit Arsenal in Trümmern

Nach siebeneinhalb Jahren mit glorreichen Aufs und schmerzhaften Abs beim FC Arsenal beginnt für Özil vielleicht sein letztes Kapitel als Profi. Er sei aufgeregt und "sehr glücklich", sagte er nach seiner Ankunft in Istanbul und begab sich dem TV-Sender "CNN Türk" zufolge in Corona-Zeiten zunächst in Quarantäne.

Die einstige Liebesbeziehung zwischen dem 92-maligen Nationalspieler und dem FC Arsenal lag schon lange in Trümmern. Polemisch rechnete die "Times" mit dem im Sommer 2013 für rund 50 Millionen Euro geholten früheren Schalker ab. "Er hat in den letzten Jahren nur dann Energie gezeigt, wenn es darum ging, seinen Kumpel Recep Tayyip Erdogan zu unterstützen", ätzte die Zeitung und sprach damit einen wunden Punkt in der Beziehung zwischen Sport und Politik an.

Erdogans Lieblingsklub ist Basaksehir Istanbul, Fan ist er jedoch auch von Fenerbahce. Und der von Kritikern als Despot bezeichnete Präsident der Türkei spielt in der Vita Özils eine nicht unerhebliche Rolle. Der umstrittene Erdogan war der staatlichen Nachrichtenagentur "Anadolu" zufolge im Sommer 2019 Trauzeuge bei dessen Hochzeit.

DFB-Rücktritt wird zum Politikum

Ein echtes Politikum waren indes Aufnahmen mit dem Politiker zwei Monate vor der WM 2018. Im Rahmen eines Charity-Dinners ließen sich Özil und sein damaliger Nationalmannschaftskollege Ilkay Gündogan mit Erdogan ablichten. Erdogans Partei verbreitete mitten im türkischen Wahlkampf diese Bilder werbewirksam.

Noch während des schwelenden Skandals um Eitelkeiten, Missverständnisse und Rassismusvorwürfe verkündete Özil eine Woche nach dem WM-Finale seinen Rücktritt. Mittlerweile haben sich der Weltmeister von 2014 und der DFB wieder etwas angenähert. Verbandsboss Fritz Keller hat sich vor Kurzem in einem persönlichen Brief an ihn gewendet.

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, selbst ein großer Fenerbahce-Fan, sagte am Montag in Ankara bei einem Treffen mit seinem Amtskollegen Heiko Maas an den Deutschen gerichtet: "Ich hoffe, dass ihr nicht wieder etwas dagegen habt, wenn sich Mesut mit unserem Präsidenten trifft, Heiko."

Maas wünschte Özil "sportlich alles Gute, aber ich wünsche natürlich auch, dass er sich in Istanbul wohl fühlt", sagte der deutsche Außenminister und ergänzte später: "Für seinen sportlichen Erfolg ist vor allen Dingen wichtig, dass er viel mit seinem Trainer spricht." Sein türkischer Amtskollege befand, der Wechsel des "Weltstars" habe "alle in Aufregung versetzt".

"Widersprüchliches und komplexes Erbe"

Eine verbandspolitische Aussöhnung ist also greifbar. Ob es auch zu einer sportlichen kommt? "Özils kreativer Geist stand nie in Frage, aber seit Jahren steht er wegen seiner (mangelnden) Bereitschaft, auch ohne den Ball seinen Job zu machen, in der Kritik", urteilte der "Daily Mirror".

Unter Fenerbahce-Fans löste der Wechsel des teuren Kickers, der aber für seinen Umzug auf Geld verzichten soll, erst einmal Euphorie aus. Die Zeitung "Milliyet" schrieb, eine "Fußball-Marke" komme nach Istanbul. Özil ist jedoch ein zwiespältiges Label. Er hinterlasse in London ein "widersprüchliches und komplexes Erbe", schrieb "Sky Sports". Für mehr Eindeutigkeit kann Özil nun in Istanbul sorgen.