20.02.2021 15:24 Uhr

"Beide Klubs mit dem Rücken zur Wand"

Olaf Thon spricht über das Revierderby zwischen dem FC Schalke 04 und dem BVB
Olaf Thon spricht über das Revierderby zwischen dem FC Schalke 04 und dem BVB

Olaf Thon ist eine lebende Legende beim FC Schalke 04. Der Weltmeister von 1990 bestritt in seiner Karriere fast 400 Pflichtspiele für die Königsblauen, ist Abteilungsleiter der S04-Traditionself und Repräsentant des Revierklubs.

Im exklusiven sport.de-Interview spricht Thon über die Krise und die Personalentscheidungen der letzten Zeit auf Schalke sowie seine eigene Ambitionen auf einen Posten als Nachfolger von Sportvorstand Jochen Schneider. Außerdem erklärt der 54-Jährige, warum das anstehende Duell mit dem BVB kein richtiges Derby ist.

Herr Thon, das Revierderby zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund (Samstag, 18:30 Uhr) könnte das vorerst letzte in der Bundesliga sein. Was lässt Sie daran glauben, dass Schalke den Abstieg doch noch verhindern kann?

Olaf Thon: Realistisch betrachtet sprechen die gegenwärtigen Zahlen natürlich gegen Schalke. Mit neun Punkten aus 21 Spielen ist die Hoffnung nicht allzu groß. Hinzu kommt, dass der BVB in der Champions League unter der Woche gegen Sevilla (3:2) eine großartige Leistung gezeigt hat. Schalke ist krasser Außenseiter. Dass man vermeintlich ausgeruhter ins Spiel geht, kann ein kleiner Vorteil sein, muss es aber nicht. Zudem ist es kein richtiges Derby.

Wegen der fehlenden Fans auf den Rängen?

Ganz genau. Für mich ist es nur ein richtiges Derby, wenn beide Fangruppen im Stadion für die entsprechende Atmosphäre sorgen können. In der Corona-Phase ist dem nicht so. Insbesondere den Schalkern hätte die Extra-Motivation von den Rängen aus geholfen.

Wie werden Sie das Spiel verfolgen?

Ich werde nicht im Stadion sitzen, sondern das Spiel vor dem Fernseher verfolgen – und natürlich hoffen, dass Schalke ein kleines Wunder schafft. Denn das wäre ein optimaler Start in die letzten zwölf Partien, darunter ein sogenanntes "Sechs-Punkte-Spiel" Anfang März gegen Mainz 05. 

Die vergangenen beiden Spiele gegen Dortmund wurden klar verloren (0:3, 0:4), einmal mit und einmal ohne Fans im Stadion. Sind die ernüchternden Derby-Ergebnisse mit einem Mentalitätsproblem zu erklären oder ist der BVB qualitativ für Schalke einfach zu stark?

Das waren die Dortmunder in den beiden angesprochenen Partien, ja. Aber noch einmal: Am Samstag erwartet uns kein richtiges Derby, sondern eher ein normales Bundesligaspiel – unter der Berücksichtigung natürlich, dass beide Klubs mit dem Rücken zur Wand stehen. Für den BVB geht es darum, Anschluss an die Champions-League-Plätze zu finden und Schalke muss sich im Abstiegskampf erwehren. Das gibt dem Duell einen gewissen Charakter. Und ich glaube, dass Schalke besser gerüstet ist als in den vorherigen Aufeinandertreffen mit dem BVB.

Würde ein Sieg im Revierderby – ob mit oder ohne Zuschauer – mehr Kräfte freisetzen als der zwischenzeitlich klare 4:0-Sieg gegen Hoffenheim Anfang Januar?

Ja, ein solcher Sieg sollte einen Schub geben. Allerdings hatte ich schon erwartet, dass nach dem 4:0-Sieg gegen Hoffenheim eine Reaktion erfolgen würde. Dazu kam es jedoch nicht. Dennoch muss man in dieser schwierigen Situation versuchen, sich an jedem Strohhalm, der sich bietet, hochzuziehen. Und das macht Schalke aktuell. Dafür spricht für mich auch die Begnadigung von Nabil Bentaleb.

Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Auch ich hatte zunächst Bauchschmerzen, kann den Trainer aber verstehen. Es ist die richtige Entscheidung, wie man bereits beim 0:0 gegen Union Berlin gesehen hat. Er hat ordentlich gespielt, mehr war aber nicht drin, weil er zuvor monatelang nicht mit der Mannschaft trainiert hatte.

Bei Bentaleb gab es also ein Zurück, bei Vedad Ibisevic war das zuletzt anders.Der scheidende Sportvorstand Jochen Schneider hat die Suspendierung des Stürmers, dessen Vertrag Ende Dezember aufgelöst worden war, inzwischen als Fehler bezeichnet. Kommt diese Einsicht zu spät?​

Wer viel macht, macht natürlich auch Fehler. Von Ibisevic hatte man sich versprochen, dass er auch den jungen Spielern helfen könnte. Es kam allerdings so rüber, dass er mehr an sich als an Schalke dachte. Ähnlich bewerte ich den Huntelaar-Transfer, der sicherlich gut gemeint war. Doch mit 37 Jahren ist ein Fußballer nun einmal verletzungsanfälliger. Es war ein Versuch, der nach hinten losgegangen ist und in dieser Situation, in der sich S04 momentan befindet, natürlich bitter aufstößt. Letztendlich bin ich jedoch der Ansicht: Nur wer etwas wagt, kann auch gewinnen.

Es wurde nicht nur Huntelaar zurückgeholt, sondern auch Sead Kolasinac. Ist das nicht etwas viel "Prinzip Hoffnung" auf einmal?

Das mag so wirken, doch meiner Meinung nach hat man mit Sead Kolasinac, Shkodran Mustafi und William drei erfahrene Spieler hinzugeholt, die sich gut einbringen. So etwas braucht allerdings Zeit. Von daher: Wenn jetzt Saisonstart wäre, hätte ich gesagt, dass da etwas zusammenwachsen könnte.

FC Schalke 04: Christian Gross für Olaf Thon "der richtige Mann"

Diese Zeit hat Schalke mit Blick auf die Tabelle definitiv nicht mehr. Wie viel Zeit hat Christian Gross noch als Trainer der Königsblauen?

Das hängt natürlich mit dem weiteren Saisonverlauf ab. Positiv finde ich, dass er ein klares Ziel hat – auch in Hinblick darauf, die Neuzugänge möglichst sinnvoll ins Mannschaftsgefüge einzubauen. Gross versucht, aus dem Personal das Beste herauszuholen, ist sich aber auch nicht zu schade dafür, jungen Spielern eine Chance zu geben, etwa im Abwehrverbund oder Matthew Hoppe im Sturm. Mit seiner Erfahrung ist Gross für diese Situation der richtige Mann.

Wer könnte in die Fußstapfen von Schneider treten, der sein Amt nach der Saison niederlegen wird? Unter anderem werden Rouven Schröder und Markus Krösche mit Schalke in Verbindung gebracht ...

Das sind Spekulationen. Aktuell hat man mit Mike Büskens, Peter Knäbel und Norbert Elgert drei Personen, die den Wechsel auf dieser Position entsprechend vorbereiten sollen. Ich bin froh, dass für diesen Übergang eine interne Lösung gefunden wurde. Oft ist man überrascht, wie gut es läuft, wenn interne Kräfte eingebunden werden – auch langfristig gesehen. 

Ich werfe noch einen Namen ins Spiel, der diese Schalke-Nähe mitbringt: Olaf Thon.

(lacht) Ich habe immer wieder meine Hilfe angeboten und werde das auch weiterhin tun. In den vergangenen Monaten ist allerdings keiner mit einer Frage an mich herangetreten. Von daher können wir dieses Gedankenspiel zunächst vernachlässigen.

Lassen Sie uns abschließend in Erinnerungen schwelgen. An welches Ihrer Revierderbys denken Sie gerne zurück?

Das waren so einige. Ich habe mich immer gefreut, auch in Dortmund zu spielen, denn die hatten einen weißen Derby-Ball, der ein bisschen leichter flog als die anderen Bälle. Zudem erinnere ich mich gerne an den 4:0-Sieg im Jahr 2000. Es war schon kurios, dass Andreas Möller an meiner Seite im Mittelfeld gespielt hat und Jens Lehmann im Tor der Schwarz-Gelben stand.

Das Interview führte Dennis Ebbecke