23.03.2021 17:04 Uhr

Lewis Holtby und das Ende der schlechten Entscheidungen

Einst beim FC Schalke, nun in Blackburn: Lewis Holtby
Einst beim FC Schalke, nun in Blackburn: Lewis Holtby

Als Teil der legendären "Bruchweg Boys" verzauberte Lewis Holtby vor zehn Jahren die Bundesliga. Doch weder in Mainz, noch beim FC Schalke, dem HSV oder in Tottenham wurde der kreative Mittelfeldspieler dauerhaft glücklich. Mittlerweile verdient der ehemalige deutsche Nationalspieler seine Brötchen in der zweiten englischen Liga. Mit sich und seiner Vergangenheit ist er im Reinen.

Lewis Holtby hat sich rar gemacht. Früher alles andere als kamerascheu, tritt der Profi der Blackburn Rovers heute kaum noch öffentlich in Erscheinung. Der 30-Jährige will auf den stoppeligen Rasenflächen der Championship Taten sprechen lassen.

In seinem zweiten Jahr beim nordenglischen Traditionsklub ist Holtbys sportlicher Wert noch einmal gestiegen. Obwohl er 2020/2021 noch auf seine erste Torbeteiligung wartet - in der Vorsaison waren es immerhin sieben - ist der Linksfuß zufriedener denn je. Schließlich darf er endlich auf seiner Lieblingsposition ran.

"Ich habe immer gesagt, dass ich ein zentraler Mittelfeldspieler bin - und keine falsche Neun, kein Flügelspieler und auch kein Zehner", stellte Holtby im Gespräch mit dem "BBC Radio" klar und ergänzte: "Ich kann Aktionen kreieren und verstecke mich nicht vor dem Ball."

Wie wichtig der laufstarke Antreiber für die Rovers geworden ist, zeigte sich in seiner knapp sechswöchigen Abwesenheit zwischen Anfang Februar und Mitte März infolge eines Bänderanrisses im Knie. Sechs von neun Begegnungen verlor Blackburn, holte nur fünf von 27 möglichen Punkten und sackte in der Tabelle deutlich ab.

Holtby 2012 auf dem absoluten Höhepunkt

Doch wie kommt es überhaupt, dass Holtby, 2009 mit der Fritz-Walter-Medaille für den besten U19-Spieler ausgezeichnet und anschließend in Windeseile zur Nationalmannschafts-Hoffnung aufgestiegen, mittlerweile gegen Luton Town, Preston North End und Rotherham United spielt, statt im Europacup aufzutrumpfen?

Die ebenso simple wie schmerzhafte Antwort: durch schlechte Karriereentscheidungen. Dabei lief zunächst noch alles wie am Schnürchen. Seinem Durchbruch bei Alemannia Aachen folgte der Wechsel zum FC Schalke, dessen damaliger Trainer Felix Magath allerdings noch keinen Platz für den Youngster hatte und ihn erst nach Bochum, dann nach Mainz verlieh.

Bei den Rheinhessen spielte sich der Edeltechniker neben André Schürrle und Ádám Szalai derart in den Vordergrund, dass auch bei S04 bald kein Weg mehr an ihm vorbeiführte. Bundestrainer Joachim Löw honorierte die Entwicklung und gewährte Holtby im November 2012 seinen zweiten Startelf-Einsatz in der Nationalmannschaft. Es sollte sein letzter bleiben.

Schwierige Jahre in London und Hamburg

Als Tottenham im Frühjahr 2013 beim Halb-Engländer anklopfte, musste er nicht lange überlegen. Sein Traum sei es stets gewesen, auf der Insel zu spielen, schwärmte Holtby nach seiner Ankunft in London.

Bei den Spurs fand der Mittelfeldmann seinen Platz jedoch nie. Mit der Rolle des Spielmachers war Holtby in der extrem physischen Premier League schlichtweg überfordert. Auch ein innerstädtisches Leih-Gastspiel beim FC Fulham brachte keine Besserung.

Um seiner ins Stocken geratenen Karriere neuen Schwung zu verleihen, kehrte Holtby nach Deutschland zurück und unterschrieb beim Hamburger SV. Dort durfte er wieder regelmäßig spielen, konnte den erstmaligen Absturz des einstigen Bundesliga-Dinos in die Zweitklassigkeit aber auch nicht verhindern. Hinzu kamen Querelen abseits des Rasens.

Lewis Holtby nach dem Relegationsspiel 2015 in Karlsruhe
Lewis Holtby nach dem Relegationsspiel 2015 in Karlsruhe

Entsprechend zerknirscht blickt Holtby auf seine Zeit an der Elbe zurück. "Das ging mir alles sehr nah. In den fünf Jahren beim HSV steckte mein gesamtes Herzblut in dem Verein. Sowohl körperlich als auch seelisch hat mich das viel Kraft gekostet", gestand er im Gespräch mit der "Sport Bild".

Traum vom Aufstieg in die Premier League

2019 stand der einst gefeierte Kreativkopf plötzlich ohne Vertrag da - und am Scheideweg. "Nach den fünf Jahren beim HSV musste ich erst einmal durchpusten. Das war eine harte Phase, in der es mir nicht besonders gut ging. Ich brauchte erst mal Zeit und wollte mir in Ruhe Gedanken machen, bevor ich eine Entscheidung treffe und mich in das nächste Abenteuer stürze", erläuterte Holtby, warum er erst nach Ende der Transferfrist nach Blackburn gewechselt war.

Bei den Rovers habe er "am Ende das beste Gefühl" gehabt und sich "bewusst für diesen Schritt entschieden", betonte Holtby. In der Grafschaft Lancashire scheint er sein Glück für den Moment gefunden zu haben, auch wenn der Familienmensch nach seinem Karriereende mit Frau Aylin und Tochter Hailey wieder nach Hamburg ziehen will.

Ob es zuvor noch mit seinem großen Traum - dem Premier-League-Aufstieg mit Blackburn - etwas wird, ist offen. In der laufenden Saison ist der Zug abgefahren, die Rovers sind nach gelungenem Start auf Rang 15 durchgereicht worden. Doch die Sehnsucht nach der Rückkehr ins Oberhaus ist in der gesamten Stadt spürbar, zu präsent sind die Erinnerungen an die glorreichen 90er Jahre, als der Verein zur Crème de la Crème Englands zählte und 1995 gar Meister wurde.

Das weiß auch Holtby, der einmal sagte, "nicht zu dem Klub gekommen" zu sein, "um im Mittelfeld der Tabelle zu spielen". Um demnächst einen weiteren Anlauf nehmen zu können, muss der Routinier allerdings erst mit der Führungsetage sprechen: Sein Vertrag in Blackburn läuft am 30. Juni aus.

Heiko Lütkehus