23.03.2021 18:29 Uhr

Michael Zorcs durchwachsene Transfer-Bilanz beim BVB

Michael Zorc bleibt bis 2022 als Sportdirektor beim BVB
Michael Zorc bleibt bis 2022 als Sportdirektor beim BVB

Michael Zorc ist einer der Architekten des Aufschwungs bei Borussia Dortmund nach der Fast-Pleite 2005. Die Transfer-Bilanz des BVB-Sportdirektors in den letzten Jahren lässt allerdings zu wünschen übrig. Macht der einst "Unfehlbare" inzwischen zu viele Fehler?

Im Sommer 2022 endet eine Ära beim BVB, aus Dortmunder Sicht sogar so etwas wie die Mutter aller Ären. Dann wird Michael Zorc seinen Hut nehmen - nach insgesamt 44 Jahren ununterbrochener Zugehörigkeit zum Verein, erst als Spieler, ab 1998 im Management, seit 2005 als Sportdirektor mit weitreichenden Kompetenzen.

"Wie kein anderer" stehe Zorc für den BVB, sagte einmal Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, mit seinen 16 Jahren an der Spitze des Klubs im Vergleich zu Zorc fast ein schwarz-gelber Neueinsteiger.

In Zorcs Amtszeit in der Dortmunder Führungsetage fallen drei deutsche Meisterschaften, zwei Erfolge im DFB-Pokal, der Einzug ins UEFA-Pokal-Finale 2002 und ins Champions-League-Endspiel 2013.

Verantwortlich zeichnete Zorc zudem für eine Vielzahl überragender Spieler-Verpflichtungen. Auch die Einstellung von Jürgen Klopp 2008, ebenfalls ein Meilenstein der Vereinsgeschichte, gelang unter seiner Ägide.

Michael Zorc ist beim BVB unantastbar, aber ...

Eigentlich ist es also kein Wunder, dass Zorc jetzt, knapp eineinhalb Jahre vor seinem Abschied, beim BVB so unantastbar ist wie eh und je. Dass sein berühmtes Näschen das Urgestein in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger im Stich lässt, ist kaum ein Thema rund um die Borussia.

Dabei liegen die Fakten auf der Hand: Mit Marco Rose übernimmt ab der kommenden Saison bereits der sechste Trainer seit Klopps Abgang 2015 den Job an der Dortmunder Seitenlinie.

Die Fehleinschätzungen der Bosse bei Thomas Tuchel, Peter Bosz oder zuletzt Lucien Favre, die alle aus verschiedenen Gründen nicht zum BVB passten, gehen (auch) auf Zorcs Kappe. In die Entscheidung war er neben Watzke und zuletzt auch Lizenzspielerleiter Sebastian Kehl maßgeblich eingebunden.

BVB: 80 Millionen Euro für Schürrle, Götze und Schulz

Auch eine inzwischen recht lange Liste von Fehlschlägen in seinem Kerngeschäft, der Verpflichtung von neuen Spielern, muss sich Zorc ankreiden lassen. Das traurige Muster: Ist der Neuzugang teuer und noch dazu deutsch, ist die Flop-Gefahr beim BVB hoch.

Rund 80 Millionen Euro gab Zorc allein für die Transfers von André Schürrle, Mario Götze und Nico Schulz aus, die exorbitanten Gehälter der drei (Ex-)Nationalspieler nicht mit eingerechnet - verbranntes Geld, so muss man heute konstatieren. Und auch Julian Brandt konnte bisher nur in Ansätzen rechtfertigen, warum der BVB vor der vergangenen Saison 25 Millionen Euro für ihn an Bayer Leverkusen überwies.

Die seit Jahren anhaltende Mentälitätsdebatte sowie die Zweifel an der qualitativen Breite im Kader sind zumindest indirekte Folgen von Zorcs nicht immer glücklicher Einkaufspolitik.

Ausbaden muss das in erster Linie der Sportdirektor selbst. Ständige Rückschläge wie zuletzt das enttäuschende 2:2 in Köln, das er im "kicker" als "Rückfall in alte Zeiten" bezeichnete, erklären zu müssen, dürfte Zorc kräftig gegen den Strich gehen.

Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass Zorc weiter regelmäßig echte Transfer-Coups gelingen. Jadon Sanchos Verpflichtung von Manchester City 2017 war ein Geniestreich, genauso wie die von Erling Haaland, den im Januar 2020 halb Fußball-Europa jagte. Auch der erst 17-jährige Jude Bellingham, den Zorc im letzten Sommer den englischen Top-Klubs unter der Nase wegschnappte und aus Birmingham nach Dortmund lotste, wird sich wohl in diese Phalanx einreihen - und dem BVB erst mit guten sportlichen Leistungen und später einer saftigen Millionen-Ablöse weiterhelfen.

BVB: Schwieriges Erbe für Sebastian Kehl

Seinem designierten Nachfolger Kehl übergibt Zorc angesichts dieser Bilanz ein gleich doppelt schwieriges Erbe.

Einerseits sind die Fußstapfen des gebürtigen Dortmunders immer noch groß, wegen seines Legenden-Status im Verein und seiner guten Vernetzung insbesondere auf dem internationalen Talente-Markt. Andererseits könnte der BVB in dieser Saison trotz des mit großem Abstand zweitteuersten Kader der Liga die Champions-League-Ränge verpassen - eine echte Hypothek für Kehl.

Zwar könnte der drohende Betriebsunfall in der kommenden Spielzeit noch repariert werden. Im Zusammenspiel mit den extremen finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise wird sich der Spielraum des BVB in vielerlei Hinsicht aber zunächst einschränken.

Fest steht: Im kommenden Sommer muss Zorc noch ein letztes Mal kreativ werden. Damit das letzte Jahr der 44-jährigen Ära des nicht mehr ganz so Unfehlbaren beim BVB in guter Erinnerung bleibt.

Tobias Knoop