05.06.2021 08:38 Uhr

Brisantes Rätsel um Leroy Sané

Leroy Sané vom FC Bayern will in der Nationalmannschaft eine feste Größe werden
Leroy Sané vom FC Bayern will in der Nationalmannschaft eine feste Größe werden

Nach einer guten Saison beim FC Bayern will Leroy Sané mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Europas Thron besteigen und endlich die Schmach der Nicht-Nominierung für die WM 2018 hinter sich lassen. Doch die Hoffnung, dass der 25-Jährige auf dem Weg zum EM-Titel ein entscheidender Faktor werden könnte, haben einen Knacks bekommen. Und das liegt vor allem an Sané selbst, der immer wieder Rätsel aufgibt.

Es läuft dieser Tage lange nicht alles rund für Leroy Sané in der Vorbereitung auf die EURO. Während der Offensivmann zuletzt vor allem damit Schlagzeilen machte, dass er im Testspiel gegen Dänemark nicht energisch genug nachsetzte und dafür von Joshua Kimmich einen Rüffel bekam, ging eine andere Szene aus dem gleichen Spiel beinahe unter, die geradezu symptomatisch für Sanés aktuelle Situation ist:

Gut zehn Minuten nach Wiederanpfiff bietet sich dem DFB-Team die Chance auf das 2:0. Florian Neuhaus, der wenige Minuten zuvor den Führungstreffer erzielt hat, sprintet mit dem Ball am Fuß zentral auf den Sechzehner zu. Links ist Serge Gnabry mitgelaufen, rechts nimmt Leroy Sané am Vorstoß teil und hofft auf einen Pass. Doch Neuhaus legt das Spielgerät nach links auf Gnabry. 

Obwohl der Angriff damit noch lange nicht vorbei ist, stoppt Sané merklich ab und gestikuliert voller Unzufriedenheit darüber, dass nicht er den Ball bekommen hat. Am Ende entscheidet er sich dann aber doch fürs Weiterlaufen und ist danach am langen Pfosten exakt jenen halben Meter zu spät, den es gebraucht hätte, um Gnabrys scharfe Flanke vors Tor im selbigen unterzubringen. Anstatt für die Vorentscheidung zu sorgen und einer der Helden des Spiels zu sein, begibt sich Sané mehr oder minder freiwillig kurz darauf in die Buhmann-Rolle.

Denn nur zwei Minuten später sorgt die bereits erwähnte und deutlich vernehmbare Aufforderung Kimmichs, endlich einmal die Defensivzweikämpfe richtig anzunehmen ("Leroy, geh drauf!") und ein nachfolgender verbaler Schlagabtausch mit dem Bayern-Kollegen dafür, dass sich Sanés Frust in einem unnötigen Foul an Dänemarks Daniel Wass entlädt und mit Gelb geahndet wird. 

Leroy Sané: "Ein Künstler auf Stand-by"

"Uninspiriert" nannte der "kicker" später die Darbietung des offensiven Mittelfeldspielers und bedachte ihn mit der schlechtesten Note aller DFB-Akteure (4,5). Dabei zeigte Sané auch gegen Dänemark in der ein oder anderen Szene, wie gefährlich er für die gegnerischen Abwehrreihen sein kann. 

Hat der 25-Jährige nämlich Lust aufs Spiel, dann ist er kaum zu stoppen. Im Eins gegen Eins auf engstem Raum macht ihm kaum einer etwas vor. "Was er mit dem Ball anstellen kann, ist unfassbar. Er ist ein Geschenk für jede Mannschaft", lobte ihn Robin Gosens. 

Und auch die anderen DFB-Kollegen sehen über so manche Passivität großzügig hinweg, solange Sané genug von seinen genialen Momenten zeigt. Doch zuletzt stimmte das Verhältnis zwischen Genialität und leicht lustlos wirkender Attitüde nicht mehr. Im Trainingslager in Seefeld schlurfte der Individualist zuweilen merkwürdig teilnahmslos über den Platz und wirkte emotionslos. Von "Bild" wurde er gar als "Fremdkörper" bezeichnet. 

Wie oft setzt Löw bei der EM auf Sané?
Wie oft setzt Löw bei der EM auf Sané?

"Er ist teilweise ein Künstler, der das eine oder andere Mal vielleicht ein bisschen auf Stand-by ist", bemerkte Hansi Flick schon vor einiger Zeit.

Und auch Emre Can verwies auf die "ein bisschen andere Körpersprache" Sanés, weshalb man ihm "mal lauter etwas sagen oder Körperkontakt haben" müsse, so der DFB-Kollege. 

In mancherlei Hinsicht erinnert Sané gar ein wenig an Mesut Özil, der von der Öffentlichkeit ebenfalls nicht selten für seine Körpersprache kritisiert wurde, auf der anderen Seite jedoch eine Vielzahl von genialen Moment auf das Feld zauberte. 

Sorg über Sané: "... dann muss man gewisse Dinge in Kauf nehmen"

Doch hat sich Sané seit seiner Nicht-Berücksichtigung für die WM 2018, die nach inoffizieller Lesart wegen mangelnder Einstellung erfolgte, tatsächlich kaum geändert? 

Joachim Löws Assistent Marcus Sorg widerspricht dieser Vermutung energisch. "Er hat eine wahnsinnige Entwicklung hinter sich. Vor allem was seine Seriosität und Einstellung zum Beruf betrifft", erklärte der Co-Trainer bei "Sport 1".

Allerdings ließ auch Sorg durchblicken, dass Sané zumindest mal ein speziellerer Fall ist. "Entscheidend ist, dass nicht alle Spieler gleich sind und man nicht von allen Spielern das Gleiche erwarten kann. Jeder hat sein eigenes Profil, seine eigenen Stärken und Schwächen. [...] Dann muss man das eine oder andere Mal gewisse Dinge in Kauf nehmen", so Sorg weiter.

Für Sané wird es also wichtig sein, dass er noch mehr von den positiven und vor allem genialen Momenten zeigt und an seiner Körpersprache arbeitet, um bei der EM eine tragende Rolle zu spielen. Schließlich sitzen die frisch im DFB-Camp eingetroffenen Kai Havertz und Timo Werner dem Bayern-Star bereits im Nacken. 

"Ich muss nicht immer wieder gegen die Wand laufen, um etwas zu lernen", sagte Sané vor dem Start ins Trainingslager selbstkritisch. Warum Sané genau das gegen Dänemark dann trotzdem tat, bleibt jedoch ein Rätsel, denn "Künstler auf Stand-by" will der 25-Jährige bei seinem zweiten großen Turnier mit dem DFB ganz sicher nicht sein.

Chris Rohdenburg