10.06.2021 17:02 Uhr

Löws letzter Schuss: Noch einmal "högschte Konzentration"

Für Joachim Löw und die Nationalmannschaft wird es bald ernst
Für Joachim Löw und die Nationalmannschaft wird es bald ernst

Beim virtuellen "Rendezvous" mit der Kanzlerin wurde Joachim Löw die Größe seiner letzten Mission noch einmal überdeutlich ins Bewusstsein gerufen. "Das ist eine riesige Wertschätzung", sagte DFB-Direktor Oliver Bierhoff über die Videoschalte mit Angela Merkel vor dem schwerstmöglichen Kracherstart in die EM gegen Weltmeister Frankreich und betonte: "Jedem wird deutlich, dass es eine nationale Angelegenheit und das Ergebnis wichtig für uns alle ist."

Nach eineinhalb freien Tagen zwischen quakenden Fröschen und brütenden Störchen im Kuschelcamp von Herzogenaurach wurde auch dem Letzten klar: Jetzt gilt's!

"Eine deutsche Nationalmannschaft muss immer liefern", sagte Bierhoff vor dem ersten Training mit "voller Kapelle" im Team-Quartier. Die Generation der Spieler, die 2017 den Confed Cup gewann, werde zwar 2022 und 2024 "noch stärker" sein, "aber unser Ziel ist, jetzt schon zu liefern." Jetzt, bei dieser EM.

Sollte es am 11. Juli im Londoner Wembley-Stadion wie zuletzt vor 25 Jahren sogar zum Titel reichen, würde Bierhoff die Rekordprämie von 400.000 Euro pro Spieler "gerne zahlen". Doch der Weg auf Europas Fußball-Thron ist weit und steinig.

Die Franzosen, am Dienstag in München erster deutscher Gegner in der "Todesgruppe" F, seien "favorisiert", meinte Bierhoff und schwärmte regelrecht: "Sie sind gespickt mit Weltstars, die jederzeit Spiele entscheiden können."

Löw warnt Nationalmannschaft vor Frankreich

Löw warnte vor der "variabelsten Mannschaft der Welt", die "kaum auszurechnen" sei. Sein Credo lautet daher: Höchste Konzentration - zu jeder Phase des Spiels. Sonst kann es ganz schnell vorbei sein. Und so ließ der Bundestrainer im "Campo Franconia" nach einigen Freizeitaktivitäten die Sinne schärfen.

Die ebenfalls nötige Lockerheit kam dabei aber nicht zu kurz: Zur ersten Einheit mit seiner kompletten Auswahl um den wieder genesenen Leon Goretzka radelte Löw am Nachmittag mit dem E-Bike - und legte im Adi-Dassler-Stadion sofort selbst Hand an. Er verteilte gelbe Hütchen auf dem Platz, ehe er mit Serge Gnabry und Niklas Süle kickte. Kurz darauf folgte ein scharfer Pfiff und die erste, rund zweiminütige Ansprache von Löw.

Goretzka keine Option für Frankreich-Spiel

Das Motto hatte Bierhof vier Stunden vorher vorgegeben. "Jetzt geht es richtig rund, es ist wichtig, die Anspannung hochzufahren", sagte er: "Das sind ganz besondere Tage vor dem ersten Spiel, man überlegt genau, wo man steht und studiert die letzten Dinge ein." Für Löw standen die defensive Kompaktheit mit seiner Dreierkette sowie Standards erneut ganz oben auf der Tagesordnung.

Personell kann er aus dem Vollen schöpfen, nur Goretzka komme nach seiner Muskelverletzung für Frankreich noch "nicht infrage, das wäre zu knapp", sagte Bierhoff. Weil Löw zudem mit Joshua Kimmich rechts vor der Abwehr plant, sind in der Schaltzentrale im Mittelfeld Toni Kroos und Ilkay Gündogan gesetzt. Bei der Generalprobe gegen Lettland (7:1) klappte ihr Zusammenspiel gut - im November gegen Spanien führte es zu einem historischen Debakel (0:6). Gündogan aber versicherte, er habe sich mit Kroos darüber ausgetauscht, "wie wir die Dinge besser machen können".

DFB setzt auf bunte Zimmer-Zusammensetzung

Das Teamquartier bietet auch für solche Fachgespräche "traumhafte Voraussetzungen", wie Bierhoff noch einmal hervorhob. Die Spieler wurden nach einer bislang "konfliktfreien" Vorbereitung in ihren sieben Dreier- und Vierer-WGs mit jeweils einem erfahrenen "Kapitän" bewusst bunt gemischt. Auf dem "Marktplatz" begegnen sie sich zu Teamsitzungen oder zum Fußballschauen.

"Wir haben sehr viel Natur, sehr viel Ruhe", sagte "Herbergsvater" Bierhoff über die fränkische Kopie des legendären Campo Bahia von 2014 und ergänzte stolz: "Wir haben Voraussetzungen geschaffen, wie es besser nicht geht."

Von der noch eher gedämpften Stimmung im Land bekommen die Nationalspieler aber ebenso wenig mit wie davon, dass sich Herzogenaurach für sie ein bisschen herausgeputzt hat. "Wir sind wegen Corona sehr abgeschirmt und bei einem Turnier sowieso in einem Tunnel", sagte Bierhoff. Dass in einer Apotheke im Ort ein Mannschaftsbild hängt, dürfte er deshalb nicht gesehen haben. Es zeigt die DFB-Auswahl kurz vor dem Triumph - bei der WM 2014.