27.09.2021 07:28 Uhr

Darum war Dahouds Platzverweis in Gladbach folgerichtig

BVB-Star Mo Dahoud (r.) hat den Bogen überspannt
BVB-Star Mo Dahoud (r.) hat den Bogen überspannt

Mahmoud Dahoud vom BVB wird in Mönchengladbach nach einer Respektlosigkeit gegenüber dem Unparteiischen früh des Feldes verwiesen. Das geht manchen zu weit, andere unterstützen den Schiedsrichter. Die Entscheidung zeigt ein Grundsatzproblem auf.

Wenn man sich als Fußball-Schiedsrichter mit Unparteiischen anderer Sportarten unterhält – auch und gerade sehr körperbetonter wie Eishockey oder Rugby –, bekommt man immer wieder eines zu hören: Den Spielern fehlt euch gegenüber der Respekt, sie nehmen sich zu viel heraus, bei uns ist ein solches Verhalten verpönt. Andererseits seid ihr aber auch zu zurückhaltend. 

Solche Vergleiche haben natürlich ihre Grenzen. Unterschiedliche Sportarten sind verschieden etwa in Bezug auf ihre Beliebtheit, ihre gesellschaftlichen Verankerung, ihr Regelwerks oder ihre Geschichte. 

Trotzdem ist es frappierend, wie aggressiv und respektlos gerade im Fußball den Referees oft begegnet wird. Eine Umfrage der Deutschen Welle unter Funktionären verschiedener Sportarten, die vor knapp zwei Jahren veröffentlicht wurde, untermauert diesen Eindruck.

Von Schiedsrichtern, nicht nur denen im Profifußball, wird allgemein erwartet, verbale und nonverbale Proteste bis zu einem gewissen Grad unter Verzicht auf Sanktionen zu moderieren. Als guter Unparteiischer gilt vor allem, wer seine Autorität im Konfliktfall aus seiner Persönlichkeit bezieht und nicht durch Strafen absichern muss. 

Das stimmt einerseits zwar. Andererseits hat es die Spielräume für die Spieler ziemlich groß werden lassen und deren Erwartungshaltung begünstigt, meistens ungestraft davonzukommen, wenn sie eine Entscheidung des Referees mit Worten, Gesten oder ihrem Verhalten ablehnen. 

Einem Referee, der nicht nur verbal, sondern auch mit Karten gegen Unsportlichkeiten vorgeht, wird häufig vorgeworfen, wenig souverän und übertrieben kleinlich zu amtieren.

Aytekin hat die Faxen dicke

Das ist die – beklagenswerte – Normalität im Fußball. Und deshalb gibt es auch oft so ein Theater, wenn mal ein Unparteiischer auf der großen Bühne die Faxen dicke hat vom ständigen Reklamieren, Lamentieren, Gestikulieren und Bedrängtwerden durch die Spieler – und deshalb drastische Maßnahmen ergreift. 

So wie Deniz Aytekin am Samstagabend in der Partie zwischen Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund nach 40 Minuten, als er den schon verwarnten Mahmoud Dahoud mit Gelb-Rot des Feldes verwies. 

Dahoud hatte zunächst Joseph Scally gefoult, es war kein hartes Vergehen, aber ein eindeutiges, unstrittiges. Dennoch winkte der Dortmunder verärgert in Aytekins Richtung ab, als der Pfiff ertönte, statt die korrekte Entscheidung einfach hinzunehmen. 

Es war zwar nur eine kurze und nicht übermäßig ausladende Geste, doch es gab eine Vorgeschichte, auf die Aytekin im Interview des Senders "Sky" hinwies. "Wir hatten da erst die Szene wenige Minuten vorher: Guerreiro, der abwinkt und dem ich unmissverständlich erkläre, dass ich dieses Verhalten auf dem Platz einfach nicht möchte", sagte er. 

Den Einwand, dass in dieser Situation ein Mitspieler und nicht Dahoud selbst gestikuliert habe, ließ der Unparteiische nicht gelten: "Ein bestimmtes Verhalten auf dem Platz muss ja unterbunden werden. Es hat ja nicht jeder ein Freilos und kann machen, was er will. In der Summe war mir dieses respektlose Abwinken zu viel." Aytekin fehlte "der Respekt im Paket", und deshalb habe er "dieses Zeichen gesetzt".

"Er hat es nicht nötig, da abzuwinken"

Dass Schiedsrichter bei für das Spiel oder ihre Autorität womöglich schädlichen Spiel- oder Verhaltensweisen der Akteure in der Mannschaftssportart Fußball ihre Ermahnungen einzelner Spieler als Ansage an das gesamte Team verstanden wissen wollen, ist üblich und auch sinnvoll. 

Es ist logisch, dass ein Referee nicht jedem Spieler ein respektloses Abwinken zugesteht, bevor er zum ersten Mal die Gelbe Karte zeigt. Und dass ein Spieler wie Dahoud, der schon verwarnt ist, sich ganz besonders zurückhalten sollte, liegt auf der Hand. 

Aytekin hat Recht, wenn er sagt: "Er hat es ja gar nicht nötig, da abzuwinken und überhaupt so in Erscheinung zu treten. Es ist ein ganz klares Foulspiel. Er hätte es einfach akzeptieren können."

Der 43-Jährige ist einer der erfahrensten, besten, am meisten geschätzten Referees der Liga, souverän im Auftreten, stark im Spielmanagement und meist mit einer großzügigen Linie bei der Zweikampfbewertung. Die Partie in Mönchengladbach war bereits sein 187. Bundesligaspiel. 

So einer verliert nicht so leicht die Contenance. Und wenn es doch einmal passiert wie am Samstagabend, sind die Protagonisten gut beraten, sich zumindest anschließend zurückzunehmen. 

Mahmoud Dahoud tat sein Verhalten dann auch leid, BVB-Kapitän Mats Hummels nahm seinen Mitspieler in die Kritik, auch Trainer Marco Rose blieb eher leise. Nur Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke meinte, dem Referee vorhalten zu müssen, er habe "agiert wie ein Kapellmeister".

Patrick Ittrich und Lutz Wagner stimmen zu

Im "Sky"-Interview klagte Deniz Aytekin, Gesten wie das Abwinken würden inzwischen ganz selbstverständlich als "nichts Schlimmes" betrachtet. Und das passt ihm ganz und gar nicht: "Wir haben auch ein Mindestmaß an Respekt verdient." 

Zustimmung erhielt er dafür von seinem Bundesliga-Kollegen Patrick Ittrich, der auf Twitter und Instagram schrieb: "Danke, Deniz Aytekin!" Und weiter: "Wir sind das schwächste Glied in der Kette und spüren das jedes Wochenende von Kreisklasse bis Bundesliga. Mehr Respekt! Wir reagieren auf Unsportlichkeiten. Das ist unsere Aufgabe, und die ist schwer – für alle Schiris in der Republik."

Rückendeckung gab es auch von DFB-Lehrwart Lutz Wagner: "Man kann im Vorbeigehen dem Schiedsrichter durchaus auch einmal sagen, dass man anderer Meinung ist, aber man sollte es nicht für jeden im Stadion so deutlich sichtbar tun", sagte Wagner dem "kicker". 

Außerdem sei es ein "so klares Foul von Dahoud" gewesen, "da empfindet es ein Unparteiischer schon als besonders unangemessen, wenn ein Spieler trotzdem so vehement protestiert". Dahoud sei klar gewesen, "dass er bereits verwarnt war, und dann kann man sich auch etwas professioneller verhalten".

Altes Thema neu angestoßen

Mit der Matchstrafe gegen den Dortmunder hat Aytekin ein Thema neu angestoßen, das es bereits zu Beginn des Jahres 2020 gab, bevor es nach der Spielpause wegen der Corona-Pandemie und der Wiederaufnahme des Spielbetriebs ohne Zuschauer aus den Schlagzeilen verschwand. 

Zur Rückrunde der Saison 2019/20 hatte die sportliche Leitung der Unparteiischen die Anweisung ausgegeben, unsportliches Verhalten nunmehr konsequenter zu ahnden als bislang – nicht zuletzt, um damit als Vorbild für den Amateurfußball zu wirken. 

Diese Anweisung setzten die Referees durchaus konsequent um, was allerdings auf die Kritik einiger Klubs stieß. So beklagte sich etwa Borussia Mönchengladbach, damals von Marco Rose trainiert, vehement über Gelb-Rot für Alassane Pléa im Spiel bei RB Leipzig. Dessen Vergehen war dem von Dahoud ähnlich.

Nun sagte Rose, wenn alle Schiedsrichter nach dem Maßstab von Aytekin im Spiel seines neuen gegen seinen alten Klub handelten, gäbe es zehnmal Gelb-Rot pro Partie. Diese Aussage ist natürlich übertrieben. 

Sie ist aber auch erschreckend, denn sie beinhaltet – zweifellos ungewollt – das Eingeständnis, dass es eine ganze Menge Respektlosigkeiten gegenüber den Unparteiischen gibt, die in der Regel ungeahndet bleiben. 

Das ist in anderen Sportarten nicht so. Vielleicht sollte der Fußball sich lieber daran orientieren, statt über fehlendes "Fingerspitzengefühl" der Referees zu klagen und "Emotionen" zu beschwören, wo es um unsportliches Verhalten geht. Auf der anderen Seite sind die Spielleiter nun natürlich auch gefordert, konsequent zu sein.

Alex Feuerherdt