18.10.2021 13:06 Uhr

"Collinas Erben" über Elfer-Zoff: Darum hat Streich Recht

Christian Streich (M.) hatte einiges mit dem Schiedsrichter zu besprechen
Christian Streich (M.) hatte einiges mit dem Schiedsrichter zu besprechen

Im neuen Stadion des SC Freiburg schlagen bei der Premiere gegen RB Leipzig die Wogen hoch. Beide Trainer benehmen sich gegenüber dem Unparteiischen daneben, der Übungsleiter der Gastgeber kritisiert später dessen uneinheitliche Bewertung von Strafraumsituationen. Zumindest das ist nachvollziehbar.

Wenn der SC Freiburg und RB Leipzig aufeinandertreffen, wird das von vielen auch als Spiel der Gegensätze wahrgenommen: Hier der bodenständige Verein aus dem beschaulichen Breisgau, keiner der finanzstarken Klubs, aber seit jeher solide wirtschaftend, mit beachtlicher Kontinuität auch im personellen Bereich – Christian Streich etwa ist dort schon seit fast zehn Jahren Cheftrainer – und einem alternativen Image. Dort der nach Höherem strebende Klub von Gnaden eines großen Konzerns, erst 2009 ins Leben gerufen und von zahlreichen Fans anderer Vereine als vermeintlich seelenloses "Kunstprodukt" verachtet.

Allzu sehr sind diese Gegensätze auch klischeebehaftet, doch so ist das im Showbusiness Profifußball nun mal, und es tut dem Reiz dieser Partie auch kaum einen Abbruch. Wild und hektisch, gar aufgeladen war so manche Begegnung zwischen den Leipzigern und den Freiburgern seit dem Aufstieg der Sachsen in die Bundesliga, und so war es auch an diesem Samstag. Zumal es das erste Pflichtspiel im nagelneuen Freiburger Stadion war, was die Bedeutung noch erhöhte. Dort und an diesem Tag wollten die als einziger Bundesligist in dieser Saison noch ungeschlagenen Freiburger erst recht nicht die erste Niederlage einstecken, schon gar nicht gegen die zuletzt schwächelnden Gäste.

Gewiss nicht zufällig wurde deshalb Daniel Siebert, EM-Schiedsrichter und somit einer der Top-Leute der deutschen Unparteiischen, mit der Leitung dieser Partie betraut. Der 37-jährige Berliner weiß, wie man Gemüter beruhigen kann, und lässt gerade Spiele zwischen zwei technisch starken Teams gerne laufen. Doch er hatte diesmal ein schweres Amt, weil die Emotionen teilweise überschossen, viele enge Zweikämpfe zu beurteilen waren und immer mal wieder einer zu Boden ging, ohne dazu wirklich gezwungen worden zu sein.

Beide Trainer werden ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht

Auch die beiden Trainer erleichterten dem Referee die Aufgabe nicht gerade. Sie waren vielmehr sogar die Ersten, denen Daniel Siebert die Gelbe Karte zeigen musste: Christian Streich sah sie nach 33 Minuten, sein Leipziger Kollege Jesse Marsch nur drei Minuten später.

Gelb für Streich
Gelb für Streich

Beide Übungsleiter hatten sich über Entscheidungen des Schiedsrichters – einen Elfmeter hier, einen Freistoß dort – derart vehement echauffiert, dass dem Unparteiischen gar keine andere Wahl blieb, als zur Verwarnung zu greifen. Streich räumte nach dem Spiel im Interview des Senders "Sky" immerhin ein, "zu wild" gewesen zu sein, und erkannte die Berechtigung der Gelben Karte an.

Unter der Woche hatte Lutz Michael Fröhlich, der sportliche Leiter der Schiedsrichter im deutschen Profifußball, bei einem Medienworkshop gesagt, mit der Rückkehr der Zuschauer nähmen nun die Emotionen auf dem Feld wieder zu – und, so sei zu befürchten, auch die Reklamationen, Proteste und Meckereien gegen die Referees. Diese seien deshalb verstärkt gefordert, unsportlichem Verhalten angemessen Einhalt zu gebieten. Fröhlich hatte Recht. Dass es in Freiburg ausgerechnet die beiden Trainer waren – Funktionsträger mit besonderer Vorbildfunktion mithin –, die als Erste verwarnt werden mussten, wirft kein gutes Licht auf sie.

Streich: Entweder hüben wie drüben ein Elfer – oder gar keiner

Nach dem Spiel, das 1:1 endete, wurde viel über die Zweikampfbewertung des Unparteiischen gesprochen, die insbesondere den Gastgebern nicht gefiel. "Eine richtige Linie gab es nicht", fand Angreifer Lucas Höler. "Manchmal hat er gepfiffen, manchmal nicht." Christian Streich kritisierte insbesondere, dass Daniel Siebert in zwei ähnlichen Strafraumsituationen unterschiedlich entschieden hatte: In der 31. Minute sprach er den Leipzigern einen Strafstoß zu, vier Minuten nach der Pause dagegen verweigerte er den Freiburgern einen solchen. "Wenn du den ersten Elfmeter pfeifst, musst du auch den zweiten pfeifen", sagte der Coach der Hausherren. "Oder du pfeifst den ersten nicht und lässt den zweiten auch weg."

Streichs Ansicht war nachvollziehbar. Der Strafstoß für die Gäste resultierte aus einem Zweikampf zwischen Philipp Lienhart und Christopher Nkunku im Freiburger Strafraum, bei dem der Leipziger über das linke Bein des Freiburger Verteidigers gestolpert und mit einiger Theatralik zu Fall gekommen war. Ob dieser Kontakt als ahndungswürdiges Beinstellen von Lienhart zu bewerten ist oder Nkunku ihn womöglich geradezu gesucht hatte, um zu Boden zu gehen, ist auch eine Frage des Ermessens. Bei einer eher strengen Regelauslegung lässt sich der Elfmeterpfiff gewiss vertreten, zu einer eher großzügigen passt er dagegen nicht. Klar und offensichtlich falsch war er keineswegs, der VAR musste daher auch nicht eingreifen.

Warum der VAR zweimal zu Recht nicht interveniert hat

Auch in der 49. Minute kam nicht nur eine Entscheidung in Betracht. Im Laufduell mit Lucas Höler hielt Mohamed Simakan seinen Gegenspieler im eigenen Strafraum leicht an der rechten Schulter, aber das war weniger von Bedeutung als der Kontakt zwischen den jeweils rechten Waden der beiden Kontrahenten. Danach kam Höler zu Fall, und auch hier ließ sich nicht mit absoluter Gewissheit sagen, ob Simakan – der in der schlechteren Position war – diesen Sturz verursacht oder Höler ein wenig nachgeholfen hatte. Gemessen an der Regelauslegung nach 31 Minuten gab es hier allerdings nicht weniger Argumente, auf Elfmeter zu erkennen. Deshalb kann man Christian Streich beipflichten, wenn er urteilt, dass es in beiden Situationen die gleiche Entscheidung hätte geben müssen – entweder jeweils einen Strafstoß oder jeweils keinen.

Dennoch war es auch in der zweiten Szene richtig, dass sich der Video-Assistent zurückhielt. Denn eine klare Fehlentscheidung hatte der Referee wiederum nicht getroffen, seine Bewertung passte im Vergleich nur nicht recht zur der in der ersten Szene. Die Aufgabe des VAR ist es aber nicht, zur Einheitlichkeit der Regelauslegung in solchen Grenzfällen beizutragen, sondern bekanntlich nur, bei gravierenden Fehlern und übersehenen Vorfällen zu intervenieren. Folgerichtig kann es vorkommen, dass in zwei ähnlichen Situationen unterschiedlich entschieden wird und dennoch kein Eingriff aus der Videozentrale in Köln geboten ist, weil beide Entscheidungen für sich genommen vertretbar sind. Auch wenn sich das im Vergleich ungerecht anfühlen mag.

Alex Feuerherdt