20.10.2021 13:04 Uhr

Kopf, Beine, Taktik: Wie Roses Plan krachend scheiterte

Der BVB geriet in Amsterdam gehörig in Schieflage
Der BVB geriet in Amsterdam gehörig in Schieflage

Die bittere Wahrheit: Mit 0:4 (0:2) ging Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund am Dienstagabend in der Champions League bei Ajax Amsterdam baden. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Niederlage des BVB noch viel höher hätte ausfallen können. Die Gründe sind vielschichtig, auch der Cheftrainer Marco Rose dürfte eine Rolle spielen.

Die Basis, die Grundlagen des Fußballs, das sei es, was Borussia Dortmund in Amsterdam abhanden gekommen ist. Geht es nach BVB-Berater Matthias Sammer, der die schwache Leistung der Schwarz-Gelben bei "Amazon" kommentierte, besteht das Problem vor allem in der fehlenden Fitness.

"Der Kopf funktioniert nicht, wenn die Beine nicht mitmachen", redete Sammer auf Moderator Sebastian Hellmann mit großem Eifer ein. "Ajax ist voll im Saft. Eine Mannschaft wie Ajax kann marschieren, Borussia Dortmund will es, aber kann es nicht. Weil Akanji der einzige ist, der in dieser Saison nicht angeschlagen war. Alle anderen schon."

BVB hat nicht genügend "Benzin im Tank"

Nur eine (billige) Ausrede des 54-Jährigen angesichts des deutlichen Klassenunterschieds zwischen Dortmund und Ajax an jenem dritten Champions-League-Spieltag? Klar ist, dass eine große Zahl an Leistungsträgern fehlte: Mahmoud Dahoud und Raphael Guerreiro waren vor ihren Verletzungen äußerst wichtig für das Spiel des BVB, auch ein Giovanni Reyna hätte der Mannschaft mit seiner Kreativität gut getan.

Gleich mehrere BVB-Profis kamen zudem erst kürzlich nach Verletzungen zurück, darunter Platzhirsch Mats Hummels, der vor allem läuferisch einmal mehr seine Grenzen aufgezeigt bekam. Genügend "Benzin im Tank", wie Sammer formulierte, hat die Borussia daher tatsächlich nicht.

Viele Fans wollten Sammers Argument aber nicht gelten lassen, auf Twitter mehrten sich schon während der Partie zahlreiche Gegenstimmen. Und auch Trainer Marco Rose will die Pleite nicht auf mangelnde Fitness schieben. Sammer kenne zwar "die Konstellation" des BVB in dieser Saison, "aber wir werden keine Ausreden in irgendeiner Form suchen".


Mehr dazu: BVB-Fans nach Pleite bei Ajax geschockt - Die Netz-Reaktionen


Jener Marco Rose hatte sich vorab eigentlich einen genauen Plan ausgedacht, wie man beim niederländischen Serienmeister besteht. Seine Spieler ließ er wie schon gegen Mainz 05 (3:1) in einem offensiv ausgerichteten 4-3-3-System auflaufen.

Roses Plan geht nicht auf - Personal-Entscheidung wirft Fragen auf

Vor der Vierer-Abwehrkette bestand die Absicherung diesmal durch den defensiven Mittelfeldspieler Axel Witsel. Jude Bellingham und Julian Brandt sollten das Spiel über die Zentrale nach vorne ankurbeln, auf den Flügeln begannen mit Marco Reus und Donyell Malen zwei ausschließlich offensiv denkende Angreifer. Das Ziel: Über Pressing, schnelle Gegenstöße und nicht zuletzt über Erling Haaland zum Abschluss kommen. BVB-Fußball eben.

Nach guten Anfangsminuten schmiss Ajax jedoch Roses Plan über den Haufen. Die Niederländer überrollten die Gäste förmlich und nutzten die Freiräume auf den Außenbahnen schamlos aus. So sahen sich Dortmunds desolate Außenverteidiger Thomas Meunier und Nico Schulz unter Dauerbedrängnis, im Eins-gegen-Eins hatten sie keinerlei Chance.

Zwar reagierte Rose in der Pause, jedoch nur personell: Anstatt die Grundstruktur anzupassen und beispielsweise mit einem 4-3-1-2-System die Flügel defensiv besser abzusichern, brachte er den gelernten Mittelfeldspieler (und Rechtsfuß) Emre Can für den überforderten Nico Schulz. Zwar hatte der deutsche Nationalspieler schon einmal für den DFB auf der linken Seite ausgeholfen, mehr als ein Notnagel ist der 27-Jährige in dieser Funktion aber nicht.

Gegenspieler Antony spielte dem Dortmunder daher mehrfach Knoten in die Beine, an beiden Gegentoren im zweiten Durchgang trug Can Mitschuld. Verwunderung ruft die Personalentscheidung von Rose auch deshalb hervor, da in Felix Passlack ein gelernter Flügelspieler auf der Bank saß. Zwar fühlt sich das Eigengewächs auf rechts wohler, auf der linken Seite sammelte der 23-Jährige aber schon weitaus mehr Erfahrung als Can.

Die Szene vor dem dritten Gegentor: Can kann Antony nicht am Schuss hindern
Die Szene vor dem dritten Gegentor: Can kann Antony nicht am Schuss hindern

Letztlich hätte gar Linksfuß Dan-Axel Zagadou eine Alternative dargestellt, der nach langer Leidenszeit zurück im Kader stand. Im Amsterdamer Hexenkessel wäre ein Comeback für den Franzosen, dazu auf der Außenbahn gegen den schnellen Antony, aber wohl mehr als undankbar gewesen. Fragen werfen Roses Rochaden jedoch allemal auf.

BVB-Abwehr (mal wieder) überfordert

Selbiges gilt für das Dauer-Problem der Borussia: Der Defensiv-Verbund. Selten wurde ein Dortmunder Abwehr derart vorgeführt wie von Ajax Amsterdam. Dennoch ziehen sich die Defizite in dieser Saison konsequent durch die Arbeit beim BVB. Erst zwei der bislang 13 Pflichtspiele bestritt die Rose-Elf ohne Gegentor.

Bislang konnte der BVB die Abwehrschwäche zumeist durch die brillanten Offensivspieler im Kader ausgleichen. Doch ob im Supercup gegen den FC Bayern (1:3), wohlgemerkt direkt zu Saisonbeginn und unter anderen Vorzeichen, oder aber gegen Bayer Leverkusen (4:3) in der Liga: Gerade gegen spielstarke Gegner sind die Probleme offenkundig.

Greift der Gegner mit schnellem Kombinationsfußball an, wirkt die Hintermannschaft schnell überfordert. Erschreckend diesmal in Amsterdam, dass es zudem an der notwendigen Körpersprache mangelte. "Wir haben einige wichtige Zweikämpfe zu viel verloren", erkannte Rose hinterher: "Diese annehmen, sie führen, nachschieben, genau die Dinge, mit denen Ajax das Spiel zu ihrem gemacht hat: Das müssen wir auch tun."

Das wohl einzig Positive ist, dass sich Dortmund in zwei Wochen für das Debakel revanchieren kann. Bleibt zu hoffen, dass bis dahin auch die Basis wieder stimmt.

Gerrit Kleiböhmer