05.09.2022 14:04 Uhr

Steckt der FC Bayern in der Krise?

Leroy Sané und Sadio Mané vergaben zuletzt zu viele Torchancen
Leroy Sané und Sadio Mané vergaben zuletzt zu viele Torchancen

56 Torschüsse gab der FC Bayern in den letzten beiden Bundesliga-Spielen gegen Gladbach und Union Berlin ab. Nur auf zwei davon folgte Jubel, das macht eine Trefferquote von unter vier Prozent. Diese Statistik unterstreicht eindrücklich, was der FC Bayern ohne Robert Lewandowski derzeit vermisst: die Kaltschnäuzigkeit.

Nach dem besten Saisonstart der Bundesliga-Geschichte (neun Punkte und 17 Tore aus drei Spielen/Trefferquote: 22 Prozent) ist es verfrüht, von einer echten Bayern-Krise zu sprechen. Doch die letzten Auftritte offenbarten  Probleme, die der deutsche Rekordmeister vor dem Champions-League-Auftakt gegen Inter Mailand (Mittwoch, 21:00 Uhr) schnell in den Griff bekommen muss.

Auf der Suche nach Gründen für die Münchner Abschlussschwäche führt die Spur unweigerlich zum Abgang von Robert Lewandowski zum FC Barcelona. Fehlt der Pole dem Rekordmeister? "Die Frage gibt es nur, weil ihr [die Journalisten] sie stellt", reagierte Trainer Julian Nagelsmann trotzig nach dem jüngsten Remis bei Union.

FC Bayern: Sadio Mané hat kaum Ballkontakte

Und doch hat sich das anfängliche Bild, nach dem der FC Bayern ohne seinen Torjäger "noch besser" und "mit mehr Optionen" (O-Töne Joshua Kimmich) agieren könne, etwas gewandelt. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Lewandowski-Ersatz Sadio Mané noch nicht recht in Fahrt kommt.

Der ehemalige Liverpooler legte einen Top-Start hin und traf in drei seiner ersten vier Pflichtspiele für die Münchner. Ein Umstand, der nicht darüber hinweg täuschen kann, dass dem Senegalesen die Bindung zum Spiel des FC Bayern fehlt.

Im Schnitt kommt Mané nur auf 31 Ballaktionen pro Spiel. Beim FC Liverpool in der Premier League waren es letzte Saison noch etwas mehr als 50. "Grundsätzlich habe ich noch nie gewollt, dass ein Spieler wenig Ballkontakte hat", wiegelte Nagelsmann zuletzt ab.

Münchner System auf Lewandowski zugeschnitten 

Dass Mané nach wie vor etwas mit seiner Position und seiner Rolle fremdelt, hängt zu großen Teilen mit der Systemumstellung des FC Bayern zusammen. Das 4-2-3-1, das in den letzten Jahren nahezu in Stein gemeißelt zur Bayern-DNA gehörte, wich im Sommer einem 4-4-2. Das geschah aus einem einfachen Grund: Ohne Lewandowski haben die Münchner keinen Zielspieler im Sturmzentrum. 

"Der Rhythmus von Lewandowski war perfekt auf die Mannschaft abgestimmt. Mané muss sich jetzt erst integrieren", analysierte etwa Ex-Bayern-Trainer Felix Magath bei "Bild". Das beste Beispiel: Der 30-Jährige erzielte an den ersten vier Spieltagen fünf (!) Tore, die der VAR wegen Abseits wieder einkassierte. Das blinde Verständnis mit den Kollegen und die Feinjustierung fehlen noch.

Kein Tor: Mané trifft aus Abseitsposition gegen Wolfsburg
Kein Tor: Mané trifft aus Abseitsposition gegen Wolfsburg

Mané agierte bei Liverpool überwiegend als Linksaußen und reifte dort zu einem Weltklasse-Spieler. Derzeit bekleidet Leroy Sané diese Position im Münchner Spiel. Zwar wird der deutsche Nationalspieler viel gescholten, in dieser Saison steht er jedoch im Vergleich mit Mané bei gleich vielen Torbeteiligungen, mehr Torschüssen, mehr erfolgreichen Dribblings und mehr Ballaktionen.

Diskussion um Manés Eignung "totaler Quatsch"?

Dass der Spielertyp Mané kein Eins-zu-eins-Ersatz für Lewandowski ist, war klar. Kristallisiert sich aber mehr und mehr heraus, dass die Stärken des Senegalesen in der Sturmspitze nicht ausreichend zum Tragen kommen, steht der FC Bayern vor einem Problem: Es fehlt ein echter Mittelstürmer.

Joshua Zirkzee wurde an den FC Bologna verkauft, Eric Maxim Choupo-Moting war monatelang verletzt. Gegen Gladbach sollte also Abwehrkante Matthijs de Ligt in vorderster Front den Sieg erzwingen.

Die Diskussion um die Münchner Neun seien zwar "totaler Quatsch", erklärte Stefan Effenberg im "Sport1-Doppelpass", dennoch hätten die letzten Spiele eine systematische Schwäche im Spiel der Bayern offenbart. Gegen tief und kompakt stehende Gegner kann der Rekordmeister nicht auf sein Flanken-Mittel setzen. Im gegnerischen Strafraum fehlt es an Präsenz - und an Kaltschnäuzigkeit.

An beiden Experten-Meinungen von Magath und Effenberg ist durchaus etwas dran. Gewinnen die Bayern aber gegen Inter, dürften die Diskussionen in jedem Fall so schnell beendet sein, wie sie anfingen.

Tom Kühner