13.10.2022 14:35 Uhr

Warum die Hummels-Kritik den BVB nicht spalten sollte

Ist die Kritik von BVB-Kapitän Mats Hummels an Dortmunds Spielweise berechtigt?
Ist die Kritik von BVB-Kapitän Mats Hummels an Dortmunds Spielweise berechtigt?

Mats Hummels griff sich kurz ins Haar - dann ließ er seinen Frust vor laufenden Kameras raus. Mit deutlichen Worten kritisierte der BVB-Ersatzkapitän die Leistung von Borussia Dortmund beim 1:1 im Champions-League-Spiel gegen den FC Sevilla. Ist die öffentliche Schelte angemessen? Und: Was wird sie bewirken? Eine Analyse.

Dass Mats Hummels um klare Ansagen nicht verlegen ist, stellte der BVB-Verteidiger in der Vergangenheit immer wieder unter Beweis. Die drastischen Worte, die der 33-Jährige nach dem 1:1 gegen den FC Sevilla am Dienstag im TV-Interview mit "Prime Video" wählte, ließen aber noch mehr als sonst aufhorchen.

Fehlende "Spielintelligenz" warf Hummels seiner Mannschaft vor laufenden Kameras vor. Was ihm am Auftritt des BVB gegen Sevilla nicht gefallen habe? "Alles bis auf die 25. bis 45. Minute", machte der Weltmeister von 2014 deutlich: "Das war kein gutes Spiel von uns."

Damit jedoch nicht genug. "Fußball ist eigentlich ein sehr simples Spiel, aber wir machen es immer selber kompliziert", holte Hummels wenig später aus: "Es muss aus manchen Köpfen raus, dass Fußball sexy sein muss. Dass erfolgreicher Fußball nicht Hacke, Spitze, eins, zwei, drei auf fünf Metern ist, sondern dass ein Spieler immer das Richtige macht und nicht manchmal nur das Besondere."

Vielsagend merkte der Routinier zudem an: "Es ist schwierig, wenn man das Gefühl hat, dass da nicht genügend Leute sonst noch sind, die in der Lage sind, immer wieder anzuschieben."

Terzic und Bellingham stimmen BVB-Routinier Hummels zu

Kurzum: Hummels' Worte scheinen mal wieder wie gemacht für alle, die dem BVB nach jeder schwächeren Vorstellung fehlende Mentalität vorwerfen.

Doch: Was werden sie bewirken - vor allem mannschaftsintern? Stellt sich Hummels mit solchen verbalen Vorstößen am Ende womöglich selbst ins Abseits oder stiftet damit Unruhe?

Die erste Reaktion von BVB-Coach Edin Terzic, der auf der Pressekonferenz nach dem Sevilla-Spiel mit Hummels' Aussagen konfrontiert wurde, lässt vermuten: Hummels' Wort hat in Dortmund nach wie vor Gewicht - auch, weil der Ersatzkapitän aus Sicht des Trainers keine Ego-Show abzog.

"Das sind Worte, die auch schon mal meinen Mund verlassen haben. Mir ist es wichtig, dass das Wort 'wir' dabei war. Wir müssen einfach viel präziser und effektiver Fußball spielen", stellte Terzic klar. 

"Mats hat absolut Recht damit. Es ist wichtig, dass er das anspricht", befand auch BVB-Youngster Jude Bellingham.

Fühlen sich die BVB-Mitspieler von Hummels angegangen?

Doch nicht jeder beim BVB scheint es so zu sehen wie Trainer Terzic und Bellingham. "Mitspieler fühlen sich vom Dortmunder Chef-Kritiker öffentlich angegangen. Sie blocken mittlerweile ab, lassen die Kritik an sich abprallen. So wird nie ein Umdenken innerhalb der Mannschaft von Borussia Dortmund stattfinden", war am Mittwoch einem Pro-und-Contra-Bericht der "Ruhr Nachrichten" zu entnehmen.

Geht man Hummels' Aussagen Schritt für Schritt durch, bleibt festzuhalten: Der 33-Jährige trifft immer den Kern. Und das mit gewohnter Eloquenz. Emotional geladen, aber stets differenziert - und zu keinem Zeitpunkt beleidigend. Mentalitätstest: bestanden.

Dass Spieler wie Niklas Süle oder Salih Özcan, die im Sommer als potentielle Führungsspieler zum BVB kamen, noch nicht vorangehen, ist nicht von der Hand zu weisen. Anders übrigens als der fast 34-jährige Hummels, der zur Überraschung vieler Experten seit Wochen mit konstanten Leistungen überzeugt und wieder als DFB-Kandidat für die Fußball-WM 2022 in Katar gilt.

Mit seinen sportlichen Beobachtungen spricht Hummels ebenfalls viel Richtiges an - und viel Grundsätzliches. Beim 0:1 durch den Ex-Bayern-Profi Tanguy Nianzou in der 18. Minute kassierte der BVB zum wiederholten Male in der laufenden Spielzeit einen Gegentreffer nach einer Standardsituation.

Erst ab Mitte der ersten Hälfte erhöhten die Schwarz-Gelben den Druck. Der 1:1-Ausgleich durch Bellingham in Minute 34 war die logische Folge. Unerklärlicherweise schraubte Dortmund die Schlagzahl nach der Pause jedoch wieder herunter. Und schlimmer noch: Viele Leichtsinnsfehler schlichen sich ein. Die BVB-Offensive verlor sich im Klein-Klein. 

Ein Sieg aus vier Pflichtspielen - zu wenig für die BVB-Ansprüche

"Sevilla ist verunsichert, die waren hier happy mit dem 1:1", analysierte Hummels korrekt: "Wir haben es nicht geschafft, mit dem Ball noch mal Druck aufzubauen, haben lauter Ballverluste gehabt, haben immer in enge Räume gespielt anstatt sie laufen zu lassen."

Hummels' Ansage darf auch als Warnung verstanden werden. Zwar ist der Einzug des BVB ins Champions-League-Achtelfinale bei fünf Punkten Vorsprung auf Sevilla und den FC Kopenhagen nur noch Formsache. In der Bundesliga belegen die Westfalen punktgleich mit dem FC Bayern Platz vier. Ist damit alles im Lot? Nein.

Denn in den jüngsten vier Pflichtspielen gab es nur einen Sieg für den BVB. Das späte 2:2 im Top-Match gegen den FC Bayern am vergangenen Samstag wurde zwar bejubelt wie ein Dreier, darf aber nicht darüber hinwegsehen lassen, dass es lange nach "Business as usual" aussah. Sprich: nach einem Erfolg der übermächtigen Bayern.

Vor dem Bundesliga-Spitzenspiel bei Tabellenführer 1. FC Union Berlin am Sonntag (17:30 Uhr) täte der BVB deshalb gut daran, sich Hummels' Aussagen zu Herzen zu nehmen - und dauerhaft in Form von konstant guten Ergebnissen umzusetzen.

Das wird nämlich dringend nötig sein, wenn der Deutsche Meister im Mai 2023 nach elf Jahren Borussia Dortmund heißen soll - und nicht schon wieder FC Bayern München.

Claudio Palmieri