02.11.2022 16:09 Uhr

Warum Eintracht Frankfurt jetzt alles zuzutrauen ist

Eintracht Frankfurt will hoch hinaus - und das nicht nur in der Champions League
Eintracht Frankfurt will hoch hinaus - und das nicht nur in der Champions League

Eintracht Frankfurt steht im Achtelfinale der Champions League. Das Minimalziel, in einem europäischen Wettbewerb zu überwintern, hat das Team von Trainer Oliver Glasner damit erreicht. Doch die größte Überraschung könnte der Bundesliga-Konkurrenz noch bevorstehen - und vielleicht auch den Hessen selbst.

Die wohl wichtigste Errungenschaft von Eintracht Frankfurt in dieser Saison sprach Oliver Glasner ganz offen an. Doch fast schien es so, als würde es niemanden interessieren. Vielleicht verpackte der Trainer der Hessen die Botschaft auch einfach zu charmant.

"Natürlich werden wir noch anstoßen, aber es wird keine Party geben. Wir wollen das bis zum letzten Spieltag gegen Mainz durchziehen. Wir sind in einer tollen Verfassung und in der Bundesliga richtig gut dabei", sagte der 48-jährige Österreicher nach dem 2:1-Erfolg bei Sporting Lissabon, mit dem der Champions-League-Neuling den Einzug ins Achtelfinale der Königsklasse perfekt machte.

Mit einem breiten Grinsen merkte Glasner dazu noch an: "Dafür werden wir im Januar einen Tag später anfangen zu trainieren, dann haben die Jungs einen Tag länger zum Feiern. Ganz so ein harter Hund bin ich ja auch nicht."

Augsburg, Hoffenheim, Mainz: Das ist also die vergleichsweise graue Bundesliga-Realität, die Glasner am Ende einer weiteren magischen Frankfurter Europapokalnacht schon wieder ins Visier nahm. Das allerdings völlig zu Recht.

Eintracht Frankfurt meistert Pflichtspiel-Marathon

Denn anders als in der vergangenen Saison, als der Gewinn der Europa League über Platz elf in der Liga und das Erstrundenaus gegen Drittligist Waldhof Mannheim im DFB-Pokal hinwegsehen ließ, meistern die Hessen die Mehrfachbelastung in dieser Saison mit einer erstaunlichen Konstanz.

Den ultimativen Beweis lieferten die Frankfurter in den vergangenen 32 Tagen. Zehn Pflichtspiele absolvierte die Eintracht seit dem 1. Oktober. Damit war das Glasner-Team zuletzt alle drei bis vier Tage neu gefordert. Die Bilanz aus fünf Bundesliga-Spielen, vier Champions-League-Vorrundenpartien und einem DFB-Pokalmatch in diesem Zeitraum: sechs Siege, ein Unentschieden, drei Niederlagen.

Bemerkenswert war dabei nicht nur die Anzahl der Spiele, sondern auch die Qualität der Gegner - und die Qualität, die die Eintracht diesen Kontrahenten entgegenbrachte. Liga-Primus Union Berlin holte sich mit dem 0:2 in Frankfurt die erste Saisonniederlage ab. Der 5:1-Sieg gegen Bayer Leverkusen und das 3:1 in Gladbach glichen fast schon Machtdemonstrationen gegen Konkurrenten, die in der Bundesliga-Hierarchie eigentlich vor den Frankfurtern kommen.

Mit 20 Punkten steht die Eintracht nach zwölf Spieltagen auf dem fünften Tabellenplatz. Sechs Punkte fehlen aktuell zu Spitzenreiter 1. FC Union Berlin. Genauer gesagt: sechs Punkte, die die Adlerträger beim 0:1 gegen den VfL Wolfsburg im September oder beim 0:3 bei Schlusslicht VfL Bochum Anfang Oktober leichtfertig liegen ließen.

Nicht zuletzt stand das 1:2 im Spitzenspiel gegen den BVB am vergangenen Samstag im Zeichen einer höchst strittigen Schiedsrichterentscheidung zu Frankfurter Ungunsten. Tabellenführer Eintracht Frankfurt: Das klingt vielleicht abwegig, wäre aber durchaus möglich gewesen.

Frankfurts größte Schwäche in den vergangenen Spielzeiten könnte damit plötzlich zum großen Trumpf der Glasner-Elf werden. Im Gegensatz zur abgelaufenen Runde, als der Saisonendspurt der Eintracht im Zeichen der Duelle gegen den FC Barcelona, West Ham United und Rangers FC standen, dürfte es in der K.o.-Phase der Champions League nicht ganz so weit für die Hessen gehen.

Eintracht Frankfurt: Oliver Glasner denkt an Real Madrid

Schon im Achtelfinale drohen Hammerlose wie PSG, Manchester City oder Real Madrid. Die Eintracht könnte dann ihre letzten Körner in den Bundesliga-Alltag stecken - und damit auch in eine Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb über die Liga.

Gegen die Madrilenen hatten die Frankfurter erst im August das Vergnügen. Das Finale des Europäischen Supercups ging mit 0:2 verloren. Dass Glasner nach dem Sieg in Lissabon just auf diese Niederlage Bezug nahm, war wohl eher kein Zufall. Der Österreicher, der die Eintracht taktisch breit aufgestellt hat, zog eine positive Zwischenbilanz.

"Ich hätte gerne den Supercup gegen Real gewonnen. Da haben wir ähnlich gespielt wie heute in der ersten Halbzeit, also nicht mit der totalen Überzeugung. Aber wir haben daraus gelernt", hielt er fest.

Eine Entwicklung sieht auch Mittelfeldkämpfer Sebastian Rode, der in Lissabon zum "Man of the Match" gekürt wurde. "Wir haben nach dem ersten Gruppenspiel immer besser reingefunden. Selbst nach der Niederlage am Wochenende gegen Dortmund hat man gesehen, dass wir eine Steh-auf-Mannschaft sind. Wir haben noch mal alles reingeworfen und gefightet bis zum Schluss", meinte der 32-Jährige, der wie kein Zweiter die Mentalität der Hessen verkörpert.

Dass sich Frankfurts sportliche Führung schon jetzt dieser Entwicklung bewusst ist, sollte die Bundesliga-Konkurrenz als Warnsignal auffassen. "Wichtig ist, dass wir in der Bundesliga punkten. Wir wollen eine gute Ausgangsposition für die Rückrunde erarbeiten", stellte Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche nach dem Sieg bei Sporting Lissabon klar.

Unklarheit herrscht bei der Eintracht offenbar nur noch bei der Getränkewahl nach einem Erfolg - und bei der genauen Anzahl. "Heute Abend gibt es bestimmt das eine oder andere Bier", schmunzelte Rode. Krösche pflichtete dagegen lieber seinem Trainer bei: "Es wird vielleicht einen Wein, aber keine große Party geben." 

Claudio Palmieri