30.03.2023 12:53 Uhr

Das Risiko des FC Bayern mit "Diktator" Tuchel

Thomas Tuchel folgte beim FC Bayern auf Julian Nagelsmann
Thomas Tuchel folgte beim FC Bayern auf Julian Nagelsmann

Mit Thomas Tuchel an der Seitenlinie will der FC Bayern wieder konstant in die Erfolgsspur zurückkehren. Seine Fähigkeiten als Trainer sind unumstritten. Der frühere BVB-Coach gilt aber als schwieriger Charakter. Wie groß ist das Risiko für den deutschen Rekordmeister?

Als sich Borussia Dortmund im Frühsommer 2017 von Thomas Tuchel trennte, ging ein Aufschrei durch die Anhängerschaft des BVB.

Tuchel weg, unter dem die Schwarz-Gelben in den vorangegangenen zwei Jahren phasenweise begeisternden Fußball gespielt hatten? Rauswurf eines Trainers, der soeben von Zehntausenden bejubelt mit dem DFB-Pokal um den Borsigplatz gefahren war? Für viele im Umfeld des BVB war das ein unerhörter Vorgang.

Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sah sich sogar gezwungen, sich in einem offenen Brief an die Fans zu wenden. Die Vorwürfe, die dort zwischen den Zeilen zu lesen waren, hatten es in sich.

Es gehe in einer Zusammenarbeit "immer auch um grundlegende Werte wie Vertrauen, Respekt, Team- und Kommunikationsfähigkeit, um Authentizität und Identifikation. Es geht um Verlässlichkeit und Loyalität", schrieb der BVB-Boss.

Man habe in der Konstellation mit Tuchel "keine Grundlage mehr für eine auf Vertrauen ausgelegte und perspektivisch erfolgreiche Zusammenarbeit gesehen". Als "schwierigen Menschen" bezeichnete Watzke den Fußball-Lehrer später im Podcast von Sandra Maischberger.

Konflikte nicht nur beim BVB

Der Dissens mit der BVB-Führung war nicht der einzige Konflikt in Tuchels Trainer-Karriere. Schon beim FSV Mainz 05, seiner ersten Station als Chefcoach im Profi-Bereich, eckte er an.

Der von Tuchel angeblich ohne Vorwarnung aussortierte Torhüter Heinz Müller erhob schwere Anschuldigungen gegen den Übungsleiter. "Tuchel ist ein Diktator. Was er mit mir gemacht hat, war Mobbing hoch zehn", sagte Müller dem "kicker".

Fast schon legendär ist ein auf Video festgehaltener Ausraster Tuchels im Training der 05er. Zielscheibe: Stürmer Shawn Barker. "Mit welchen Ideen spielst du Fußball? Du kommst ins Training und machst nur, was du willst. Da ist kein einziger Ball dabei für unser Spiel, es ist nur dein eigenes Spiel. Hier noch ein Trick, da noch ein Trick und hier noch eine Idee - und keine einzige klappt davon. Mir steht es hier oben, ehrlich", blaffte Tuchel einst den Profi an.

Auch Timo Werner tritt gegen Thomas Tuchel nach

Später bei Paris Saint-Germain gab es Unstimmigkeiten mit Dani Alves und Adrien Rabiot, den Tuchel wegen Vertragsstreitigkeiten zunächst auf Geheiß der Vereinsführung aussortiere und später sogar an Spieltagen aus der Kabine verbannte.

Beim FC Chelsea geriet Tuchel mit Stürmer-Star Romelu Lukaku aneinander. Auch Timo Werner übte nach dem Abgang aus London Kritik an seinem Landsmann. "Ich habe die Tore geschossen und gute Spiele gemacht. Dann wird das alles vom Trainer ein bisschen vergessen, es war nicht wirklich fair. Das war auch ein Grund, warum ich zurück nach Leipzig gehen musste, um wieder Spaß zu haben", sagte der Nationalspieler.

Bei PSG kam Tuchel zudem nicht mit Sportdirektor Leonardo klar. Auch Chelseas neuer Besitzer Todd Boehly fand keinen gemeinsamen Nenner mit dem durchaus eigensinnigen Trainer. Bei beiden Klubs wurde er vor Ablauf seines Vertrags gefeuert.

Wie groß ist das Risiko des FC Bayern mit Thomas Tuchel?

All das dürfte den Bossen des FC Bayern vor Tuchels Verpflichtung bekannt gewesen sein, war sein Name doch schon seit einigen Jahren immer wieder Thema an der Säbener Straße, wenn gerade ein Trainer wackelte.

In München sind sie also offensichtlich davon überzeugt, dass Tuchels menschliche Schwächen nicht so sehr ins Gewicht fallen - oder bestenfalls sogar nicht mehr so stark ausgeprägt sind wie früher.

"Er hat Paris Saint-Germain ins Champions-League-Finale geführt, bei Chelsea war er von Anfang an erfolgreich, hat die Champions League gewonnen. Das ist ein beeindruckender Lebenslauf. Dahinter steckt auch immer eine persönliche Entwicklung", sagte Vorstandschef Oliver Kahn bei der Vorstellung des neuen Chefcoaches.

Dass Tuchel zunächst nur einen Vertrag bis Sommer 2025 unterschrieb - Nagelsmann hatte der FC Bayern noch für fünf Jahre das Vertrauen ausgesprochen - zeigt allerdings auch, dass zumindest eine gewisse Skepsis vorhanden ist.

Das Bemühen, diese zu zerstreuen, ist Tuchel nicht abzusprechen. Gleich an seinem ersten kompletten Arbeitstag in München traf er sich laut "kicker" am Dienstag zum Austausch mit den Mannschaftskapitänen Manuel Neuer und Thomas Müller. "Sehr gut" sei das Gespräch intern angekommen, heißt es.

"Reibung", erklärte Tuchel einmal in der "Zeit", "entsteht, wenn starke Persönlichkeiten aufeinandertreffen". Es bleibt abzuwarten, wie groß die Reibung beim FC Bayern in den kommenden Monaten wird.

Tobias Knoop