Sollte Emre Can die Kapitänsbinde beim BVB verlieren?
Emre Can steht nach seiner frühen Roten Karte bei Borussia Dortmunds 1:3-Pleite beim 1. FSV Mainz 05 mehr denn je in der Kritik. Sollte der BVB seinem umstrittenen Kapitän die Binde nun wegnehmen? Ein Pro und Contra aus der sport.de-Redaktion.
Pro: "Die Binde wiegt zu schwer für Can"
Marc Affeldt: Ein Emre Can ohne die teils eklatanten Leistungsschwankungen ist eine Waffe im modernen Fußball! Das in etwa dürfte den BVB-Verantwortlichen durch den Kopf gegangen sein, als sie den deutschen Nationalspieler im Juli 2023 durchaus überraschend zum Kapitän beförderten und obendrein mit einem neuen Dreijahresvertrag ausstatteten.
Die vermeintliche Rechnung: Mehr Verantwortung und ein durch die Binde untermauertes Standing in der Kabine treiben dem 30-Jährigen endgültig den Schlendrian aus, der seinem in Hochzeiten unbestritten herausragendes Spiel immer wieder den Mehrwert nimmt. Dumm nur, dass dieses Kalkül nicht aufgehen will.
Im Gegenteil: 2024/25 ist Can im Großteil seiner Auftritte eine teils enorme Verunsicherung anzumerken, nur selten bringt der Routinier seine PS auf die Straße.
Natürlich muss man dem Rechtsfuß zugutehalten, dass er gerade in den letzten Wochen einmal mehr als Mädchen für alles die Verletztenmisere der Borussen auffangen und seine Wohlfühloase im zentralen Mittelfeld immer wieder verlassen musste. Die Menge der Kritik, die auf Can einprasselt - und ihn, so bestätigte er zuletzt, nicht kaltlässt - kassiert der EM-Teilnehmer auch daher, weil er Spielführer der Schwarzgelben ist. Ein Urteil drängt sich auf: Die Binde wiegt zu schwer für Can.
Dass Can die Verunsicherung inzwischen nur schwer ablegen kann, beweist nicht zuletzt sein brutales Einsteigen gegen Jae-sung Lee, für das er am vergangenen Spieltag völlig zu Recht die Rote Karte kassierte - und den Weg zur nächsten BVB-Pleite ebnete.
Die anstehende Sperre bietet aber auch eine Chance - oder vielmehr eine Ausrede für die Dortmunder Bosse - Can endlich von der Last des Kapitänsamtes zu befreien. Seine Meinung wird der gebürtige Frankfurter auch ohne das Stück Stoff am Arm nicht hinterm Berg halten. Weniger Fokus der Öffentlichkeit wird seinen Auftritten auf dem Rasen nicht schaden.
Contra: "Emre Can ist nicht das Problem des BVB"
Gerrit Kleiböhmer: Emre Can ist nicht das Problem des BVB. Immer wieder wird der 30-Jährige von Fans und Beobachtern als Sündenbock herangezogen, oftmals wird dabei völlig übers Ziel hinausgeschossen.
Wie nah dem Frankfurter die Kritiken gehen, hatte er nach dem 2:1-Sieg der Borussia gegen die bis dato in der Liga ungeschlagenen Leipziger offenbart (Can wurde da noch als einer der Matchwinner bejubelt). "Ich bin auch nur ein Mensch und versuche, Leistung zu bringen", so der vom Mittelfeld in die Abwehr verrückte 48-fache deutsche Nationalspieler. Nicht selten ging es "unter die Gürtellinie", wehrte er sich. Zurecht.
Klar: Der so erfahrene Defensiv-Spezialist hat sich bei seinem Foul in Mainz mächtig verschätzt. Die Rote Karte war verheerend für die Dortmunder, die ohnehin schon auf der letzten Rille spielen. Darum lässt sich nicht herumreden.
Dass Can sogleich wieder einmal seine Eignung als Kapitän des BVB abgesprochen wird, ist aber viel zu kurz gedacht. In der Kabine gilt er, trotz der jüngsten Kritik aus den eigenen Reihen, als unumstrittener Anführer, wie etwa der "kicker" zuletzt hervorgehoben hatte. Can habe zu allen Grüppchen im BVB-Kader einen guten Draht, zudem ist er eine wichtige Stütze für die vielen jungen Spieler. Auch sein Verhältnis zu Trainer Nuri Sahin ist gut.
Statt eines Kapitänswechsels braucht der Champions-League-Finalist vielmehr einen ausgewogenen Kader, der den Ansprüchen in der Bundesliga genügt. Schließlich wurden im Sommer fünf Abwehrspieler (Mats Hummels, Tom Rothe, Marius Wolf, Mateu Morey, Soumaila Coulibaly) abgegeben und nur zwei verpflichtet (Waldemar Anton, Yan Couto) - weshalb Emre Can plötzlich wieder in die Abwehrzentrale rücken musste.
Noch einmal: Der Kapitän ist nicht das Problem des BVB.