09.07.2006 23:00 Uhr

Italien zum vierten Mal Fußball-Weltmeister

Berlin (dpa) - Ausgerechnet in der schwersten Krise seiner Fußball-Geschichte ist Italien auf den Fußball-Thron zurückgekehrt. Dank ihrer Nervenstärke setzte sich die «Squadra Azzurra» im ersten europäischen WM-Finale seit 24 Jahren mit 5:3 im Elfmeterschießen gegen Frankreich durch.

Italien holte sich nach 1934, 1938 und 1982 zum vierten Mal das begehrte WM-Championat. Nach regulärer Spielzeit und Verlängerung hatte es 1:1 gestanden. Die Italiener, die erstmals ein Elfmeterschießen bei einem großen Turnier gewannen, haben nun hinter dem entthronten Weltmeister Brasilien (5) die meisten WM-Titel gesammelt. Den entscheidenden Schuss verwandelte Fabio Grosso, der schon gegen Deutschland getroffen hatte.

Vor 69 000 Zuschauern im ausverkauften Berliner Olympiastadion gelang der Mannschaft von Trainer Marcello Lippi trotz der Belastung durch den Fußball-Skandal im eigenen Land mit viel Glück die Revanche für die Endspiel-Niederlage bei der EURO 2000. Marco Materazzi (19. Minute) hatte für Italien ausgeglichen, nachdem Zinedine Zidane (7.) mit einem frechen Foulelfmetertor Frankreich in Führung gebracht hatte. Allerdings zerstörte sich Zidane seinen Traum vom perfekten Karriere-Ende selbst durch einen zurecht mit Rot geahndeten Kopfstoß gegen Materazzi (110.). «Zizou» fehlte auch bei der Siegerehrung.

«So eine große Freude habe ich noch nie gespürt. Das ist das Größte, was ein Sportler erleben kann. Wir sind alle überglücklich», jubelte Italiens Coach Marcello Lippi. Enzo Bearzot, der legendäre WM-Siegercoach von 1982, urteilte: «Diese Mannschaft hat den WM-Titel mehr verdient als Italiens drei anderen Sieger-Teams vorher.» Für Franz Beckenbauer war der Platzverweis der «Knackpunkt»: «Zidane hat seine Mannschaft entscheidend geschwächt», sagte der OK-Chef. «Zidane wird dem Fußball fehlen, heute hat er uns in den letzten Minuten gefehlt», urteilte Frankreichs enttäuschter Coach Raymond Domenech. «Wir haben das Spiel nicht verloren, denn ein Elfmeterschießen ist wie ein Unentschieden.»

Jeder WM-Held erhält für den in der Heimat euphorisch gefeierten Triumph 250 000 Euro Siegprämie. Zur Titelparty flogen die Gewinner noch am Abend in ihr Duisburger WM-Quartier zurück. Mit an Bord war auch der aus 18-karätigem Massiv-Gold bestehende und vom Italiener Silvio Gazzaniga 1970 in Mailand kreierte WM-Pokal. Ihn nahm Kapitän Cannavaro um 23:01 Uhr von Bundespräsident Horst Köhler entgegen.

Fünf Tage nach dem 2:0-Erfolg über den WM-Dritten Deutschland ließ Marcello Lippi in seinem 29. Länderspiel als Italiens Coach seine Elf erstmals in unveränderter Formation beginnen. Und obwohl beide Teams wie fast immer nur mit einer Sturmspitze agierten, entwickelte sich bei sommerlichen Temperaturen von 28 Grad statt des befürchteten taktischen Abtastens zunächst eine tempogeladene, später dann aber doch eine an Ereignissen recht arme Partie auf mäßigem Niveau.

Allerdings führte gleich der erste gefährliche Angriff der ganz in weiß gekleideten «Blauen» zum Strafstoß, den Materazzi an Malouda verursachte: Zidane nutzte die Chance im 785. und letzten Spiel als Profi zu einem spektakulären Treffer: Sein lässiger Schlenzer prallte von der Lattenunterkante nach unten, aber klar hinter der Linie auf. Damit ist die französische Fußball-Ikone nach Pelé, Vava und Paul Breitner der vierte Spieler, der in zwei WM-Endspielen als Torschütze in Erscheinung trat. Er beendete so die Serie von Gianluigi Buffon, der nach 460 Minuten erstmals wieder hinter sich greifen musste.

Die Italiener hatten zunächst Glück, dass Materazzi Sagnols Schuss ans Außennetz lenkte (9.), steckten danach aber den ersten Rückstand bei dieser WM cool weg. Und ausgerechnet Materazzi machte seinen Fehler wett, als er Andrea Pirlos Eckball zum Ausgleich einköpfte (19.). Es war das zweite Turnier-Tor des Nesta-Vertreters. Danach beruhigte sich das Match wieder, der Spielfluss ging etwas verloren.

Das lag auch daran, dass die Spielmacher Zidane und auf der anderen Seite Francesco Totti von ihren Gegenspielern wirkungsvoll bekämpft wurden. Die aggressiveren Italiener blieben aber vor allem bei Standards gefährlich: So hatte erneut nach einer Pirlo-Ecke Luca Toni das 2:1 auf dem Kopf, doch der Stürmer traf nur die Latte (36.).

Nach dem Wiederanpfiff drückten die Franzosen deutlich mehr auf das Tempo und stellten die von Cannavaro in dessen 100. Länderspiel organisierte Hintermannschaft durch Thierry Henry (46./50./60.) nach Sololäufen drei Mal vor Probleme. Auch Zidane riss das Spiel mehr und mehr an sich. Dagegen war Totti bei Claude Makelele total abgemeldet, so dass Lippi den Star nach gut einer Stunde sogar gegen Vicenzo Iaquinta auswechselte.

Immerhin setzte nun der starke Pirlo ab und zu Akzente. Sein 30- Meter-Freistoß - Italiens erste nennenswerte Chance nach der Pause - strich nur knapp am Gehäuse von Fabien Barthez vorbei (77.). Bei den Italienern machte sich der Kräfteverschleiß aus dem Deutschland-Spiel bemerkbar, doch ihnen blieb die Verlängerung erneut nicht erspart. Immerhin behielten diesmal alle italienischen Elfmeterschützen die Nerven, während David Trezeguet für Frankreich nur die Latte traf.

Für diverse Profis aus beiden Nationalteams könnte es allerdings schon Anfang der Woche ein böses Erwachen aus dem WM-Traum geben. Denn nunmehr für den 11. Juli haben die Juristen erste Urteile im italienischen Fußball-Skandal angekündigt. Insgesamt acht Akteure, fünf Italiener und drei Franzosen, stehen bei Rekordmeister Juventus Turin unter Vertrag, dem der Zwangsabstieg in die 3. Liga droht.