01.11.2013 17:45 Uhr

Lienen exklusiv: "Ganze Ligen werden zusammenbrechen"

Ewald Lienen wird Trainer beim rumänischen Erstligisten Otelul Galati
Ewald Lienen wird Trainer beim rumänischen Erstligisten Otelul Galati

Vor dem griechischen Derby zwischen Panathinaikos und Olympiakos Piräus (Samstag, 18:30 Uhr im weltfussball-Liveticker) blickt Ewald Lienen im Gespräch mit weltfussball auf seine Zeit in Griechenland zurück. Der Fußball-Lehrer über die Lage des griechischen Fußballs, wirtschaftliche Probleme ganzer Ligen und das Problem Pyrotechnik.

weltfussball: Herr Lienen, Sie haben insgesamt drei Jahre lang in Griechenland gearbeitet, wurden dort unter anderem 2007 zum "Trainer des Jahres" gewählt - war es alles in allem eine schöne Zeit?

Ewald Lienen: Es war auf jeden Fall hochinteressant. Ich habe sehr viele schöne Dinge erlebt, aber es waren natürlich auch Sachen dabei, die nicht gerade angenehm waren. Trotzdem sind es sehr, sehr gute Erfahrungen gewesen, die mir sehr viel gegeben haben.

weltfussball: Gibt es rückblickend etwas, das Sie besonders vermissen?

Ewald Lienen: Griechenland ist ein wunderschönes Land. Ob es das Festland oder die Inseln sind. Die klimatischen Bedingungen sorgen dafür, dass man das ganze Jahr über so trainieren kann, wie man möchte. Die Lebensqualität ist schon eine besondere. Wenn ich etwas vermisse, dann die Arbeit mit talentierten, jungen Leuten innerhalb eines gut organisierten Vereins.

Alle Stationen von Ewald Lienen als Spieler und Trainer auf einen Blick

weltfussball: Worin unterscheidet sich der Fußball in der Superleague von dem in den großen europäischen Ligen?

Ewald Lienen: Fußball ist Fußball. Griechenland hat eine ordentliche Liga, die man mit Ligen in anderen Ländern vergleichen kann, aber natürlich nicht mit dem Fußball in Deutschland, England, Spanien oder Italien. In den letzten zwei, drei Jahren ist das Niveau nicht mehr so hoch, weil sich die finanziellen Bedingungen rapide geändert haben. Vor einigen Jahren hatte man immer drei, vier richtig gute Mannschaften und ein, zwei kleinere Vereine, die in diese Phalanx eingedrungen sind. So wie wir damals mit Panionios. Das ist weggebrochen. Fast alle Vereine haben riesengroße ökonomische Probleme und sind nicht mehr in der Lage, gute Spieler zu verpflichten.

weltfussball: Wie ist die sportliche Situation heute?

Ewald Lienen: Im Moment gibt es eigentlich nur zwei Mannschaften, die sich sehen lassen können. Das sind Olympiakos Piräus und PAOK Saloniki. Das hängt mit der Finanzkraft zusammen. Olympiakos spielt dauerhaft in der Champions League und PAOK hat im Sommer 2012 einen Investor bekommen. In diesem Sommer waren sie in der gleichen Situation wie wir mit AEK Athen, als wir im Grunde genommen pleite waren. Wenn der Investor den Verein nicht übernommen hätte, hätten sie wahrscheinlich den gleichen Weg nehmen müssen, den AEK nehmen musste.

weltfussball: Anfang des Jahres wurde ein TV-Bericht über ihre Arbeit in Athen ausgestrahlt. Dort hieß es, die Spieler hätten Mühe gehabt, ihre Miete zu zahlen und konnten sich keine drei Mahlzeiten am Tag leisten.

Ewald Lienen: Das war nicht überall so, aber das war bei uns und in drei, vier anderen Vereinen der Fall. Als ich dort hingekommen bin, hatten sie zwei Punkte auf dem Konto. Wir haben dann 30 Punkte unter Bedingungen geholt, die wir hierzulande nur als abenteuerlich und schockierend bezeichnen würden. Trotzdem waren wir erfolgreich, weil wir alles dafür getan haben, um es zu schaffen. Das mit Spielern, die quasi Drittligaformat hatten, monatelang nicht bezahlt wurden und zusehen mussten, wie sie überleben. Das ist ungeheuerlich, was da abgelaufen ist. Am Ende des Tages wollte der Verein sogar absteigen, um seine Schulden loszuwerden. Deswegen wurde (gegen Panthrakikos, Anm. d. Red.) das Spielfeld gestürmt und der Punktabzug provoziert.

weltfussball: Am Samstag kommt es zum Duell zwischen Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen. Lässt sich dieses Spiel mit anderen Derbys vergleichen?

Ewald Lienen: Warum soll man das nicht vergleichen können? In Griechenland ist es sicherlich etwas Besonderes, weil die Entfernung zwischen den beiden Vereinen so gering ist. In Athen ist im Prinzip jedes Spiel ein Derby. Was nicht so schön ist: Früher waren diese Duelle auf Augenhöhe, das ist nicht mehr der Fall. Panathinaikos hat in den letzten anderthalb Jahren fast die komplette Mannschaft verloren. Sie haben ein paar gute Leute halten können und einige gute Spieler wie Marcus Berg, Danijel Pranjic, Mendes da Silva oder Gordon Schildenfeld verpflichtet. Sie können schon noch eine gute Mannschaft stellen, sind aber nicht mehr auf Augenhöhe mit Olympiakos. Das ist das Erste.

weltfussball: Und das Zweite?

Ewald Lienen: Das Zweite ist, und das ist wirklich schade, dass dort Fangruppierungen existieren, die erbarmungslos aufeinander eingeschlagen. Da können immer irgendwelche Dinge passieren. Deshalb finden diese Derbys oft unter Ausschluss der gegnerischen Fans statt. Wenn Panathinaikos zu Hause gegen Piräus spielt, ist nicht ein einziger Fan von Olympiakos im Stadion und umgekehrt. So etwas macht den Fußball letzten Endes natürlich kaputt. Es kommen generell schon nicht mehr so viele Zuschauer und dann werden die gegnerischen Fans auch noch ausgesperrt. Durch die unglaubliche ökonomische Krise herrscht großer Frust. Da kann es sogar passieren, dass die Fans ihr eigenes Stadion demolieren. Die Polizei wird auf jeden Fall Hochalarm haben.

Bildershow: Panathinaikos vs. Olympiakos: "Die Mutter aller Schlachten"

weltfussball: Glauben Sie, dass Griechenlands Fußball durch die Wirtschaftskrise besonders gefährdet ist?

Ewald Lienen: Ich glaube, dass der Fußball wie wir ihn im Moment kennen generell gefährdet ist. Wir sind in einer Situation, wo in einigen Jahren ganze Ligen zusammenbrechen, weil sie kein Geld mehr haben. Das ist kein Exklusivproblem von Griechenland. Diese Tendenz existiert überall und nirgendwo.

weltfussball: Kommen wir zu einem Thema, das derzeit in Deutschland heiß diskutiert wird: der Einsatz von Pyrotechnik. In Griechenland scheint dies gang und gäbe zu sein. Wird das Thema bei uns überdramatisiert oder in anderen Ländern verharmlost?

Ewald Lienen: Ich habe das immer befürwortet, aber nur in dem Moment, in dem man es organisatorisch so hinbekommt, dass man ohne jede Gefährdung solche Pyros in einem geschützten Raum abbrennen kann. Mitten auf der Tribüne, da gibt es überhaupt keine Diskussion, das ist ein Unding. In Griechenland ist es auch nicht erlaubt. Der Verband schickt den Vereinen für jedes Pyro eine Rechnung. Aber das interessiert die Fans überhaupt nicht und der Polizei ist das egal. Sie will sich nicht in die Nesseln setzen.

weltfussball: Sie feiern in wenigen Tagen ihren 60. Geburtstag. Vorab gratulieren darf man nicht, daher die Frage: Dürfen wir uns Hoffnungen auf ein baldiges Comeback von Ihnen machen?

Ewald Lienen: Was heißt Comeback? Comeback würde ja bedeuten, dass ich schon mal aufgehört hätte. Aber scheinbar ist es in Deutschland so, dass man jetzt 40 Jahre alt sein und aus dem Mitgliedsbereich eines Bundesligaklubs kommen muss. Es ist ein bisschen merkwürdig, was hier abläuft. Ob ich jetzt einen Job in Deutschland annehmen werde, weiß ich nicht. Ich bin auf jeden Fall bereit und offen für eine neue Aufgabe.

 

Interview: Christian Schenzel