24.01.2014 11:42 Uhr

Argentinier erobern Primera División

Barça und Atlético stehen jeweils unter der Leitung eines argentinischen Trainers punktgleich an Spaniens Tabellenspitze. Auch Betis setzt nun auf einen „Gaucho“. Anlass für weltfussball, sich auf die Spurensuche nach dem „argentinischen Stil“ zu begeben - wenn es ihn denn geben sollte.

„Betis zu trainieren ist mein Lebenstraum“, so Gabriel Humberto Calderón bei seinem Amtsantritt am vergangenen Montag. Der Argentinier streifte als Spieler selbst vier Jahre lang das grün-weiße Betis-Trikot über. Daher ist die Mammutaufgabe den Tabellenletzten der Primera División vor dem Abstieg zu bewahren für ihn eine Herzensangelegenheit: „Ich bin gekommen, um für die Rettung des Vereins mein Leben zu geben.“

Betis setzt mit der Verpflichtung Calderóns auf einen argentinischen Trainer, der als Spieler selbst für den Verein aktiv war und sich darum besonders mit den eigenen Farben identifiziert. Damit folgt der Traditionsverein dem Erfolgsmodell von Atlético Madrid, das dank Diego Simeone punktgleich mit dem FC Barcelona an der Tabellenspitze steht. Simeones Geheimrezept: „Ich weiß, was der Atlético-Fan will. Leidenschaft und soliden Fußball.“ Aber versteckt sich hinter dem Modell-Simeone tatsächlich das, was man als argentinischen Stil bezeichnen könnte?

Was ist typisch argentinisch?

Argentinien ist ein Einwanderungsland, weshalb es keine landestypische Art und Weise Fußball zu spielen gibt. Die Argentinier selbst unterscheiden traditionell zwei Stile. Auf der einen Seite den „estilo criollo“, die hispanoamerikanische Spielweise, wie ihn die Söhne italienischer und spanischer Einwanderer pflegten. Auf der anderen Seite den „estilo británico“, den britischen Stil, wie ihn die Nachfahren britischer Einwanderer praktizierten.

Eleganz und großes Improvisationsvermögen charakterisieren den „estilo criollo“. Der „estilo británico“ hingegen basiert auf körperlicher Stärke und Taktik. Die zur Zeit punktbesten Teams der Primera División, der FC Barcelona und Atlético Madrid, verkörpern diese beiden Philosophien in Perfektion. Beide „argentinische“ Spielsysteme könnten jedoch nicht unterschiedlicher sein.

Aus einer tiefstehenden Abwehr zum Erfolg

„In der Spielweise von Atlético spiegelt sich Simeones Charakter und seine Siegermentalität wieder“, so Luciano Spalletti, Coach von Zenit St. Petersburg, der mit seinem Team in der Champions League gegen Atlético antreten musste. Der Argentinier verlangt von jedem einzelnen seiner Spieler stets viel Körpereinsatz. Einzelaktionen sollen vermieden werden. Atléticos Erfolg basiert auf einem starken, eingespielten Kollektiv.

Diego Simeone ist in der Primera División der Trainer, der am wenigsten rotiert und am spätesten auswechselt. Dabei vertraut er einer gut abgestimmten, tiefstehenden Abwehr. Wohl ein Überbleibsel aus seiner Zeit bei Lazio Rom in Italien. Bei Ballgewinn geht es dann über die Mittelfeld-Schaltzentrale Koke schnell und vertikal in die Spitze. Zudem kann sich der Argentinier in dieser Saison auf die perfekte Ausführung von Standards verlassen, welche in langen Taktikeinheiten einstudiert wurden. Allein im Januar erzielten die „Rojiblancos“ vier von sechs Toren nach einstudierten Eckballvarianten. Das Atlético des Latinos Diego Simeone kommt also ganz schön „britisch“ daher.

Hoch stehen, hoch spielen

„Meine Idee von Fußball definiert sich über den Ballbesitz. Frühes Pressing mit vielen Spielern in der gegnerischen Hälfte. Auch die Abwehrspieler sollen weit mit aufrücken und auch mal 40 Meter zwischen sich und dem eigenen Torwart in Kauf nehmen“, sagte Gerado Martino einst in einem Interview lange bevor er Trainer in Barcelona wurde. Die Vorstellungen des Argentiniers von modernem Fußball passen gut zur Barça-Philosophie. Dennoch sah er an der ein oder anderen Stelle Verbesserungspotenzial.

Denn in dieser Saison wirkte das Barça-Spiel durch viele Querpässe oft zu statisch: „Das Team lässt den Ball gut laufen, hat aber im Moment des Ballgewinns zu wenige Anspielstationen. Daher müssen wir die Laufwege aller Spieler besser aufeinander abstimmen, um schneller nach vorne spielen zu können“, erklärt Martino seine Auffassung von Vertikalität. Er arbeitet in zahllosen Einzelgesprächen und endlosem Einüben von Spielabläufen an der Verbesserung des Umschaltspiels. Dabei ist der lange hohe Pass ein probates Mittel zum schnellen Überbrücken des Mittelfelds. Unter Guardiola und Villanueva waren Flugbälle eher die Ausnahme.

Schien Barça am Mittwoch im Pokal gegen Levante in Halbzeit eins noch in alte Muster zu verfallen, funktionierte das Umschalten von Defensive auf Offensive in Hälfte zwei hervorragend. Natürlich braucht es Spieler mit dem besonderen Improvisationsvermögen wie Lionel Messi, um Pässe in die Spitze optimal an den Mann zu bringen. Doch auch die Laufwege von Cristian Tello, der alle drei Zuspiele verwertete, erschienen gut auf ein schnelles Umschalten abgestimmt.

„Criollo“ oder „Británico“ - Wer holt den Titel?

Im direkten Aufeinandertreffen zwischen Atlético und Barça am 19. Spieltag egalisierten sich beide Spielsysteme weitestgehend (Endstand 0:0). Und so steht zum jetzigen Zeitpunkt noch in den Sternen, ob am Ende der Saison der hispanoamerikanische über den britischen Stil triumphiert oder andersrum. Schließlich hat auch Real Madrid nach der Punkteteilung im Titelrennen wieder ein Wörtchen mitzureden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein argentinischer Trainer in dieser Saison in Spanien den Titel holt, liegt momentan bei rund 66 Prozent.

Thomas Malzacher