29.05.2015 12:41 Uhr

FC United of Manchester: Fuck the system

Meet the owners: Triff die Besitzer. Die Anhänger des FC United sind gleichzeitig deren Eigentümer
Meet the owners: Triff die Besitzer. Die Anhänger des FC United sind gleichzeitig deren Eigentümer

Kampf dem Kommerz: Der Protestverein FC United of Manchester stieg letzten Monat in die sechste englische Liga auf. Gegründet im Pub und gebrandmarkt als Rebellen, wollen sie vor allem eins: einfach nur Fußball spielen.

Zu Tausenden werden die Anhänger von United die Tribünen füllen, wenn Benfica Lissabon am Freitagabend zu einem Freundschaftsspiel nach Manchester reist. Die Eintrittskarten für das Event sind seit langem ausverkauft. Springend und singend werden die Fans in rot-weiß bei diesem Meilenstein in der Geschichte des Vereins die Grundfeste des Stadions bis an seine Grenzen strapazieren.

Doch nach Wayne Rooney, Robin van Persie oder Radamel Falcao sucht man auf dem Platz vergeblich: Im Old Trafford bleibt es heute totenstill. Die Partie des portugiesischen Rekordmeisters gegen einen frischgebackenen Sechstligisten findet im Broadhurst Park statt, dem neuen Zuhause des FC United of Manchester.

Englandweit ist der FC United als Protestverein bekannt geworden, wird auch "Red Rebels" genannt. Der Klub hat eine so wunderbar bodenständige Entstehungsgeschichte, wie sie im 21. Jahrhundert kaum noch vorstellbar schien und jedem Fußballromantiker das Herz aufgehen lässt.

"Haben die Schnauze voll"

Nachdem eine Gruppe von Manchester United Fans sieben Jahre zuvor die Übernahme der Red Devils noch abwehren konnten, waren sie bei der Akquisition durch den Geschäftsmann Malcolm Glazer machtlos. Die Enttäuschung trieb sie dazu, ihren eigenen Verein zu gründen. Enttäuschung über die zunehmende Kommerzialisierung im Fußball, die Entfremdung zwischen Verantwortlichen, Spielern und Fans, den englischen Ligaverband und eine generelle Ernüchterung darüber, was aus ihrem Sport geworden war. Glazer war letzten Endes nur der entscheidende Schritt zu weit.

Eines der Gründungsmitglieder, Luc Zentar, formulierte kurz nachdem der FC United ins Leben gerufen wurde das Gefühl, das in so vielen Fußballfans in Manchester vorherrschte: "Ich habe die Schnauze voll vom Fußball und dem, was daraus geworden ist: Das Geld, die Arroganz, die fehlende Verbindung zwischen Spielern und Fans. Die Art und Weise in der wir, die Unterstützer, behandelt werden, dieses Gestapo-ähnliche Umfeld. Ich will nicht akzeptieren, dass es 50 Euro kostet, um in ein Stadion ohne Atmosphäre zu gehen: Wo du nicht stehen darfst, nicht schreien, nicht furzen, nicht mal mit deinen Freunden zusammensitzen."

Making friends, not millionaires

Und wo junge Männer 150.000 Euro die Woche bekommen, um gegen einen Ball zu treten. Also setzte man sich zusammen und sinnierte über die Möglichkeit eines neuen Manchesters. Zuerst, wie es sich für Briten gehört, in einem Pub. Später in einem Restaurant und dann in einem Versammlungszentrum der Gemeinde. Schritt für Schritt erarbeiteten sich die gefrusteten Anhänger ein Vereinsmanifest, definierten ihre Philosophie. Die Struktur des FC United of Manchester ist streng basisdemokratisch, jede Entscheidung wird nach dem Prinzip "Ein Mitglied - eine Stimme" getroffen.

Zudem ist der Verein für jedermann zugänglich und will in seiner Arbeit eine enge Verbindung mit der Gemeinde aufbauen. Dazu gehören Integrationseinrichtungen für Einwanderer und sozial schwache Familien, sowie die Mitbenutzung des neuen Trainingsgeländes durch lokale Nachwuchsteams.

Die Kommerzialisierung bleibt das Feindbild der "Red Rebels", die sich gegen selbige in ihren Statuten aussprechen und sich verpflichtet haben, jeglichen Überschuss an Einnahmen in die Stabilisierung der Gemeinde fließen zu lassen. Sponsoren sind erlaubt, ja sogar überlebenswichtig, erkaufen sich durch ihre Unterstützung aber keinerlei Entscheidungskompetenz. Durch den Mitgliedsbeitrag von 16 Euro im Jahr erwirbt jedes Mitglied den gleichen Anteil am Verein. Bei Dauerkartenpreise gilt: "Jeder zahlt, was er kann." Im Schnitt werden pro Partie 10 Euro Eintritt gezahlt.

Fußball, wie er sein sollte

Seit seiner Gründung hat der FC United in der Regel um die 3000 Zuschauer. Vergangenen Monat sicherten sich die Rebellen aus Manchester die Meisterschaft und damit den Aufstieg in die sechste englische Liga, nachdem man mehrere Jahre in der Siebtklassigkeit fest hing. Trotzdem hielt der gesamte Klub in dieser Zeit an Trainer Karl Marginson fest. Der ehemalige Fußballprofi betrieb einen Gemüsehandel, bevor er 2005 die Übungsleitung bei FCUM übernahm und seine Spieler auch anhand von Einstellung und Benehmen auswählt. Angesprochen auf die Zukunft erklärte er: "Die vierte Liga ist möglich. Die meisten Klubs würden alles geben, um unseren Support zu haben. Es wird für uns schwierig, aber wir haben bewiesen, dass wir mit Herausforderungen umgehen können."

Aus der einstigen Protestbewegung ist etwas gewachsen, das sich die enttäuschten Anhänger nicht zu erträumen wagten, als sie vor über zehn Jahren von ihrer ehemaligen großen Liebe vor den Kopf gestoßen wurden. Der FC United ist mehr als nur ein Hort für Nostalgiker und Fahnenflüchtige. Er ist Kampf gegen ein System, das die Menschen irgendwo zwischen millionenschweren Teenagern und horrenden Ticketpreisen verloren hat. Er ist so, wie der Fußball sein sollte: Laut, dreckig, ehrlich, für alle da. Und er ist gleichzeitig der Beweis einer Alternative zum zweifelhaften Glamour der Premier League.

Von Fans für Fans

Die Liebe und Aufopferung der Anhänger und Mit-Besitzer des FC United findet im Eröffnungsspiel des neuen Stadions, das 5000 Zuschauer fassen wird und auch Stehplätze vorsieht, ihren vorläufigen Höhepunkt. Einen großen Teil der knapp sechs Millionen Euro an Baukosten haben die Fans selbst aufgebracht, der Rest kommt aus Geldern der Stadt und von Sponsoren, die es gut mit dem Klub halten. Bei einem Testspiel auf dem neuen Rasen zwischen aktuellen und alten Akteuren der "Red Rebels" beginnt eine Frau am Spielfeldrand hemmungslos zu weinen. Auf die Frage, warum, antwortete sie mit einiger Verzögerung: "Weil ich nicht glauben kann, dass wir aus so viel Wut und Hass etwas so Gutes und Schönes geschaffen haben."

Und wenn sich die Anhänger am 29. Mai freudestrahlend in den Armen liegen und ihr Team beim ersten Duell im Broadhurst Park lauthals nach vorne peitschen, wird mit Sicherheit wieder einer der Klassiker unter den Fangesängen der Rot-Weißen erklingen: "Glazer wherever you may be, you bought Old Trafford but you can’t buy me."

Kevin Brüssel