09.07.2015 13:00 Uhr

Miguel Herrera: Zum Siegen verdammt

Miguel Herrera ist bei den mexikanischen Fans eine Kultfigur
Miguel Herrera ist bei den mexikanischen Fans eine Kultfigur

Formkrise, verletzte Schlüsselspieler, kurzfristige Systemumstellung hin oder her: Für Mexikos Nationaltrainer Miguel Herrera zählt beim Gold Cup nur der Titel. Alles andere wäre ein "Versagen" - und wohl sein Aus. 

Solche Emotionen braucht der Fußball! Der ist doch völlig verrückt! Absolut überzogen! Bei Mexikos Nationaltrainer Miguel Herrera streiten sich die Geister. Eines ist er jedoch auf jeden Fall: ungewöhnlich.

Im vergangenen Jahr haben Fans auf der ganzen Welt dem Energiebündel bei der WM dabei zugesehen, wie er die Außenlinie auf- und abgerannt ist, gebrüllt und mit teilweise wahnsinnig wirkendem Mienenspiel gejubelt hat.

Innerhalb kürzester Zeit wurde der Coach, der bei seiner Nominierung im November 2013 ursprünglich nur als Interimslösung eingeplant war, zum Social-Media-Phänomen. Im Internet machten Videos von Ausrastern oder Brutalo-Fouls aus seiner Zeit als aktiver Spieler die Runde, zahlreiche Memes wurden verbreitet. Herrera wurde zur Kultfigur.

Seine Emotionalität und die überraschend starken Leistungen bei der WM sorgten dafür, dass Verantwortliche und Fans Herrera verfielen. Für zwölf Monate war "El Piojo" (die Laus) in Mexiko ein Volksheld, er schien unantastbar.

Im Kreuzfeuer der Kritik

Mittlerweile hat sich der Wind gedreht. Vor dem Gold Cup ist der Job des 47-Jährigen alles andere als sicher. Bei einer Pressekonferenz vor knapp zwei Wochen wurde er dreimal danach gefragt, ob er im Falle eines verpassten Titelgewinns gefeuert werden würde. Zunächst wich Herrera noch aus. Letztlich antwortete er aber doch: "Es war doch schon immer so, dass man an Erfolgen gemessen wird. Ich weiß, wie heiß dieser Stuhl hier sein kann. Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, hat der Trainer immer mindestens eine Mitschuld daran."

Zuletzt haben die Ergebnisse in der Tat nicht gestimmt. Sieben Spiele ist El Tri nun schon sieglos. Der Auftritt bei der Copa América in Chile war ein Armutszeugnis. Mit zwei Punkten schied man sang- und klanglos in der Gruppenphase aus. Zwar hatte Herrera mit Blick auf den bevorstehenden Gold Cup einen B-Kader ins Rennen geschickt, die Art und Weise gab aber zu denken.

Nach dem Ausscheiden räumte der Trainer ein "Versagen" ein: "Wir haben nicht verstanden, wie wir spielen wollen. Wir hatten keine Energie, kein System und keinen klaren Plan." Die Kritiker stürzen sich natürlich auf dieses Zitat. Plan, System, Engagement – das zu vermitteln, ist das Kerngeschäft des Trainers, egal ob mit B- oder A-Mannschaft. Mit seiner ersten Kapelle muss er nun abliefern. Den Spagat, auf beiden Turnieren mit unterschiedlichen Kadern viel zu erreichen, hat er nicht geschafft. Jetzt hat er nur noch eine Patrone im Lauf. Der ohnehin schon große Druck auf Herrera, den Gold Cup nun unbedingt gewinnen zu müssen, hat sich dadurch noch erhöht.

Confed Cup als Anreiz

Zusätzlich zur natürlichen Zielsetzung des Rekordsiegers (sechs Titel, die USA hat fünf) kommt in diesem Jahr noch ein weiterer Anreiz: die Qualifikation für den Confed Cup. Nachdem die USA den Pokal 2013 gewinnen konnte, würde ein Turniersieg einer anderen Mannschaft in diesem Jahr bedeuten, dass es Playoffs um die Teilnahme gäbe.

Hierzulande stellt man das Prestige des WM-Vorturniers häufig infrage, in Nordamerika ist der Stellenwert deutlich größer: "Der Verband will unbedingt, dass wir die Qualifikation schaffen. Wir müssen beim Confed Cup dabei sein", sagt Herrera.

Zumindest auf dem Papier ist die Ausgangsposition günstig. Zählt man neben Mexiko die USA und Costa Rica zu den Turnierfavoriten, hat El Tri den vermeintlich einfachsten Weg ins Finale. In einer Gruppe mit Kuba, Guatemala und Trinidad & Tobago ist man haushoher Favorit. Sollte alles "normal" laufen, käme ein Duell mit einem der beiden anderen Schwergewichte erst im Finale in Frage.

(Fast) komplett neuer Kader

Dahin führen soll der Weg mit dem bestmöglichen Personal. Die geschonten Leistungsträger wie Ochoa, dos Santos oder Vela sind wieder mit an Bord. Mit dem 22-jährigen Flügelflitzer Jesús Corona ist nur ein Spieler dabei, der auch im Copa-América-Kader stand – für Kritiker einer der wenigen Lichtblicke in Chile.

Kurz vor Turnierbeginn erreichten den Trainer jedoch noch die Absagen zweier Leistungsträger. Javier "Chicharito" Hernández (Schlüsselbein) und Héctor Moreno (rechter Fuß) fallen verletzungsbedingt aus.

Besonders der Ausfall Morenos hat Folgen. Denn er bedingt einen Systemwechsel: Im von Herrera präferierten 5-3-2 hatte der 27-Jährige eine Schlüsselrolle inne. Als zentraler Organisator ist er für seinen Trainer nicht zu ersetzen. Stattdessen stellte dieser seine Mannschaft im Training zuletzt auf ein 4-4-2 ein.

Ein netter Nebeneffekt des Systemwechsels ist eine größere Dominanz im Mittelfeld: "In diesem Turnier haben wir Spieler mit viel besseren Fähigkeiten am Ball dabei. Ich denke, mit der Viererkette und dem Vierermittelfeld können wir unsere Stärken besser ausspielen", sagte Herrera in der Abschluss-Pressekonferenz, in der er unüblicherweise sogar schon seine komplette Startelf preisgab.

"Immer Favorit"

Im ersten Spiel trifft Mexiko auf Kuba – natürlich als haushoher Favorit. Für Kapitän Andres Guardado ist dies aber nichts Neues: "Wenn du das Mexiko-Trikot anziehst, bist du immer Favorit. Und dann musst du immer alles aus dir herausholen, um immer zu gewinnen."

Nach sieben Spielen ohne Sieg muss für El Tri beim Auftakt in den Gold Cup zwingend ein Erfolgserlebnis her. Für Mexiko und Miguel Herrera gibt es beim Gold Cup nämlich nur eine Wahrheit: "Wenn wir das Turnier nicht gewinnen, haben wir versagt."

Es wäre das zweite Versagen innerhalb weniger Wochen. Und dann wohl ein Versagen zu viel für die Kultfigur Herrera.

Mehr dazu:
>> Wer spielt wann gegen wen? Der Spielplan des Gold Cup
>> Mexiko, USA, Mexiko, USA: Die Siegerliste des Gold Cup
>> Wer ist dabei? Wer fehlt? Der mexikanische Kader

Jochen Rabe