07.07.2018 19:11 Uhr

WM 1978: Finaleinzug gegen Getreidesack

Die entscheidende Szene: Zico nickt gegen Schweden in der 90. Minute zum vermeintlichen 2:1 ein
Die entscheidende Szene: Zico nickt gegen Schweden in der 90. Minute zum vermeintlichen 2:1 ein

Deutsche Fußballfans verbinden die WM 1978 in erster Linie mit der "Schmach von Córdoba". Die wirklichen Skandale spielten sich aber in Mar del Plate und Rosario ab. Leidtragende waren die Brasilianer, die sicher sind: Diese WM wurde gekauft!

Irgendwie sorgt jede Weltmeisterschaft für Einträge in die Geschichtsbücher. Seien es kuriose Momente, historische Triumphe oder scheinbar ewige Rekorde. Selbstverständlich auch die WM 1978 in Argentinien, die in Deutschland nicht in allzu guter Erinnerung geblieben ist. Bei unseren Freunden in Österreich darf sie dagegen in keinem Rückblick fehlen.

Doch so schön der Erfolg für Österreich in Córdoba auch war, die eigentliche Geschichte dieses Turniers wurde von anderen Protagonisten geschrieben. Dabei begannen die Diskussionen rund um diese Endrunde bereits bei der Vergabe selbst. Obwohl in Argentinien seit dem Putsch 1976 eine Militärjunta die Fäden im Landesinneren in der Hand hatte, erhielten die Südamerikaner den Zuschlag.

Schieds- und Linienrichter im Mittelpunkt

Den ersten sportlichen Aufreger erlebten die Fans bereits im Auftaktspiel Brasiliens. In der Gruppe duellierten sich die Schweden mit der Elf von Coach Claudio Coutinho. Bis kurz vor Schluss deutete alles auf eine Punkteteilung hin. In der 90. Minute bekam der bis dahin bereits dreifache Weltmeister aber noch einen Eckball zugesprochen. Die große Chance zum Last-Minute-Sieg.

Nelinho brachte das Leder an der Eckfahne in Position. Dies sorgte allerdings für Missmut beim Linienrichter, der das Spielgerät daraufhin höchstpersönlich noch einmal verlegte. Es verstrichen einige Sekunden, die der walisische Schiedsrichter Clive Thomas dazu nutzte, dem schwedischen Schlussmann Ronnie Hellström ein paar Wörter ins Ohr zu flüstern - als wollte er ihm mitteilen, dass sich der Keeper keine Sorgen machen muss.

Ecke, Abpfiff, Tor

Der Eckball wurde ausgeführt, Zico kam im Fünfmeterraum mit dem Kopf an den Ball und drückte ihn über die Linie. 2:1 für Brasilien – der Siegtreffer in letzter Sekunde. Aber noch bevor sich eine gelb-blaue Jubeltraube bilden konnte, folgt die große Ernüchterung. Die Seleção hatte die Rechnung ohne Referee Thomas gemacht. Dieser pfiff nach exakt 90 Minuten und acht Sekunden ab, Millisekunden bevor Zico an die Kugel kam.

Während die Spieler Brasiliens protestierten, zeigte der Waliser lediglich auf seine Uhr, deutete an, dass die Partie bereits abgepfiffen war und verließ ohne weiteren Kommentar das Spielfeld. Ein Wimpernschlag zwischen Tor und Nicht-Tor, den es ohne den Eingriff des Linienrichters nicht einmal gegeben hätte.

Von einer Farce zur nächsten

Während sich Coutinho noch über den "Unparteiischen" echauffierte ("Unglaublich, so etwas habe ich noch nicht erlebt"), ahnte der südamerikanische Coach noch nicht, was im weiteren Turnierverlauf folgen sollte. Brasilien schloss die Gruppe punktgleich mit Tabellenführer Österreich ab und rutschte dadurch in der Zwischenrunde in den gleichen Topf wie Argentinien.

Die Gauchos gewannen ihre Auftaktpartie in der zweiten Gruppenphase mit 2:0 gegen Polen, Brasilien seinerseits sogar mit 3:0 gegen Peru. In der zweiten Runde trennten sich die beiden Rivalen in der "Schlacht von Rosario" torlos. Somit fand die Entscheidung um den Finaleinzug am letzten Spieltag statt.

Getreidelieferung gegen Finaleinzug

Das normale Prozedere wäre hierbei die gleichzeitige Ausrichtung beider Gruppenspiele gewesen. Doch zur Verwunderung der Fußball-Welt wurde die Partie zwischen den Gastgebern und Peru auf den Abend datiert, während Brasilien bereits am Nachmittag gegen Polen (3:1) antreten musste. Somit wussten die Hausherren bereits beim Anpfiff, welches Ergebnis sie für ein Weiterkommen erzielen mussten – einen Sieg mit vier Toren Unterschied.

Letztlich wurde es in Rosario sogar ein 6:0-Erfolg über desolate Peruaner. Heute deutet vieles darauf hin, dass die Partie per Getreidelieferung an den peruanischen Staat durch Argentiniens Militärjunta erkauft worden ist. Brasilien blieb, ohne ein Spiel bei dieser Weltmeisterschaft verloren zu haben, lediglich das Match um Platz drei.

FIFA im Visier der Kritiker

Bereits damals wurde die FIFA, allen voran Präsident Joao Havelange mit massiven Vorwürfen konfrontiert, sich nicht für eine zeitgleiche Ansetzung der Partien stark gemacht zu haben. Ein Umstand, aus dem die Verantwortlichen leider keine Lehren zogen. Exakt vier Jahre später hätte die "Schande von Gijon", eine der dunkelsten Stunden in der WM-Geschichte, eben durch diese Maßnahme vermieden werden können.

Nico Schrimpf