10.06.2015 17:02 Uhr

Chile: Reif für den ersten Titel

Soll sein Team zum Titel führen: Alexis Sánchez
Soll sein Team zum Titel führen: Alexis Sánchez

Vier zweite Plätze sind genug: Mit den eigenen Fans im Rücken will die chilenische Nationalmannschaft bei der Copa América im eigenen Land für den großen Wurf sorgen und endlich den so lang ersehnten Titel holen.

Zurückhaltung, das zeigte sich in den letzten Monaten immer wieder, ist nicht die größte Stärke der Chilenen. "Ich denke, unsere Mannschaft wird die Copa América gewinnen", gibt Alexis Sánchez auf die Frage, wer den Pokal am Ende in die Höhe stemmen wird, die für ihn einzig logische Antwort. Die Äußerung des 26-Jährigen steht stellvertretend für den großen Optimismus, den "La Roja" vor dem Start der Copa América im eigenen Land an den Tag legt. Chile und seine "goldenen Generation", die Generation der "Flegel", hat lang genug gewartet. Der erste große Titel soll endlich her.

"Jetzt ist der Moment, große Ziele zu erreichen. Wir haben das Verlangen zu gewinnen", wiederholt Sánchez immer und immer wieder im Vorfeld des Turniers. Und das aus gutem Grund: Die chilenische Mannschaft ist in den vergangenen Jahren extrem gereift und sich das Prädikat "weltklasse" verdient. Bei der WM in Brasilien überzeugten sie mitunter am meisten, fegten zunächst Titelverteidiger Spanien vom Platz und unterlagen im Achtelfinale erst nach einer wahren Schlacht im Elfmeterschießen gegen Brasilien.

Topspieler auf fast allen Positionen

Und heute? Im Vergleich zur WM habe sein Team sogar nochmal einen Schritt nach vorne gemacht, ist Trainer Jorge Sampaoli überzeugt. Er erklärt: "Wir haben die Spieler, die weniger Einsatzminuten in ihren Vereinen bekommen haben auf das gleiche physische und fußballerische Level gebracht, wie diejenigen, die viel gespielt haben. Es ist alles positiv."

Blickt man auf den Kader der "La Roja" kann man dem weltweit anerkannten Coach nur zustimmen. Auf fast allen Positionen finden sich internationale Topspieler. Im Tor steht Barcelonas Keeper Claudio Bravo, der frischgebackene Triple-Gewinner. Vor ihm in der Abwehr verrichten Mauricio Isla von den Queens Park Rangers sowie Gonzalo Jara von Mainz 05 die Drecksarbeit und räumen das ab, was sich dem Strafraum nähert. Zwei gestandene Innenverteidiger, die nicht über das ganz hohe internationale Renommee verfügen, ihren Dienst aber äußerst zuverlässig verrichten.

Vidal und Sánchez sind die Säulen der Mannschaft

Das Mittelfeld ist indes der Hoheitssbereich von Arturo Vidal. Der 28-jährige "Vollgasfußballer" von Juventus Turin schwingt in der Schaltzentrale das Zepter und hat mit Gary Medel und Charles Aránguiz erfahrene Leute neben sich. "Krieger" Vidal ist derzeit wohl in der Form seines Lebens, präsentiert sich enorm zweikampfstark und setzt auch in der Offensive immer wieder Akzente.

Dreh- und Angelpunkt des chilenischen Angriffsspiels ist jedoch ein anderer: Alexis Sánchez. Der Stürmer des FC Arsenal netzte für Chile in 79 Spielen 24-Mal ein und bereitete zahlreiche Tore vor. In der letzten Premier-League-Spielzeit hatte er mit seinen 16 Treffern und acht Vorlagen maßgeblich Anteil daran, dass Arsenal die Saison auf Platz drei beendete. Auch er ist aktuell auf dem Höhepunkt seines Schaffens angekommen.

Schwache Trefferausbeute in den letzten Wochen

Bei aller Euphorie gibt es aber auch Grund zur Sorge: In der Nationalmannschaft zeigten Sánchez und seine Offensivkollegen zuletzt ungewohnte Abschlussschwächen - und die sind in einem Turnier bekanntlich tödlich. In den vergangenen drei Testspielen erzielte "La Roja" lediglich einen Treffer. In der letzten Vorbereitungspartie besiegte man El Salvador mit einem spärlichen 1:0. Nicht gerade eine überragende Ausbeute für den 19. gegen den 89. der FIFA-Weltrangliste.

Von einem Sturmproblem will Alexis Sánchez jedoch nichts wissen. Angesprochen auf die schwache Trefferquote sagte er: "Das Wichtigste ist, dass wir uns Torchancen erspielen und das haben wir geschafft. Es ist schwieriger Chancen zu kreieren, als Tore zu erzielen." Für die Auftaktpartie der Gastgeber gegen Ecuador (Freitag 01:30 Uhr, live bei weltfussball) setzt Sánchez auf die Unterstützung der chilenischen Zuschauer: "Ich erwarte, dass uns die Fans von der ersten bis zur letzten Minute anfeuern."

Chile ist erster Favoritenjäger

Die Ankündigung des Gunners-Stürmers, die Copa América mit Chile zu gewinnen, ist zwar sehr optimistisch. Völlig aus der Luft gegriffen scheint die Zuversicht jedoch nicht. Die Anden-Kicker haben bei dem Turnier im eigenen Land mehr als nur den Status eines Geheimfavoriten. Das Team ist in der Spitze und Breite stark besetzt, verfügt über absolute Ausnahmekönner und hat bei der WM 2014 bereits gezeigt, wozu es fähig ist.

Auf dem Papier sind die beiden Großmächte aus Brasilien und Argentinien den Gastgebern sicherlich noch eine Nasenlänge voraus, doch mit dem Heimvorteil auf seiner Seite ist Chile alles zuzutrauen. Sogar der erste bedeutende Titel bei einem großen Turnier. 1955, 1956, 1979 und 1987 stand die "La Roja" bei einer Copa im Endspiel - vier Mal gingen sie als Verlierer zur Siegerehrung. Das soll sich in diesem Jahr endlich ändern.

Mehr dazu:
>> der Spielplan der Copa América im Überblick
>> alle Sieger der Copa América im Überblick

Thomas Eßer