01.01.2021 04:24 Uhr

Nationalelf startet mit viel Ballast ins EM-Jahr

Startet in ein schwieriges Jahr 2021: Bundestrainer Joachim Löw
Startet in ein schwieriges Jahr 2021: Bundestrainer Joachim Löw

128 Tage. Das sind 18 Wochen - oder mehr als vier Monate. Über diesen langen Zeitraum muss Joachim Löw den quälenden Ballast der 0:6-Klatsche gegen Spanien mit sich herumschleppen.

Erst am 25. März 2021 endet für den Bundestrainer die lange Winterpause der Fußball-Nationalmannschaft. Dann geht es in der WM-Qualifikation aber gleich in die Vollen: Auf das Auftaktspiel gegen Island folgen im Drei-Tages-Rhythmus ein Auswärtsspiel in Rumänien und ein weiteres Heimspiel gegen Nordmazedonien. Drei Punktspiele in sieben Tagen heißt: Drei Chancen zur Bewährung für Spieler und Trainer bei der finalen Sichtung vor der Nominierung des vorläufigen EM-Kaders.

Der Start ins EM-Jahr wird für den ewigen Bundes-Jogi zum ersten bedeutenden Liefertermin 2021. "Es ist wichtig, dass wir die drei Quali-Spiele erfolgreich bestreiten", sagte Löw. Gute zweieinhalb Monate vor dem Turnierstart gegen Weltmeister Frankreich in München ist ein Stimmungsumschwung im deutschen Fan-Volk dringend geboten.

Die Langzeit-Partnerschaft des 60-jährigen Löw mit dem Deutschen Fußball-Bund ist brüchig geworden. Ein dauerhaftes "Weiter so" verbietet sich. Spätestens die wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschobene EM wird zur ultimativen Belastungsprobe; auch wenn Löws Vertrag erst nach der Winter-WM 2022 in Katar endet.

Löw: "Wir haben viel zu tun"

"Wir haben kein Spiel, aber wir stellen die Arbeit nicht ein bis März. Wir haben viel zu tun", sagte Löw, als er sich vor drei Wochen öffentlich stellte und um Vertrauen für sich und seinen Weg zur EM warb. Ein Vertrauen, das viele Fans dem Weltmeistercoach von 2014 entzogen haben, das ihm die ansonsten zerstrittene DFB-Führung aber nach der einzigen, aber heftigen Niederlage 2020 aussprach.

Löw ist überzeugt: "Die Mannschaft hat eine sehr gute Zukunft, auch über die weiteren Jahre hinweg." Und er ist auch von sich selbst und seinem Wirken weiterhin absolut überzeugt. Das tatsächlich schwierige Corona-Jahr 2020 wurde von DFB-Direktor Oliver Bierhoff kurzerhand als "Ausnahmesituation" eingeordnet, in der die Weiterentwicklung der Mannschaft zwangsläufig habe stagnieren müssen. Löw setzte andere Prioritäten: Er schonte einige Stars, experimentierte mit Neulingen.

DFB steht nach "besonderem Jahr" weiter hinter Löw

Von seiner grundsätzlichen "Roten Linie" will Löw nicht abweichen. Seine Gedanken für die Länderspiele im Frühjahr kreisen eher nicht um die von ihm 2019 ausgemusterten 2014-Weltmeister Thomas Müller (31), Mats Hummels (31) und Jérôme Boateng (32). Löw sträubt sich gegen eine Rolle rückwärts. Beim Umbruch wird er von Bierhoff und der Verbandsspitze um Präsident Fritz Keller unterstützt. DFB-intern firmiert die EM zum Jahreswechsel unverändert unter dem eindeutigen Projektnamen "Erstes Turnierjahr der neuen Mannschaft". 2019 war das "Jahr des Umbruchs", 2020 bekam den Titel "Ein besonderes Jahr".

Löw glaubt an die Wiederholung der glorreichen Vergangenheit. Der dritte Platz bei der WM 2010 in Südafrika galt als Geburtsstunde der Weltmeister-Equipe von 2014. "Diese Mannschaft hat sich bei einem Turnier entfaltet", erinnerte Löw. Innovativ und energiegeladen schuf er vor einem Jahrzehnt mit seinem damaligen Co-Trainer Hansi Flick einen neuen Fußball "Made in Germany". Den kurz vor der WM verletzten Leitwolf Michael Ballack holte Löw übrigens später nicht zurück.

2024 Titelkandidat bei der EM im eigenen Land?

Jetzt soll sich Geschichte mit der neuen Spielergeneration um Kimmich, Gnabry, Goretzka, Süle, Werner wiederholen. "Ich muss Jogi Löw recht geben, dass 2024 das große Ereignis werden soll in Deutschland", sagte DFB-Präsident Fritz Keller. Spätestens bei der Heim-EM soll Deutschland wieder ein echter Titelanwärter sein.

Dafür brauchen die Spieler laut Löw Turniererfahrung. "2010 oder 2012 hatten wir auch noch nicht die Führungsspieler auf dem Platz", sagte er. Neuer, Müller, Boateng, Özil, Khedira oder Kroos mussten auch über Jahre reifen. "Erfahrung können wir nicht einimpfen", sagte Bierhoff bei seiner 2020-Analyse: "Die muss man sich erarbeiten."

Kimmich geht schonungslos mit DFB-Team ins Gericht

Joshua Kimmich, der bei der Abreibung in Spanien verletzt fehlte, sieht seine Generation in der Bringschuld. "Wir konnten das Vertrauen des Bundestrainers noch nicht perfekt zurückzahlen. Es liegt an uns, das Talent und das Potenzial auf den Platz zu bringen", sagte der 25 Jahre alte Mittelfeldspieler im "Deutschlandfunk Sportgespräch". Der Juniorchef vom FC Bayern sprach in dem Interview Klartext: "Dass wir momentan einen schlechten Fußball spielen, wissen wir alle."

Bei der desaströsen WM 2018 in Russland hatte Löw nicht den Mut, stärker auf die frischen Confed-Cup-Sieger von 2017 zu setzen. Die verdienten Weltmeister von 2014 sollten es noch einmal richten. Es ging schief. Den Fehler will er nicht wiederholen. "Jungen Spielern, die Potenzial haben, muss man Raum und Zeit geben, sich zu entwickeln", lautet Löws Credo für das EM-Jahr, das auch seine persönliche Zukunft maßgeblich bestimmen wird. Denn eines hat Löw im Profifußball gelernt: "Ein Trainer ist immer der allererste, der am Ende für den Erfolg in die Verantwortung gezogen wird."