19.10.2017 13:51 Uhr

Icardi: Vom Problemkind zum Heilsbringer

Mauro Icardi ist in Italien der Mann der Stunde
Mauro Icardi ist in Italien der Mann der Stunde

Der beste Saisonstart seit 20 Jahren lässt Verantwortliche und Fans von Inter Mailand von der Rückkehr erfolgreicher Zeiten träumen. Urheber der Euphorie ist Stürmer Mauro Icardi, ein Hochbegabter, der immer wieder aus falschen Gründen in die Schlagzeilen gerät.

In den letzten Jahren waren die Spielzeiten in der italienischen Serie A so abwechslungsreich wie die Fahrt durch einen Tunnel. Auf der einen Seite stand Juventus Turin, auf der anderen der Rest der Liga. Die Alte Dame ließ niemanden vorbei, dominierte wie sie wollte und spazierte zu sechs Meisterschaften in Folge. In diesem Jahr ist vieles anders.

Mit dem SSC Neapel und Inter Mailand thronen aktuell zwei Mannschaften an der Spitze, die zuletzt im Schatten der Turiner standen. Doch während Napoli schon vor der Saison Großes zugetraut wurde, kommt der Höhenflug der Nerazzurri überraschend.

Als Tabellensiebter der letzten Saison hatten den Traditionsklub nur wenige auf der Rechnung. Vor allem dank Stürmer Mauro Icardi haben die Mailänder ihre Skeptiker eines Besseren belehrt.

Effizienter als Lewy, Auba und Messi

Der 24-Jährige ist derzeit der beste Stürmer der Serie A. Neun Tore in acht Spielen steuerte der Argentinier allein in dieser Saison bei. 92 Torbeteiligungen (71 Tore; 21 Assists) in den letzten 111 Ligaspielen zeugen zudem von einer beeindruckenden Konstanz.

Dazu kommt vor dem Tor eine Effizienz, die ihresgleichen sucht. Gerade einmal 2,56 Schüsse benötigt Icardi für einen Treffer. Damit rangiert er in dieser Statistik vor Weltklasse-Stürmern wie Robert Lewandowski (3,33), Pierre-Emerick Aubameyang (3,5) oder Lionel Messi (5,1).

Nicht minder imposant ist folgende Zahl: 21 Torschüsse hat Icardi in der laufenden Serie-A-Saison abgegeben, unglaubliche 19 davon kamen aufs Tor. Eine Quote, mit der es kein anderer Stürmer der Liga annähernd aufnehmen kann. Unter anderem ist es diese Präzision, die Experten und Trainer ins Schwärmen geraten lässt.

"Er wird in jedem Spiel besser, ist im Strafraum tödlich und hat ein großartiges Gespür für das Tor", lobt etwa Ex-Inter-Stürmer Diego Milito. Luciano Spalletti, aktueller Trainer der Nerazzurri, urteilt ähnlich: "Er ist einer der besten Spieler, die ich je trainiert habe. Er ist ein kompletter Stürmer." Für die argentinische Legende Hernan Crespo ist Icardi "nach Ronaldo und Messi der Spieler, den ich am meisten mag".

Auseinandersetzung mit den Inter-Ultras

Die Lobeshymnen auf den 24-Jährigen, der auf dem Platz oft teilnahmslos wirkt, in den entscheidenden Situationen aber fast immer zur Stelle ist, kommen nicht von ungefähr. Zuletzt zeigte Icardi mit einem Hattrick im Mailänder Derby gegen den AC, wie wichtig er für seinen Klub ist. Nach dem Siegtreffer zog er sein Trikot aus und präsentierte es stolz den Inter-Anhängern auf der Tribüne. Es war eine versöhnliche Geste, mit der er die Sympathien der Ultras zurückgewinnen wollte.

Mit den Hardcore-Fans hatte es sich Icardi zuvor verscherzt, weil er ihnen nach einer verbalen Auseinandersetzung am Rande einer Derby-Niederlage "100 Kriminelle aus Argentinien" auf den Hals hetzen wollte, um sie zu töten. So stand es in Icardis Biografie "Sempre avanti" geschrieben, die 2016 auf den Markt kam. Der Verein erwirkte anschließend die Streichung der Passage, der Schaden war aber nicht mehr zu reparieren. 

Schmutzige Schlammschlacht

Die Mordrohung gegen Teile der eigenen Fans war nicht der erste Aussetzer von Mauri Icardi. Schon Jahre zuvor bestimmte der Argentinier die Schlagzeilen, als er öffentlich mit der Frau seines ehemaligen Sampdoria-Teamkollegen und Landmanns Maxi López anbandelte. Nicht nur für den Boulevard war diese Geschichte ein gefundenes Fressen.

Statt halbwegs souverän mit der Situation umzugehen, provozierte Icardi seinen damaligen Kollegen, indem er unter anderem Fotos von sich und den gemeinsamen Kindern von López und dessen Noch-Ehefrau postete. Dazu verspottete er López mit der Veröffentlichung pikanter Details aus dessen Sexleben.

Die Beziehungs-Geschichte soll auch dazu geführt haben, dass Icardi in der argentinischen Nationalmannschaft lange keine Berücksichtigung fand. Unter anderem habe sich der mit Maxi López befreundete Lionel Messi stets gegen eine Nominierung Icardis ausgesprochen, heißt es. 

Für 110 Millionen Euro zu haben

Mittlerweile haben sich die Wogen jedoch geglättet. Mit Toren hat Mauro Icardi das Vertrauen zurückgewonnen, das er zuvor leichtfertig verspielte. Der 24-Jährige, der noch bis 2021 in Mailand unter Vertrag steht und eine Ausstiegsklausel von 110 Millionen Euro haben soll, hat sich mit dem Großteil der Inter-Fans versöhnt und wurde zuletzt auch endlich in die Nationalmannschaft berufen. Aus dem Problemkind ist ein Problemlöser geworden.

Sollte Icardi seine starke Form auch im kommenden Spitzenspiel der Serie A gegen den SSC Neapel (Samstag ab 20:45 Uhr im Liveticker) mit einem oder gar mehreren Toren unterstreichen, wird ihm vielleicht auch der letzte Fan seine Eskapaden aus der Vergangenheit verzeihen.

Christian Schenzel