25.06.2020 08:31 Uhr

Als ein Skandal-Spiel den Fußball veränderte

Deutschlands 1:0-Erfolg gegen Österreich reichte 1982 beiden Teams zum Weiterkommen bei der WM
Deutschlands 1:0-Erfolg gegen Österreich reichte 1982 beiden Teams zum Weiterkommen bei der WM

Alle vier Jahre wird bei WM-Endrunden Geschichte geschrieben - nicht immer ist diese positiv. Anlässlich des Jahrestags erinnert weltfussball an die 90 folgenschweren Minuten von Gijón.

Am 25. Juni 1982 fand bei der WM 1982 in Spanien fand ein Spiel statt, das die Fußballwelt erschütterte und nachhaltig veränderte. Zurück blieben entsetzte Augenzeugen und wütende Algerier. Der Name der asturischen Hafenstadt ist seither zum Synonym für ein abgekartetes Spiel geworden. 

Die deutsche Mannschaft reiste als amtierender Europameister nach Spanien. Die Gruppengegner aus Algerien, Österreich und Chile sollten die erste Turnierphase zum Selbstläufer werden lassen. Doch schon im ersten Spiel setzte es eine überraschende 1:2-Niederlage gegen die Nordafrikaner.

Das anschließende 4:1 gegen Chile bescherte dem DFB-Team ein Endspiel gegen die ÖFB-Auswahl. Während Deutschland zum Weiterkommen unbedingt einen Sieg brauchte, hätte den Österreichern schon eine knappe Niederlage mit maximal zwei Toren Unterschied gereicht.

Das Spiel: Eine Schande

Bei sommerlichen Temperaturen trafen die beiden Erzrivalen am 25. Juni 1982 im Estadio El Molinón in Gijón aufeinander. Die Partie begann aus Sicht des Favoriten nach Wunsch. Pierre Littbarski flankte von der linken Seite auf den ersten Pfosten, Horst Hrubesch drückte die Kugel zum 1:0 über die Linie. Jeder wusste, dass dieses Resultat beiden Teams zum Weiterkommen reichen würde.

In der Folge spielten sich auf dem Rasen bizarre Szenen ab. Die Profis trabten im Stile zweier Altherren-Mannschaften auf und ab und einigten sich darauf, das Spielen in den folgenden 80 Minuten komplett einzustellen.

Ein Nicht-Angriffs-Pakt. Eine Schande für den Fußball, eine Schande für die tapferen Algerier, die hilflos mit ansehen mussten, wie ihre WM-Träume regelrecht boykottiert wurden.

Die Reaktionen der Öffentlichkeit

Die Zuschauer im Stadion merkten sofort, was die beiden Mannschaften im Schilde führten. Neben "Aufhören, Aufhören"-Rufen skandierten sie lautstark "Algerien, Algerien" und "Küsst euch, küsst euch" - ein Ausruf, der in Spanien bei Hochzeiten gang und gäbe ist.

Die Zeitungen titelten am Tag danach "Beschiss an 40.000 Zuschauern" und sprachen von 22 Verbrechern, die den Fußball missbrauchten.

Mit beißender Ironie schrieb die Berliner Tageszeitung: "Die Grünen-Hessen gratulieren der deutschen Elf. Die Schonung des Rasens vor dem gegnerischen Strafraum, der schonende Umgang mit dem tierischen Produkt Leder sind beispielhaft auf dem Gebiet des Umweltschutzes. Auch das Prinzip der Nichteinmischung in der gegnerischen Hälfte ist ein überzeugender Beitrag zum Weltfrieden."

"Aus der Konstellation ergeben"

Beinahe noch skandalöser als das Geschehen auf dem Rasen waren die Aussagen einiger Spieler. "Was interessiert mich das, wenn Tante Frieda zu Hause Zirkus macht", echauffierte sich Uwe Reinders über die Kritik der Öffentlichkeit. "Das Ganze hat sich einfach aus der Konstellation ergeben", versuchte ÖFB-Keeper Koncilia zu beschwichtigen.

Österreichs Delegationsleiter Hans Tschak ging gar zum Gegenangriff über: "Wenn jetzt deswegen hier 10000 Wüstensöhne im Stadion einen Skandal entfachen wollen, zeigt das doch nur, dass die zu wenig Schulen haben. Da kommt so ein Scheich aus einer Oase, darf nach 300 Jahren mal WM-Luft schnuppern und glaubt, jetzt die Klappe aufreißen zu können."

Walter Schachner gab nach dem Abpfiff das zu Protokoll, was für alle Zuschauer offensichtlich war: "Es hat in der Pause zwischen österreichischen und deutschen Spielern, die sich gut verstanden haben, Absprachen gegeben, dass man es bei diesem Resultat belassen soll."

Die Folgen: Neues Reglement

Die FIFA wurde anschließend harsch dafür kritisiert, die letzten Gruppenspiele nicht zeitgleich angesetzt zu haben. Nur so war es den Deutschen und Österreichern überhaupt möglich, auf ein bestimmtes Ergebnis zu spielen. Bereits vier Jahre zuvor in Argentinien fiel die brasilianische Nationalmannschaft diesem Reglement zum Opfer.

Der Weltverband setzte sich daraufhin zusammen und entschied, die letzten Gruppenspiele in der Zukunft jeweils gleichzeitig auszutragen. Eine sinnvolle Entscheidung, die leider vier Jahre zu spät getroffen wurde und die "Schande von Gijón" hätte verhindern können.

Christian Schenzel