18.09.2016 08:00 Uhr

Higuaín bei Juve: Italien ist nicht genug

Gonzalo Higuain (2.v.r.) ist Juves neuer Messias
Gonzalo Higuain (2.v.r.) ist Juves neuer Messias

90-Millionen-Euro-Mann Gonzalo Higuaín kam nach seinem Abgang aus Neapel mit Übergewicht zu Juventus und sorgte damit für reichlich Spott. Doch der Argentinier brachte sich in Windeseile in Form. Der Goalgetter soll der letzte Mosaikstein sein, mit dem Juve seine ambitionierten Ziele erreichen will - nicht nur in Italien.

Das Netz kann unerbittlich sein. Gonzalo Higuaín musste das am eigenen Leibe erfahren – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit ein paar Pfunden zu viel war der Stürmer aus der kurzen Sommerpause nach der Copa América Centenario in den USA gekommen. Den Frust über die argentinische Finalpleite gegen Chile hatte er im Heimaturlaub offenbar mit reichlich gutem Essen verarbeiten wollen.

Bei seinem Juve-Debüt im Testspiel gegen West Ham United Anfang August spannte das schwarz-weiße Trikot deutlich über dem gut sichtbaren Bauchansatz des 1,84-Meter-Mannes. "Gonzalo Higuaín ist ein großartiger Spieler. Aber er ist momentan nicht in Top-Form", musste auch Juves Trainer Max Allegri nach der Partie eingestehen.

In den sozialen Netzwerken waren die Reaktionen hämisch. "Alter-Ronaldo-Gedächtnis-Plautze", "#pommesgate", "So 'ne Ablöse macht schon hungrig" und "Ein Kilo pro Million Ablöse" lauteten die Kommentare auf Twitter. Der frühere Weltklasse-Mittelfeldspieler Robert Prosinečki bezeichnete Higuaín gar als "kleines Schweinchen". Während in Neapel Trikots des als Verräter abgestempelten Ex-Publikumsliebling brannten, wuchsen bei den Anhängern der Bianconeri die Zweifel am Neuzugang.

Blitz-Diät und viele Tore

Einen guten Monat später hat sich das Blatt komplett gewendet. Mit einer vom Verein verordneten Blitz-Diät entledigte sich Higuaín binnen weniger Wochen seiner überschüssigen Kilos. In Rekordzeit kam der aus seiner Zeit in Neapel schon für den Hang zum Übergewicht bekannte Stürmer so auf die Höhe seiner Schaffenskraft. Pünktlich zum Pflichtspielstart in Italien wirkte Higuain annähernd austrainiert.

Und der laut "Gazetta dello Sport" mit 7,5 Millionen Euro netto im Jahr bestbezahlte Profi der Serie A macht in Turin das, was er am besten kann: Toreschießen wie am Fließband. Dreimal lief er in dieser Spielzeit bislang in der Serie A für Juventus auf, drei Treffer konnte er erzielten.

Die Turiner Fans haben die anfängliche Skepsis ob Higuaíns fraglicher Fitness inzwischen abgelegt. Stattdessen taugt dieser nun wieder als Hoffnungsträger. "Mich machen die Sympathien der Tifosi glücklich", sagt der teuerste Spieler der Vereinsgeschichte.

Klares Upgrade zu den Vorgängern

Ob bei der Arbeit gegen den Ball, im Dribbling, mit dem Rücken zum Tor oder als eiskalter Vollstrecker im Sechzehner: Mit seinem für einen Mittelstürmer nahezu perfekten Skill-Set ist Higuaín ein Mosaikstein, der Juve noch gefehlt hat. Zudem harmoniert der 28-Jährige bereits sehr gut mit Neben- und Landsmann Paulo Dybala, der als spielerischer Stürmer um Higuain herum wirbelt.

Auch wenn Juve mit Carlos Tévez und Alvaro Morata sowie dem nun ins zweite Glied zurückgerückten Mario Mandžukić zuletzt durchaus über gehobene Qualität im zentralen Angriff verfügte, ist Higuaín ein klares Upgrade. "Er macht den Unterschied", schwärmte Allegri nach dessen Doppelpack beim 3:1-Sieg gegen Sassuolo von seinem Schützling, über den Napolis Trainer Maurizio Sarri einst sagte, er wolle ihn "nicht für Lewandowski tauschen".

Meisterschaft eingeplant, Königsklasse im Blick

Innerhalb der Serie A stellt der Transfer vom ärgsten Verfolger der Vorsaison aus Sicht Juves ein echtes Statement dar. Herausragende 36 Treffer erzielte Higuaín für Neapel 2015/2016, war neben Regisseur Marek Hamšík auf und neben dem Platz die herausragende Figur beim Vizemeister.

Sein Wechsel wird aller Voraussicht nach die ohnehin schon krasse Dominanz Juves in der heimischen Liga noch zusätzlich zementieren. Auf dem Weg zum sechsten Meistertitel in Folge dürfte auch das traditionsreiche Derby d'Italia gegen ein seit Jahren schwächelndes Inter (am Sonntag ab 18:00 Uhr im weltfussball-Liveticker) nur eine Zwischenstation sein.

Italien ist Higuaín und seinem neuen Arbeitgeber aber längst nicht mehr genug. "Für mich ist die Champions League ein wunderbarer Wettbewerb, der größte in diesem Sport", erklärte der Knipser unlängst in einem Interview beim TV-Sender "Premium Sport". Überhaupt: Von der Königsklasse spricht Higuaín auffallend oft.

Und auch Juve formuliert sein ambitioniertes internationales Ziel inzwischen unumwunden. "Dieses Mal wollen wir die Champions League gewinnen", sagt Allegri. Man brauche dafür allerdings "etwas Glück", so der Coach. Higuaín soll seinem neuen Team dabei helfen, dieses zu erzwingen. Gelingt ihm das, dürfte das Netz ganz anders reagieren.

Tobias Knoop